Inhalt
Seite 1
ENergy TRANsitions from Coal and carbon: Effects on Societies (ENTRANCES)Seite 2
Wirtschaftliche AusgangslageSeite 3
FazitSeite 4
Endnoten Auf einer Seite lesenWirtschaftliche Ausgangslage
Entscheidende Faktoren für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Region sind Bevölkerungsdynamik, Beschäftigung, Kapitalstock und technischer Fortschritt. Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner als Maß für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit lässt sich in drei Komponenten zerlegen – die Arbeitsproduktivität, die Beschäftigungsquote und den Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter.7 Die Arbeitsproduktivität hängt vom technischen Fortschritt und der Kapitalintensität ab.8
Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner liegt in zehn der 13 Regionen unterhalb des EU28-Durchschnitts (vgl. Abbildung 2). Besonders niedrig sind die Werte in Schiltal, Schlesien und Horná Nitra, wo weiterhin aktiv Kohle gefördert wird. Hingegen weist die Region Stavanger das höchste Bruttoinlandsprodukt je Einwohner auf, es ist fast doppelt so hoch wie der EU28-Durchschnitt. Diese wirtschaftliche Leistungsfähigkeit basiert teilweise auf einer modernen Erdöl- und Erdgasindustrie. Gleichzeitig ist in den Regionen Stavanger und Sulcis der Anteil des Produzierenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung am geringsten. Die größten Anteile an Bruttowertschöpfung aus dem Produzierenden Gewerbe finden sich in der Obersteiermark und der Lausitz. Trotzdem lässt sich kein klarer Zusammenhang zwischen dem Anteil des Produzierenden Gewerbes und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Regionen feststellen.
Die Arbeitsproduktivität ist ein Indikator für die effiziente Nutzung der regionalen Produktionsfaktoren und liefert ähnliche Ergebnisse wie das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner. Interessanterweise gehören alle vier osteuropäischen Regionen mit aktivem Kohlebergbau zu den Regionen mit der geringsten Arbeitsproduktivität. Im Vergleich dazu weisen die ostdeutschen Regionen eine etwa doppelt so hohe Arbeitsproduktivität auf.
Sowohl ostdeutsche als auch osteuropäische Regionen haben in den letzten drei Dekaden starke Transformationsprozesse erlebt. Diese Transformationsprozesse führten zu starken Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt. Heute ist die Beschäftigungsquote in Krakau, im Rheinland und der Lausitz die höchste unter den 13 Regionen. Die geringste Beschäftigungsquote haben die italienischen Regionen Brindisi und Sulcis. In allen Regionen ist der Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung zwischen 2014 und 2018 gefallen. Den geringsten Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter hat die spanische Region Coruña, den größten die slowakische Region Horná Nitra. Ein positives Bevölkerungswachstum war zwischen 2000 und 2018 in fünf der 13 Regionen zu verzeichnen. So ist die Bevölkerung in Krakau leicht gestiegen, während die Bevölkerung in der Lausitz um ungefähr 20% gefallen ist. In den meisten Regionen gab es seit dem Jahr 2000 einen deutlichen Bevölkerungsrückgang, während die EU28-Bevölkerung insgesamt um 5% zulegte.
Umfrageergebnisse
Im Herbst 2021 wurden in allen 13 ENTRANCES-CCT-Regionen Umfragen durchgeführt, um verschiedene sozio-psychologische Aspekte hinsichtlich der Ortsverbundenheit und der allgemeinen Wahrnehmung der Energiewende in der Region zu erfassen. Bei der Erhebung handelte es sich um einen strukturierten Fragebogen mit 90 Fragen.9 Aufgrund der Covid-19-Pandemie war eine persönliche Befragung nicht möglich, sodass die Umfragen entweder als Telefoninterviews (z. B. in den deutschen Regionen Mitteldeutschland und dem Rheinland) oder als computergestützte Webinterviews durchgeführt wurden. Insgesamt wurden mehr als 2 800 Menschen befragt; die Zahl der Teilnehmenden bewegte sich je nach Region und Umfragemethode zwischen 50 und 470; die Online-Umfragen erreichten dabei deutlich mehr Personen als die Telefoninterviews; zudem sind die online Befragten im Durchschnitt wesentlich jünger als die telefonisch Befragten.
Abbildung 3 gibt einen Überblick über die Beziehung der Befragten zu ihren Regionen: ihrer Lebenszufriedenheit und Verbundenheit mit der Region, ihrer Einschätzung zu den Auswirkungen des Kohleausstiegs bzw. der Dekarbonisierung sowie zu möglichen Bewältigungs-
strategien.10 In allen Regionen zeigen die Befragten ein hohes Maß an Verbundenheit mit ihrer Region. Besonders stark ist diese Verbundenheit in Mitteldeutschland ausgeprägt. Hier ist auch die Lebenszufriedenheit vergleichsweise hoch. In den beiden italienischen Regionen ist die Lebenszufriedenheit hingegen weniger hoch. Insgesamt zeigt die soziopsychologische Analyse, dass ein hohes Maß an Lebenszufriedenheit stark mit einem geringen Stressempfinden und einem hohen Maß an Widerstandsfähigkeit und Optimismus korreliert ist. Basierend auf dieser Analyse zeigt sich, dass besonders die italienischen Regionen eher schlecht auf die bevorstehende Dekarbonisierung vorbereitet sind, was zu einem höheren Stresslevel führen dürfte. Der notwendige Umbau der lokalen Wirtschaftsstrukturen benötigt ein gewisses Maß an Optimismus, das in Regionen mit niedriger Lebenszufriedenheit weniger stark anzutreffen ist.
Der Kohleausstieg und die Dekarbonisierung werden in den
13 betrachteten Regionen unterschiedlich bewertet. Mit Ausnahme der spanischen Region Coruña, Mitteldeutschlands und der rumänischen Region Schiltal gaben die Befragten einen hohen Grad an Zustimmung („Unterstützung“) zum regionalen Dekarbonisierungsprozess an. In den drei genannten Regionen ist der Anteil der Abneigung gegenüber dem jeweiligen Dekarbonisierungsprozess vergleichsweise hoch. Im Durchschnitt über die Regionen zeigt sich, dass die Befragten die Organisation und Umsetzung der regionalen Dekarbonisierungsprozesse eher schlecht bewerten.
Mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre sind die Befragten in der Obersteiermark, im Rheinland und in Stavanger am optimistischsten; diese Regionen gehören auch zu den wirtschaftlich stärksten Regionen. Die pessimistischste Einschätzung hinsichtlich der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung zeigt sich bei den Befragten in Mitteldeutschland.
Die Umfragen ergeben, dass die Bevölkerung in den betroffenen Regionen dem Kohleausstieg und der Dekarbonisierung insgesamt positiv gegenübersteht, hinsichtlich der Umsetzung und Kommunikation jedoch noch Verbesserungsbedarf sieht.