Arbeitslosigkeit des Vaters spornt Mädchen zu Bildungsaufstieg an
Jugendarbeitslosigkeit ist in vielen europäischen Staaten derzeit ein akutes Problem. Nicht nur Armut, sondern auch Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften und Perspektivlosigkeit der Jugendlichen bedrohen inländische gesellschaftliche Strukturen. Steffen Müller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) hat sich in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg den möglichen Ursachen von Jugendarbeitslosigkeit gewidmet. Speziell gingen die Forscher und Forscherinnen der Frage nach, welchen Einfluss die Arbeitslosigkeit von Vätern auf deren Kinder hat – und ob die Effekte auf Söhne und Töchter unterschiedlich ausfallen.
Waren Väter arbeitslos, ist es bis zu 70% wahrscheinlicher, dass auch deren Kinder im Erwachsenenalter arbeitslos werden. Hierbei macht es zunächst auch keinen Unterschied, ob der Nachwuchs weiblich oder männlich ist. Der Zusammenhang von Arbeitslosigkeit des Vaters und Arbeitslosigkeit seiner Kinder ist vor allem dann besonders groß, wenn sich die Kinder im Zeitraum der väterlichen Arbeitslosigkeit in einem kritischen Alter befinden, nämlich zwischen 10 und 15 Jahre alt sind. Während sich dieser Zusammenhang aber bei Söhnen ausschließlich indirekt durch den Familienhintergrund erklären lässt – es also nicht die Arbeitslosigkeit des Vaters an sich ist, die Arbeitslosigkeit bei den Söhnen auslöst, sondern vielmehr das in der Familie geteilte Umfeld –, ist auf Töchter auch ein direkter Effekt zu beobachten. Ist der Vater im kritischen Alter der Tochter arbeitslos, erhöht diese Arbeitslosigkeit ihre Bildungsinvestitionen. Der überraschende positive Effekt ist sogar erheblich: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Tochter ein Hochschulstudium beginnt, wird um etwa 15 Prozentpunkte erhöht. Die Zeit, die sie in ihre Bildung investiert, erhöht sich durch väterliche Arbeitslosigkeit im Durchschnitt um sechs Monate, und auch die Wahrscheinlichkeit, das Abitur zu machen, steigt um mehr als 17 Prozentpunkte.
Doch weshalb investieren Mädchen mehr in Bildung, wenn der Vater arbeitslos wird aber Jungen nicht? Die Autorengruppe untersuchten hierbei drei ökonomische Erklärungsmuster. Eine erste Interpretation betrifft die nachgewiesen höhere Tendenz von Mädchen, Risiken zu vermeiden. Wird Arbeitslosigkeit in der Familie als Risiko für Wohlstand und Wohlergehen betrachtet und Bildung entsprechend als Versicherung gegen dieses Risiko, ist es nur plausibel, dass gerade die tendenziell risikovermeidenden Töchter intensiv versuchen dagegenzuarbeiten. Bei genauerer Untersuchung zeigt sich jedoch, dass die höhere weibliche Risikoaversion den beschriebenen Effekt nicht erklärt. Ebenso wenig erklären Rollenverständnisse die Ergebnisse. Obgleich anzunehmen wäre, dass durch die Arbeitslosigkeit des Vaters die Erwerbstätigkeit der Mutter stärker hervortritt und deren Vorbildfunktion auf die Tochter wirkt, zeigen sich auch bei Prüfung dieser Hypothese keine signifikanten Ergebnisse. Eine dritte Interpretation indes legt nahe, dass der Heiratsmarkt das Verhalten der Töchter erklären kann: Gerade in Familien mit niedrigem Bildungsniveau zeigt sich die Tendenz der Töchter, bei väterlicher Arbeitslosigkeit verstärkt in ihre eigene Bildung zu investieren. Gerade in dieser Gruppe könnte man daher erwarten, dass die Töchter versuchen, mit Bildung ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt zu verbessern – weil sie davon ausgehen, dass ihnen Bildung dabei hilft, einen Partner bzw. eine Parterin mit einem sicheren Arbeitsplatz zu finden.
Die vorliegende Untersuchung basiert auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Mithilfe der Gottschalk-Methode und Vergleichen innerhalb von Geschwisterpaaren wurden Söhne und Töchter untersucht, die in ihrem Leben mindestens einmal mit Arbeitslosigkeit des Vaters konfrontiert waren und zu diesem Zeitpunkt zwischen 10 und 15 Jahre alt waren. Die Gottschalk-Methode vergleicht Personen, die im „gefährdeten“ Alter von 10 bis 15 Jahren betroffen waren, mit Personen, deren Vater erst arbeitslos wurde, als sie bereits 25 bis 30 Jahre alt waren. Beim Geschwisterpaarvergleich wurden hingegen betroffene Geschwister innerhalb derselben Familie mit ihren älteren Geschwistern verglichen. Für die älteren Geschwister ist ein Effekt väterlicher Arbeitslosigkeit aufgrund ihres Alters unwahrscheinlich. Beide Methoden stellen unter gewissen Annahmen sicher, dass der Familienhintergrund die Ergebnisse nicht mehr beeinflusst und damit die väterliche Arbeitslosigkeit als alleinige Ursache festgemacht werden kann.
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Die IWH-Expertenliste bietet eine Übersicht der IWH-Forschungsthemen und der auf diesen Gebieten forschenden Wissenschaftler/innen. Die jeweiligen Experten für die dort aufgelisteten Themengebiete erreichen Sie für Anfragen wie gewohnt über die Pressestelle des IWH.
Zugehörige Publikationen
Paternal Unemployment During Childhood: Causal Effects on Youth Worklessness and Educational Attainment
in: IWH Discussion Papers,
8,
2016
publiziert in: Oxford Economic Papers
Abstract
Using long-running data from the German Socio-Economic Panel (1984-2012), we investigate the impact of paternal unemployment on child labor market and education outcomes. We first describe correlation patterns and then use sibling fixed effects and the Gottschalk (1996) method to identify the causal effects of paternal unemployment. We find different patterns for sons and daughters. Paternal unemployment does not seem to causally affect the outcomes of sons. In contrast, it increases both daughters‘ worklessness and educational attainment. We test the robustness of the results and explore potential explanations.