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Deutsche Wirtschaft am Rand der Rezession

In Deutschland ist das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal 2019 um 0,1% gesunken. Schwach war die konjunkturelle Grundtendenz schon vorher, aber zwei Sondereffekte haben den Produktionszuwachs im ersten Quartal erhöht und im zweiten deutlich ins Minus gezogen. Zum einen war die Bauproduktion zu Jahresanfang wegen des milden Winterwetters höher als saisonüblich. Zum anderen waren die Exporte nach Großbritannien im Februar und März recht stark und brachen in den Folgemonaten ein. Hintergrund ist der ursprünglich auf Ende März terminierte und im letzten Augenblick aufgeschobene Austritt Großbritanniens aus der EU: Um möglichen Lieferengpässen auszuweichen, wurden britische Importe vorgezogen, und Automobilproduzenten bezogen im April kaum Vorleistungsgüter, weil sie auf diesen Monat ihre Werksferien verlegt hatten.

Diese Sondereffekte ändern nichts an dem grundsätzlichen Konjunkturbild, dass sich das Verarbeitende Gewerbe in Deutschland seit Mitte vergangenen Jahres in der Rezession befindet. Während im Jahr 2018 vor allem die Produktion im Automobilbau und in der chemischen Industrie sank, war im zweiten Quartal 2019 der Maschinenbau von einem deutlichen Rückgang betroffen. Die Wertschöpfung im gesamten Verarbeitenden Gewerbe lag in diesem Zeitraum um 3,7% unter Vorjahresniveau. Die wesentliche Ursache dafür ist wohl eine schwächere Nachfrage aus dem Ausland. Allerdings lagen die Güterexporte im zweiten Quartal nur 0,8% unter Vorjahresniveau. Die große Diskrepanz erklärt sich daraus, dass im vom Nachfragerückgang besonders betroffenen Fahrzeug- und Maschinenbau der Anteil von Wertschöpfung in Deutschland besonders hoch ist. Der Nachfrageeinbruch gerade bei den für die deutsche Wirtschaft so wichtigen Investitionsgütern ist wohl wesentlich auf die Handelskonflikte zurückzuführen: Die unablässigen Konflikte lassen die künftigen Rahmenbedingungen für das Verarbeitenden Gewerbe unsicher erscheinen und dürften deshalb viele Unternehmer gerade von Investitionsgüterkäufen abhalten.

Die Binnennachfrage hat bislang nur moderat an Dynamik verloren. So lagen die Bauinvestitionen im zweiten Quartal um 2,2% über Vorjahresniveau, der private Konsum und die Ausrüstungsinvestitionen um 1,5%. Letztere dürften allerdings in eine Schwächephase kommen. Darauf deuten seit Jahresbeginn deutlich fallende Auftragseingänge für Investitionsgüter aus dem Inland hin. Die Erwartungs-Einzelindikatorprognosen für das zweite Halbjahr 2019 komponente des ifo-Indexes lag im August  Verteilung nach Wachstumsraten so tief wie seit dem Krisenjahr 2009 nicht mehr. Seit einigen Monaten fällt dabei nicht nur der Teilindex für das Verarbeitende Gewerbe, sondern auch für den Handel und die Dienstleister. Der auf Grundlage einer Vielzahl von Frühindikatoren errechnete IWH-Flash-Indikator deutet denn auch darauf hin, dass die Produktion in den beiden Schlussquartalen des Jahres 2019 kaum mehr als stagnieren wird (vgl. Abbildung 2). Das bedeutet aber auch, dass die deutsche Wirtschaft wohl nicht vor einer schweren Rezession steht. Dagegen sprechen zum einen die sehr günstigen Finanzierungsbedingungen, die es attraktiv erscheinen lassen, Ausgaben frühzeitig zu tätigen, und gemeinsam mit der Wohnraumknappheit insbesondere die kräftige Baukonjunktur am Leben halten werden. Auch kommen von der Finanzpolitik im Prognose-zeitraum recht kräftige Impulse. Schließlich nehmen die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte deutlich zu. Vor allem die Arbeitnehmereinkommen profitieren von der immer noch günstigen Lage auf den Arbeitsmärkten. Denn auch im zweiten Quartal hat sich die Beschäftigung erneut positiv entwickelt, auch wenn sich der Beschäftigungsaufbau abschwächte: Betrug die Zunahme der Erwerbstätigkeit seit dem Jahr 2015 durchschnittlich etwa 140 000 Personen pro Quartal, so nahm die Beschäftigung im zweiten Quartal 2019 nur noch um 50 000 bzw. 0,1% zu. Getragen wurde der Beschäftigungsaufbau erneut von der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Im Verarbeitenden Gewerbe, in dem trotz des seit Mitte 2018 zu beobachtenden Produktionsrückrückgangs die Beschäftigung weiter zugenommen hatte, ist der Beschäftigungsaufbau nunmehr zum Stillstand gekommen. Die Arbeitsproduktivität ging dabei weiter zurück. Zusammen mit den deutlichen Lohnsteigerungen hat dies zu einem weiteren kräftigen Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten geführt. Sie waren im zweiten Quartal um reichlich 4% höher als im Vorjahreszeitraum. Die registrierte Arbeitslosigkeit nahm im zweiten Quartal 2019 saisonbereinigt zu. Dies ist zum größeren Teil auf einen Sondereffekt zurückzuführen, der aus der statistischen Erfassung der registrierten Arbeitslosen resultiert.

Alles in allem stehen die Chancen gut, dass die Binnennachfrage im zweiten Halbjahr 2019 und auch im Jahr 2020 stabil bleibt, auch wenn die Auslandsnachfrage noch längere Zeit schwach sein dürfte. Das Bruttoinlandsprodukt steigt nach vorliegender Prognose im Jahr 2019 um 0,5%, nach 1,5% im Vorjahr. Im Jahr 2020 dürfte der Zuwachs bei 1,1% liegen. Bereinigt um die Mehrzahl an Arbeitstagen, die kalenderbedingt 2020 anfallen, ergibt sich eine Rate von 0,7%. Für das Jahr 2019 reicht das 68%-Prognoseintervall für den Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes von 0,2% bis 0,9%, für das Jahr 2020 von –0,4% bis 2,7%. (vgl. Abbildung 3). Der Auslastungsgrad der deutschen Wirtschaft nimmt deutlich ab. Die Preisdynamik ist weiterhin moderat. Im gesamten Prognosezeitraum dürfte die Beschäftigung – wenn auch abgeschwächt – weiter zunehmen. Dafür spricht auch der hohe Bestand an offenen Stellen. Im Jahr 2019 dürfte die Zahl der Erwerbstätigen um 0,9% und im Jahr 2020 um 0,5% steigen. Die Arbeitslosenquote wird im Jahr 2019 bei 5,0% und im Jahr 2020 bei 4,9% liegen.

Im Jahr 2018 belief sich der gesamtstaatliche Haushaltsüberschuss auf 62,4 Mrd. Euro – dies entspricht 1,9% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Damit ist der öffentliche Finanzierungssaldo acht Jahre in Folge gestiegen. Im laufenden Jahr dürfte sich der Überschuss der öffentlichen Haushalte erstmals wieder etwas verringern.

Hierzu trägt zum einen die expansiv ausgerichtete Finanzpolitik und zum anderen die spürbare konjunkturelle Abkühlung bei. So legen die Bruttolöhne und -gehälter nicht mehr so kräftig zu wie in den Jahren zuvor, und die Unternehmens- und Vermögenseinkommen werden erneut leicht zurückgehen. Im weiteren Verlauf dürfte sich der gesamtstaatliche Finanzierungssaldo weiter verringern. Zwar zieht die Konjunktur dann wieder etwas an, die Finanzpolitik bleibt jedoch expansiv ausgerichtet. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt beläuft sich der Überschuss der öffentlichen Haushalte im Jahr 2019 auf 1,5% und im Jahr 2020 auf 0,7%. Der um konjunkturelle und Einmaleffekte bereinigte strukturelle Finanzierungssaldo verringert sich bis zum Jahr 2020 ebenfalls auf 0,7% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (vgl. Tabelle 1).

Die konjunkturellen Risiken sind erheblich. So könnten die Handelsstreitigkeiten gerade zwischen den USA und der Europäischen Union wieder eskalieren. Denkbar ist in diesem Fall, dass im Prognosezeitraum hohe Zölle auf deutsche Autoexporte in die USA erhoben werden. Zudem wird in dieser Prognose unterstellt, dass es den Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes gelingt, Entlassungen in großem Umfang zu vermeiden. Es kann aber auch anders kommen, falls die Industrieproduktion weiter deutlich zurückginge und es zu einer größeren Zahl von Insolvenzen käme. Eine solche Entwicklung würde die Arbeitsmärkte und auch die Binnennachfrage erheblich belasten. Schließlich sind die konjunkturellen Folgen eines vertraglich nicht geregelten Austritts Großbritanniens aus der Europäische Union schwierig zu quantifizieren. Dies gilt nicht nur für das Land selbst, sondern auch für die EU und für die deutsche Wirtschaft.

In Ostdeutschland leidet das Verarbeitende Gewerbe ungefähr in gleichem Ausmaß wie in Westdeutschland unter der schwachen Nachfrage nach Exportgütern. Das zeigen Monatsdaten für die Ausfuhren auf Länderebene und die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe Ostdeutschlands im ersten Quartal. Allerdings hat das ostdeutsche Verarbeitende Gewerbe mit 16% einen geringeren Anteil an der Wertschöpfung als in Gesamtdeutschland (23%), und die zu einem großen Teil auf Dienstleistungen ausgerichtete Binnennachfrage spielt eine wichtigere Rolle. Sie dürfte weiter robust bleiben, auch weil gerade in Ostdeutschland die verfügbaren Einkommen zuletzt deutlich stärker expandiert haben als im Westen: Im Jahr 2018 lagen sie im Osten um 9,8% über ihrem Niveau im Jahr 2014, im Westen um 7,2%. Ein Grund dafür war bislang die besonders günstige Arbeitsmarktentwicklung. Allerdings ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Ostdeutschland zuletzt (seit März) nicht mehr gestiegen, und die Arbeitslosenquote verharrt bei 6,4%.

Alles in allem dürfte die ostdeutsche Produktion im Jahr 2019 mit 1% deutlich stärker als in Westdeutschland zulegen und auch im Jahr 2020 mit 1,3% den westdeutschen Zuwachs übertreffen. Im Jahr 2021 ist nach vorliegender Prognose die Zuwachsrate in Ostdeutschland so hoch wie die westdeutsche. Die Arbeitslosenquote nach der Definition der Bundesagentur für Arbeit geht von 6,9% im Jahr 2018 auf 6,5% im Jahr 2019, 6,3% im Jahr 2020 und 6,0% im Jahr 2021 zurück.

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