Eurostaaten von amerikanischen Ratingagenturen schlechter bewertet – Einführung einer europäischen Agentur dennoch nicht zielführend

Während der Schuldenkrise bewerteten amerikanische Ratingagenturen einige Eurostaaten signifikant schlechter als die eher europaorientierte Agentur Fitch. Das zeigt eine neue Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Damit bestätigen die Ökonomen und Ökonominnen zwar zum Teil, was viele Politiker und Politikerinnen bereits während der Krise behaupteten: dass nämlich die Ratings der amerikanischen Agenturen eine antieuropäische Tendenz aufweisen. Andererseits macht die Studie aber auch deutlich, dass und warum eine europäische Ratingagentur trotzdem unwirksam wäre.

Autoren Reint E. Gropp

Bekannt als die „Big Three“ sind es vor allem die drei Ratingagenturen Moody’s, Standard & Poor‘s (S&P) und Fitch Ratings (Fitch), die das Geschäft der Bonitätsprüfungen weltweit dominieren. Ihre Namen wurden der europäischen Öffentlichkeit vor allem während der Staatsschuldenkrise zwischen 2009 und 2012 bekannt, als diese nach und nach die Kreditwürdigkeit einiger Mitgliedstaaten herabstuften. Die Empörung war groß: Die beherrschende Stellung der drei amerikanischen Ratingagenturen auf der weltweiten Bühne wurde von politischer Seite heftig kritisiert, besonders in Europa. Der EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso behauptete beispielsweise im Juli 2011 – als Reaktion auf die Herabstufung Portugals –, die „Big Three“ seien antieuropäisch und hätten die Spekulationen auf die Euroländer befeuert. Als S&P im Dezember 2011 dann ankündigte, 15 Mitgliedstaaten der Eurozone herabzustufen, sorgte dies für weitere öffentliche Empörung. Neben der allgemeinen Dominanz der amerikanischen Ratingagenturen und der vermuteten Negativbehandlung Europas war es aber auch der Zeitpunkt, den die EU-Fühungspersönlichkeiten kritisierten. So setzte es doch gerade sie als Politiker und Politikerinnen unter Druck, in einer ohnehin undurchsichtigen Situation möglichst schnell eine überzeugende Strategie zu finden, um in Europa für Finanzstabilität zu sorgen. Schon bald wurde der Vorschlag eingebracht, eine ebenfalls weltweit aktive europäische Ratingagentur ins Leben zu rufen, um der angelsächsischen Dominanz etwas entgegenzusetzen.


Doch stellt sich in diesem Zusammenhang zunächst die Frage, ob die vermutete Schlechterbehandlung europäischer Staaten überhaupt den Tatsachen entspricht. Eine neue Studie des IWH gibt nun eindeutige Hinweise darauf, dass die Ratingagenturen die Eurostaaten tatsächlich unterschiedlich bewerteten: Fitch war während der Krise den Eurostaaten gegenüber deutlich positiver eingestellt. „Fitchs Ratings lagen im Schnitt 0,25 bis 0,59 Stufen höher als die Ratings der Konkurrenten“, so Andre Güttler, einer der Autoren der Studie. Unklar bleibt dabei allerdings, ob die amerikanischen Agenturen Europe „zu negativ“ bewerteten oder Fitch Europa „zu positiv“. „Erklären lässt sich das bessere Rating mit der tieferen Verwurzelung Fitchs in Europa. Mit seinem zweiten Hauptsitz in London (neben New York) ist Fitch allein schon geographisch näher an Europa gelegen, ganz im Gegensatz zu S&P oder Moody’s, deren Zentralen sich ausschließlich in New York befinden. Fitch wird außerdem mehrheitlich von der französischen Firmalec-Holding gehalten und ist damit als einziger Player der „Big Three“ nicht überwiegend in amerikanischem Besitz“. Vorgängerstudien hatten bereits darauf hingedeutet, dass die geographische oder kulturelle Nähe finanzielle Entscheidungen beeinflussen kann. Inwiefern dies aber konkret Ratings betrifft, war bisher noch nicht eindeutig. Die Studie um Andre Güttler und Gunter Löffler legt dies, zumindest im Rahmen der Schuldenkrise in Europa, nun aber nahe. Die Forscher gingen aber noch einen Schritt weiter und untersuchten, wie Investoren auf die unterschiedlichen Ratings während der Schuldenkrise reagierten. Denn sollte Fitchs optimistischere Einschätzung den Markt tatsächlich beeinflussen, wäre dies ein wichtiges Argument für die Etablierung einer europäischen Ratingagentur. Die Ergebnisse zeichnen allerdings ein anderes Bild. Fitchs Bewertungen hatten keinen Einfluss auf das Verhalten der Investoren. Diese reagierten in erster Linie auf die Einschätzungen der Kreditwürdigkeit der Euro-Staaten der amerikanischen Ratings. „Es darf daher bezweifelt werden, dass die Gründung einer europäischen Ratingagentur das Verhalten der Investoren beeinflussen könnte. Die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Agenturen am Markt ist einfach höher. Der Markt ist der Meinung, dass die amerikanischen Bewertungen der europäischen Staaten nicht zu negativ, sondern Fitchs Bewertung zu positiv waren“, schließt Reint E. Gropp, Präsident des IWH. „Fitch äußerste sich zwar positiver über die Mitglieder der Eurozone, aber einen Einfluss auf die Wahrnehmung der Kreditwürdigkeit der Eurostaaten auf Seiten der Investoren hatte das trotzdem nicht.“

Hier mag entgegnet werden, dass Fitch mit einem Marktanteil von nur knapp 17% unter Umständen allgemein deutlich weniger Einfluss hat als seine Mitbewerber mit einem Anteil von ca. 35% (Moody’s) und 40% (S&P). „Aber auch eine europäische Ratingagentur würde sich schnell in einer ähnlichen Situation wiederfinden“, so Gropp. „Die Wahrscheinlichkeit, die Wahrnehmung der Eurostaaten mit Hilfe einer neu geschaffenen Agentur zu beeinflussen, halte ich daher für sehr gering. Dazu wäre die Glaubwürdigkeit der neuen Agentur am Markt zu gering.“

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Die IWH-Expertenliste bietet eine Übersicht der IWH-Forschungsthemen und der auf diesen Gebieten forschenden Wissenschaftler/innen. Die jeweiligen Experten für die dort aufgelisteten Themengebiete erreichen Sie für Anfragen wie gewohnt über die Pressestelle des IWH.

Zugehörige Publikationen

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European versus Anglo-Saxon Credit View: Evidence from the Eurozone Sovereign Debt Crisis

Marc Altdörfer Carlos A. De las Salas Vega Andre Guettler Gunter Löffler

in: IWH Discussion Papers, 34, 2016
publiziert in: Journal of International Financial Markets, Institutions and Money

Abstract

We analyse whether different levels of country ties to Europe among the rating agencies Moody’s, S&P, and Fitch affect the assignment of sovereign credit ratings, using the Eurozone sovereign debt crisis of 2009-2012 as a natural laboratory. We find that Fitch, the rating agency among the “Big Three” with significantly stronger ties to Europe compared to its two more US-tied peers, assigned on average more favourable ratings to Eurozone issuers during the crisis. However, Fitch’s better ratings for Eurozone issuers seem to be neglected by investors as they rather follow the rating actions of Moody’s and S&P. Our results thus doubt the often proposed need for an independent European credit rating agency.

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