Inhalt
Seite 1
Warum ist Ostdeutschland 30 Jahre nach der Vereinigung immer noch weniger produktiv?Seite 2
Weder die „verlängerte Werkbank“ noch Preisunterschiede können den Rückstand erklärenSeite 3
Die physische Produktivität ist der Schlüssel – wodurch wird sie beeinflusst?Seite 4
Endnoten Auf einer Seite lesenHypothese 1: Verlängerte Werkbank
Sollte ein Produktivitätsrückstand tatsächlich daraus resultieren, dass Ost- und Westunternehmen Produkte an unterschiedlichen Positionen der Wertschöpfungskette herstellen, so müsste sich der Produktivitätsunterschied zwischen Ost- und Westunternehmen, zumindest in einer nennenswerten Größenordnung, verringern, wenn wir Unternehmen vergleichen, die ausschließlich ähnliche, an der gleichen Position in der Wertschöpfungskette angesiedelte Produkte herstellen. Anhand unserer Mikrodaten für das Verarbeitende Gewerbe können wir dies testen. Die Tabelle zeigt den Detailgrad unserer Daten, welche die Produkte des Verarbeitenden Gewerbes in ca. 6 000 verschiedene Produktkategorien unterteilen.
Hypothese 2: Preisunterschiede innerhalb gleicher Produktkategorien
Wenn die Produktivitätsunterschiede nicht durch die Hypothese der verlängerten Werkbank erklärt werden können, spielen dann Preisunterschiede innerhalb der gleichen Produktkategorien eine Rolle? In der Tat finden wir, dass 70% aller 10-Steller-Produkte im Verarbeitenden Gewerbe niedriger bepreist sind, wenn sie von einem Ostunternehmen hergestellt werden. Es existieren also deutliche Preisunterschiede zwischen Ost- und Westprodukten, auch wenn diese aus der gleichen, fein definierten Produktklasse stammen.
Bevor wir jedoch die Beziehung zwischen diesen Preisunterschieden und der Produktivitätslücke diskutieren, sind einige theoretische Vorüberlegungen zu den Ursachen von Outputpreisunterschieden angebracht.
Ein wesentlicher Aspekt ist, dass Industriegüter, wie wir sie betrachten, grundsätzlich überregional handelbar sind und dass somit ostdeutsche Produzenten grundsätzlich die gleichen Konsumenten und Märkte bedienen können, die auch der westdeutschen Konkurrenz offenstehen. Somit scheiden lokale Kaufkraftunterschiede als Ursache für Preisunterschiede aus. Waren in den Jahren nach der Vereinigung das Wissen um und die Kontakte zu überregionalen Kunden beim ostdeutschen Management naturgemäß noch begrenzt, so kann dies Jahrzehnte nach der Einheit keine plausible Erklärung mehr sein. Preisunterschiede auf integrierten Märkten spiegeln also Unterschiede im Nutzen wider, den die Konsumenten Produkten beimessen. Diese Nutzenunterschiede können objektiv aufgrund der Beschaffenheit der Produkte oder aufgrund von Reputationsunterschieden (z. B. Markennamen) bestehen.
In unserer Studie zeigen wir in einem ersten Schritt durch Schätzungen physischer Produktionsfunktionen, also Schätzungen, in denen die physische Outputmenge erklärt wird, dass ostdeutsche Produzenten bei gleichen Inputkosten etwa 20% mehr Güter herstellen als ihre westdeutsche Konkurrenz. Somit stellt das durchschnittliche ostdeutsche Industrieunternehmen in der Tat mehr Güter zu niedrigeren Verkaufspreisen her, was auf die Produktion von einfacherer Massenware hindeutet.
Vergleicht man in einem zweiten Schritt allerdings ost- und westdeutsche Produzenten, die bei gleicher Größe und bei gleichem Ressourceneinsatz das gleiche Produkt für den gleichen Preis produzieren, sind ostdeutsche Produzenten weniger produktiv als westdeutsche Unternehmen. Quantitativ ist dabei der Produktivitätsrückstand des Ostens selbst nach Konstanthaltung all dieser Faktoren nahezu unverändert. Da diese Analyse das Preissegment der Produkte und die Produkte selbst fixiert und ostdeutsche Unternehmen weiterhin weniger produktiv als westdeutsche Unternehmen sind, können Outputpreisunterschiede keine Erklärung für den Produktivitätsrückstand des Ostens auf Unternehmensebene sein.5
Vergleichen wir den Unterschied in der Produktivität zwischen Ost- und Westfirmen, nachdem wir ausschließlich Firmen innerhalb dieser fein definierten Produktkategorien vergleichen, so finden wir, dass dies nahezu keinen Einfluss auf den Produktivitätsunterschied besitzt: Der mittlere Produktivitätsrückstand auf Firmenebene für die Jahre 1999 bis 2014 beträgt unabhängig davon, ob wir für Produktkategorien kontrollieren, ca. 25% im Wertschöpfungskonzept bzw. 8% nach dem Umsatzkonzept.4 Sprich, die Hypothese der verlängerten Werkbank kann die Ost-West-Produktivitätslücke nicht erklären. Dies ist unser erstes Hauptergebnis.