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Frühkindliche Betreuung erhöht den Arbeitsmarkterfolg von Müttern ohne Abitur

In den meisten Ländern wirkt sich die Geburt eines Kindes negativ auf den Arbeitsmarkterfolg von Müttern aus, insbesondere bei Müttern mit niedrigerem Schulabschluss. In diesem Beitrag werden die Ergebnisse eines Feldexperiments in Deutschland vorgestellt, in dem Familien bei der Bewerbung für einen Platz in einer Kindertagesstätte (Kita) unterstützt wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass der verbesserte Zugang zu frühkindlicher Betreuung die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Mütter ohne Abitur in Vollzeit arbeiten, und deren Haushaltseinkommen steigert. Um den Arbeitsmarkterfolg von Müttern zu verbessern, sollte die Politik den Zugang zu frühkindlicher Betreuung erleichtern und die Zahl der Kita-Plätze noch weiter erhöhen.

06. November 2023

Autoren Henning Hermes Marina Krauß Philipp Lergetporer Frauke Peter Simon Wiederhold

Inhalt
Seite 1
Kinder wirken negativ auf den Arbeitsmarkterfolg von Müttern aus
Seite 2
Mütter ohne Abitur profitieren stark vom erleichterten Zugang zu frühkindlicher Betreuung
Seite 3
Noch mehr Kita-Plätze schaffen und Zugangsbarrieren beseitigen
Seite 4
Endnoten Auf einer Seite lesen

Die Geburt von Kindern hat anhaltend negative Auswirkungen auf die Arbeitsmarktergebnisse von Müttern, aber nicht von Vätern.1 Diese unterschiedlichen Auswirkungen sind unter anderem darauf zurückzuführen, dass Mütter immer noch einen Großteil der Kinderbetreuung übernehmen. Um Mütter bei der Kinderbetreuung zu entlasten und ihnen die Wiederaufnahme einer Vollzeittätigkeit zu ermöglichen, haben viele europäische Länder ein öffentliches Kinderbetreuungsangebot für alle Kinder, d. h. eine universelle Kinderbetreuung, eingeführt und die Zahl der verfügbaren Plätze substanziell ausgebaut.

In Deutschland ist der negative Einfluss von Kindern auf den Arbeitsmarkterfolg von Müttern sogar stärker als in den meisten anderen entwickelten Ländern, und damit verbunden sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt besonders groß.2 Um die (Vollzeit-)Erwerbsquote von Müttern zu erhöhen, hat Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre sein flächendeckendes Kinderbetreuungssystem stark ausgebaut.3 Allerdings übersteigt die elterliche Nachfrage nach Plätzen immer noch das Angebot, und bildungsfernere Familien sind in der frühkindlichen Betreuung stark unterrepräsentiert.4

Für weniger gebildete Familien ist Kinder- betreuung besonders wichtig, aber der Zugang ist erschwert

Die bisherige Literatur zeigt positive Auswirkungen des Ausbaus einer frühkindlichen Kinderbetreuung (für Kinder unter drei Jahren) auf das Arbeitsangebot von Müttern in verschiedenen Ländern,5 darunter auch Deutschland.6 Dabei unterscheiden sich die Auswirkungen der frühkindlichen Betreuung jedoch stark nach dem Bildungsgrad der Mütter. Zwar hat in Deutschland jedes Kind ab dem Alter von einem Jahr einen Rechtsanspruch auf frühkindliche Betreuung, der Kita-Bewerbungsprozess ist jedoch sehr komplex. Um einen Kita-Platz zu erhalten, müssen sich Eltern frühzeitig informieren, Formulare fristgerecht einreichen und Termine (z. B. zum persönlichen Kennenlernen der Kita-Leitungen) wahrnehmen. Vor allem weniger gebildete Eltern stellt dies oft vor besondere Herausforderungen, denn ihnen fehlen häufiger wichtige Informationen über das Bewerbungsverfahren, um den Prozess erfolgreich zu meistern.7 Dementsprechend profitieren Mütter mit einem niedrigeren Bildungsabschluss oft weniger vom Ausbau der Kinderbetreuung als besser gebildete Mütter.8 Gleichzeitig werden die Arbeitsmarktergebnisse von weniger gebildeten Müttern durch die Geburt eines Kindes aber besonders negativ beeinflusst.

Im Rahmen eines Feldexperiments haben wir untersucht, ob die Erleichterung des Zugangs zu frühkindlicher Betreuung dazu führt, dass Mütter eher wieder eine Vollzeiterwerbstätigkeit (Arbeitszeit von mindestens 30 Stunden pro Woche) aufnehmen, um so die „Teilzeitfalle“ zu umgehen.9 Wir zeigen, dass die Bereitstellung von Informationen und persönliche Unterstützung bei der Bewerbung für einen Kita-Platz dazu führt, dass Mütter ohne Abitur häufiger in Vollzeit arbeiten und sich das Haushaltseinkommen erhöht. Gleichzeitig lässt sich auch eine spürbare Verbesserung der Gleichstellung der Geschlechter innerhalb eines Haushalts feststellen.10

Studiendesign: Kontrollgruppenstudie mit 600 Familien

Wir haben ein groß angelegtes Feldexperiment in zwei Städten in Rheinland-Pfalz durchgeführt. Insgesamt nahmen 607 Familien mit Kindern im Alter von bis zu einem Jahr an der Studie teil. Die Basiserhebung wurde in Form von persönlichen Interviews zwischen August und Oktober 2018 durchgeführt. In Anlehnung an die bisherige Literatur zum Arbeitsangebot von Müttern11 konzentrieren wir uns auf den Bildungsabschluss der Mutter als Indikator für ihren sozio-ökonomischen Status. Im Speziellen vergleichen wir Mütter mit und ohne (Fach-)Abitur. Der Anteil von Müttern ohne Abitur liegt in unserer Stichprobe bei etwa 40%, was die Bildungsverteilung von Müttern mit kleinen Kindern in Gesamtdeutschland gut widerspiegelt. Auch bei anderen Merkmalen (z. B. bei der mütterlichen Erwerbsbeteiligung und dem Einkommen vor Geburt des Kindes) entspricht die Stichprobe unser Studienteilnehmerinnen in weiten Teilen dem Durchschnitt von Müttern mit kleinen Kindern in Deutschland, was die Generalisierbarkeit unserer Studienergebnisse erhöht.

Unsere Unterstützungsmaßnahmen sollten Familien den Zugang zu Kinderbetreuung erleichtern, nicht aber die Eltern dazu überreden, ihr Kind in einer Kita anzumelden oder die beruflichen Pläne der Mütter zu ändern. Die Unterstützung bestand einerseits in der Bereitstellung von Informationen und andererseits in einem personalisierten Unterstützungsangebot für die Kita-Bewerbung der Eltern.

Erstens zeigten wir jedem Elternteil in der Behandlungsgruppe (das ist die Gruppe derer, die die Unterstützungsmaßnahmen erhielten) unmittelbar nach Abschluss einer anfänglichen Befragung (Basisbefragung) ein vierminütiges Informationsvideo, um einem möglichen Mangel an elterlichem Wissen über das Bewerbungsverfahren für Kitas entgegenzuwirken. Zweitens erhielten die Eltern das Angebot, bei der Kita-Bewerbung individuell von (dafür geschulten) Studierenden unterstützt zu werden. Diese recherchierten beispielsweise Informationen über Betreuungseinrichtungen und Bewerbungsverfahren, halfen beim Ausfüllen von Formularen und erinnerten an wichtige Termine.

Im Gegensatz dazu erhielten die Eltern in der Kontrollgruppe weder Informationen noch persönliche Unterstützung bei der Antragstellung. Die zufällige Einteilung der Familien in Behandlungs- und Kontrollgruppe ermöglichte es uns, den kausalen Effekt eines erleichterten Zugangs zu frühkindlicher Betreuung auf den Arbeitsmarkterfolg von Müttern zu schätzen (den Behandlungseffekt).

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Mütter ohne Abitur profitieren stark vom erleichterten Zugang zu frühkindlicher Betreuung

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Early Child Care and Labor Supply of Lower-SES Mothers: A Randomized Controlled Trial

Henning Hermes Marina Krauss Philipp Lergetporer Frauke Peter Simon Wiederhold

in: CESifo Working Paper, Nr. 10178, 2022

Abstract

<p>We present experimental evidence that enabling access to universal early child care for families with lower socioeconomic status (SES) increases maternal labor supply. Our intervention provides families with customized help for child care applications, resulting in a large increase in enrollment among lower-SES families. The treatment increases lower-SES mothers' full-time employment rates by 9 percentage points (+160%), household income by 10%, and mothers' earnings by 22%. The effect on full-time employment is largely driven by increased care hours provided by child care centers and fathers. Overall, the treatment substantially improves intra-household gender equality in terms of child care duties and earnings.</p>

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Aktuelle Trends: Insolvenzanträge als Frühindikator für den IWH-Insolvenztrend

Steffen Müller

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 3, 2023

Abstract

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Dekarbonisierung in Europa: Regionalwirtschaftliche Effekte in ausgewählten Kohleregionen und kohlenstoffintensiven Regionen Europa

Katja Heinisch Oliver Holtemöller Christoph Schult

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 3, 2023

Abstract

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