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Dekarbonisierung in Europa: Regionalwirtschaftliche Effekte in ausgewählten Kohleregionen und kohlenstoffintensiven Regionen Europa

Die EU hat mit dem „Fit for 55“-Paket zwei große klimapolitische Ziele festgelegt: die Senkung der Treibhausgasemissionen um 55% bis zum Jahr 2030 und Treibhausgasneutralität ab dem Jahr 2050. Im Rahmen des EU-Horizon-2020-Projekts ENTRANCES werden die gesellschaftlichen Effekte der Dekarbonisierung und besonders des Kohleausstiegs in verschiedenen europäischen Regionen interdisziplinär analysiert und darauf basierend Handlungsempfehlungen für die Politik abgeleitet. Der vorliegende Beitrag stellt erste analytische Ergebnisse vor.

06. November 2023

Autoren Katja Heinisch Oliver Holtemöller Christoph Schult

Inhalt
Seite 1
ENergy TRANsitions from Coal and carbon: Effects on Societies (ENTRANCES)
Seite 2
Wirtschaftliche Ausgangslage
Seite 3
Fazit
Seite 4
Endnoten Auf einer Seite lesen

Die Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft bis 2050 stellt die Länder in Europa vor unterschiedliche Herausforderungen. Während Norwegen bereits 75% der eigenen Energienachfrage aus erneuerbaren Energien deckt, exportiert es Erdöl und Erdgas in den Rest der Welt. Gleichzeitig werden in Polen und Deutschland, den zwei größten europäischen Kohleförderländern, gerade einmal 15% bzw. 20% der eigenen Energienachfrage mit erneuerbaren Energien abgedeckt.1 In Kohleregionen in Spanien, Italien und dem Vereinigten Königreich wurde die Kohleförderung komplett eingestellt und der Anteil der Kohle an der nationalen Stromerzeugung drastisch reduziert. Neben den Regionen, in denen Kohle, Erdöl oder Erdgas gefördert werden, gibt es auch Regionen, deren Wirtschaft besonders stark von energieintensiven Industrien abhängt. Bis heute ist beispielsweise die Stahlindustrie in Österreich besonders kohlenstoffintensiv und stark konzentriert in der Obersteiermark. Die Kohlewirtschaft und die kohlenstoffintensive Industrie sind meist in einzelnen Regionen innerhalb eines Landes konzentriert und ein wesentlicher Bestandteil der regionalen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen.

Im Rahmen des seit Mai 2020 von der EU geförderten Projekts ENergy TRANsitions from Coal and carbon: Effects on Societies (ENTRANCES)2 wird untersucht, mit welchen Herausforderungen Kohleregionen und kohlenstoffintensive Regionen im Zuge der Dekarbonisierung konfrontiert sind. Diese Herausforderungen bestehen nicht nur in technologischem Wandel oder industrieller Umstellung, sondern werden als ein komplexer und multidimensionaler Prozess betrachtet, der das tägliche Leben der lokalen Akteure beeinflusst.

Das Projekt beinhaltet die detaillierte Analyse von 13 europäischen Regionen in neun Ländern, in denen die Kohleindustrie oder andere kohlenstoffintensive Industrien (z. B. Stahlindustrie, Chemische Industrie oder die Ölförderung) Landschaften, Menschen und Strukturen über Jahrzehnte geprägt haben.3 Die ausgewählten Regionen ermöglichen eine komparative Analyse der Unterschiede in den Anfangsstadien der Dekarbonisierung sowie der Vielfalt politischer Systeme. Unterschiedliche regionale und institutionelle Erfahrungswerte können so ermittelt werden und Aufschluss darüber geben, welche Ansätze und politischen Maßnahmen in den verschiedenen Regionen effektiv sein können.

Alle diese Regionen stehen heute vor der Herausforderung, ihre wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen klimaneutral zu gestalten. Die regionalspezifischen Voraussetzungen für die Bewältigung des Strukturwandels sind jedoch ganz unterschiedlich. Während in einigen Regionen die Kohleförderung und die Produktion in kohlenstoffintensiven Industrien bereits eingestellt wurden, ist sie in anderen Regionen noch aktiv. 

Die Kernfrage des Projekts lautet: Welches sind die wichtigsten sozio-ökonomischen, sozio-technischen, sozio-ökologischen, sozio-kulturellen, sozio-politischen, sozio-psychologischen und geschlechtsspezifischen Herausforderungen, denen sich Kohle- und kohlenstoffintensive Regionen gegenübersehen (vgl. Tabelle 1)? In regionalen Fallstudien werden empirische Fakten analysiert, Probleme und Herausforderungen identifiziert und gemeinsam mit lokalen Stakeholdern Bewältigungsstrategien für die einzelnen Regionen erarbeitet.4

Regionale Abgrenzung

Die ENTRANCES-Fallstudien wurden in mehrere regionale Analyseeinheiten gegliedert. Die kleinste regionale Abgrenzung ist das Kohle- und Kohlenstoffterritorium (CCT), d. h. Regionen, in denen die Merkmale „Kohle und Kohlenstoff“ einen unverwechselbaren Teil der lokalen Identität ausmachen oder ein wichtiger Faktor für Einkommen und Beschäftigung der lokalen Bevölkerung sind.

Die Größe der jeweiligen regionalen Einheiten unterscheidet sich zwischen den 13 Untersuchungsregionen. Bei den deutschen Fallstudien (Mitteldeutschland, Lausitz und Rheinland) basieren die ENTRANCES-Regionalabgrenzungen auf der Existenz aktiver Braunkohletagebaue und -kraftwerke, sie weichen daher geringfügig von den aktuellen politischen Abgrenzungen ab (vgl. Abbildung 1).5 Diese Abgrenzungsmethodik erlaubt es, eine Reihe von nationalen und regionalen Gegebenheiten auf NUTS-3-Ebene6 zu berücksichtigen.

Neben den Herausforderungen und Bewältigungsstrategien in den direkt betroffenen Regionen (CCT) ist allerdings auch ein Blick auf andere Analyseeinheiten notwendig, welche die Dynamik der De-/Reterritorialisierung abbilden können. Um den längerfristigen Strukturwandel zu untersuchen, wurden Arbeitsmarktregionen als sekundäre Analyseeinheit festgelegt. Eine Arbeitsmarktregion ist auf Basis von Pendlerströmen als das Gebiet definiert, in dem der Großteil der Arbeitskräfte auch lebt; sie ist demnach größer als die CCT-Region. Entscheidungen zum Übergang zu sauberer Energie werden sowohl auf höherer Ebene (z. B. auf nationaler und europäischer Ebene) als auch auf regionalen politischen und administrativen Ebenen (z. B. von lokalen Behörden) getroffen. Daher werden zusätzlich die regionalen politischen Verwaltungsregionen als regionale Abgrenzung herangezogen, um eine zielgerichtete Transformation des Energiesystems zur Bewältigung des Klimawandels zu analysieren und z. B. die bisherige Umsetzung des europäischen Green Deal zu prüfen.

Empfohlene Publikationen

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Power Generation and Structural Change: Quantifying Economic Effects of the Coal Phase-out in Germany

Katja Heinisch Oliver Holtemöller Christoph Schult

in: Energy Economics, 2021

Abstract

In the fight against global warming, the reduction of greenhouse gas emissions is a major objective. In particular, a decrease in electricity generation by coal could contribute to reducing CO2 emissions. We study potential economic consequences of a coal phase-out in Germany, using a multi-region dynamic general equilibrium model. Four regional phase-out scenarios before the end of 2040 are simulated. We find that the worst case phase-out scenario would lead to an increase in the aggregate unemployment rate by about 0.13 [0.09 minimum; 0.18 maximum] percentage points from 2020 to 2040. The effect on regional unemployment rates varies between 0.18 [0.13; 0.22] and 1.07 [1.00; 1.13] percentage points in the lignite regions. A faster coal phase-out can lead to a faster recovery. The coal phase-out leads to migration from German lignite regions to German non-lignite regions and reduces the labour force in the lignite regions by 10,100 [6300; 12,300] people by 2040. A coal phase-out until 2035 is not worse in terms of welfare, consumption and employment compared to a coal-exit until 2040.

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Außerdem in diesem Heft

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Aktuelle Trends: Insolvenzanträge als Frühindikator für den IWH-Insolvenztrend

Steffen Müller

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 3, 2023

Abstract

Insolvenzanträge werden vom Schuldner oder Gläubiger beim Insolvenzgericht gestellt. Es vergehen in der Regel mehrere Monate, bis Gerichte entscheiden, ob der Antrag zulässig ist. Der IWH-Insolvenztrend erfasst genau wie die amtliche Statistik erst dann Insolvenzfälle, wenn ein Insolvenzgericht eine formale Eröffnungsentscheidung – also entweder die Eröffnung des Verfahrens oder eine Abweisung mangels Masse – zum jeweiligen Insolvenzverfahren gefällt hat. Das bedeutet, dass im entsprechenden Berichtsmonat in der Regel nicht der Insolvenzantrag gestellt, sondern erstmalig über ihn entschieden wurde.

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Frühkindliche Betreuung erhöht den Arbeitsmarkterfolg von Müttern ohne Abitur

Henning Hermes Marina Krauß Philipp Lergetporer Frauke Peter Simon Wiederhold

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 3, 2023

Abstract

<p>In den meisten Ländern wirkt sich die Geburt eines Kindes negativ auf den Arbeitsmarkterfolg von Müttern aus, insbesondere bei Müttern mit niedrigerem Schulabschluss. In diesem Beitrag werden die Ergebnisse eines Feldexperiments in Deutschland vorgestellt, in dem Familien bei der Bewerbung für einen Platz in einer Kindertagesstätte (Kita) unterstützt wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass der verbesserte Zugang zu frühkindlicher Betreuung die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Mütter ohne Abitur in Vollzeit arbeiten, und deren Haushaltseinkommen steigert. Um den Arbeitsmarkterfolg von Müttern zu verbessern, sollte die Politik den Zugang zu frühkindlicher Betreuung erleichtern und die Zahl der Kita-Plätze noch weiter erhöhen.</p>

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