IWH leitet millionenschweres EU-Forschungsprojekt zur Produktivität

Verliert das Produktivitätswachstum in den Industrieländern an Schwung? Und wenn ja, warum? Mit diesen Fragen, die für die gesamte Wirtschaft von zentraler Bedeutung sind, befasst sich das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) ab Jahresbeginn 2019 als Koordinator eines neuen EU-Projekts. Unter dem Titel MICROPROD arbeiten Ökonomen und Statistikexperten neun europäischer Partner für drei Jahre zusammen. Mit einem Gesamtbudget von knapp drei Millionen Euro ist es das bislang größte EU-Projekt am IWH.

Autoren Steffen Müller

Die westliche Welt steht nicht nur politisch unter Spannung. Verteilungskämpfe innerhalb der Gesellschaft gewinnen an Schärfe, wenn die jährlichen Produktivitäts­zuwächse in der Wirtschaft nicht mehr groß genug ausfallen. Es ist deshalb auch ein Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, den das Leibniz-Institut für Wirtschafts­forschung Halle (IWH) mit seinem neuen Forschungsprojekt zum Produktivitäts­wachstum leistet. Unter dem Titel MICROPROD leitet das IWH als Projektkoordinator ab 1. Januar 2019 einen Verbund aus neun europäischen Partnern. Die Europäische Union finanziert das Vorhaben über drei Jahre im Rahmen des EU-Forschungs­programms Horizont 2020 mit knapp drei Millionen Euro. Es handelt sich um das größte EU-Projekt am IWH seit der Gründung des Instituts im Jahr 1992.

Gerade vor dem Hintergrund der digitalen Revolution und der Integration in welt­weite Wertschöpfungsketten hätte man mit spürbaren Produktivitätszuwächsen in den letzten Jahrzehnten rechnen müssen. Klassische Produktivitätskennzahlen legen nun jedoch nahe, dass das offenbar ausgeblieben ist. Untersucht wird im Projekt daher zunächst, ob das Produktivitätswachstum tatsächlich lahmt oder ob die Zuwächse statistisch nicht richtig erfasst werden. Moderne Volkswirtschaften produzieren immer mehr Dienstleistungen und komplexe, schlechter messbare Werte, etwa in Form von Lizenzen und Patenten oder Zulieferketten und Ver­triebswegen. MICROPROD wird deshalb unter anderem bislang nahezu ungenutzte Daten von nationalen Statistikämtern aus Europa auswerten. Ziel ist hierbei, die Messung von Produktivität statistisch und methodisch weiterzuentwickeln. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden ist Teil des Projektteams.

Im zweiten Schwerpunkt will MICROPROD die Determinanten von Produktivitäts­wachstum besser verstehen. Die Forscher fokussieren dabei die wirtschaftliche Mikroebene, also einzelne Firmen und Personen – daher der Projektname MICRO­PROD. Aus diesen Erkenntnissen wollen sie dann politikrelevante Erkenntnisse für gesamte Volkswirtschaften (Makroebene) gewinnen. Ein zentraler Aspekt ist da­bei, ob es trotz Fachkräftemangel und Niedrigzinspolitik weiterhin gelingt, dass Arbeitskräfte und Kapital zu den produktivsten Betrieben wandern.

Aus dem Projekt können sich Antworten unter anderem auf folgende Fragen er­geben: Wie entsteht Produktivitätswachstum im 21. Jahrhundert? Wie stark behin­dern niedrige Zinsen und in Schieflage geratene Banken den Marktaustritt unpro­duktiver Betriebe? Welche Anpassungslasten für die Beschäftigten entstehen durch Globalisierung und technologischen Wandel? Und welche Rahmenbe­dingungen müssen gesetzt werden, damit gute Ideen auch die nötigen Ressourcen erhalten? Den Transfer der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Politik und Öffent­lichkeit verantwortet im Projektteam der Brüsseler Thinktank Bruegel.

„Mit besseren Daten wollen wir in ein neues Zeitalter der Produktivitätsmessung vorstoßen“, sagt Steffen Müller, Leiter der Abteilung Strukturwandel und Produk­tivität am IWH und Projektleiter von MICROPROD. Durch das Vorhaben werde die Forschung am IWH gestärkt und die Vernetzung nach Brüssel ausgebaut. Instituts­präsident Reint E. Gropp ergänzt: „Es ist ein Riesenerfolg, dass das IWH dieses Pro­jekt federführend koordiniert. Das Thema steht im Zentrum unserer Forschungs­agenda, weil Produktivität für alle Bereiche der Wirtschaft von großer Bedeutung ist.“ Dank MICROPROD rechnet Gropp mit einer deutlich stärkeren Positionierung des IWH in der europäischen Forschungslandschaft.

Partner des EU-Forschungsprojekts MICROPROD („Raising EU Productivity: Lessons from Improved Micro Data“):

  • Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Deutschland (Leitender Projektkoordinator)
  • Aarhus Universitet, Dänemark
  • Università Commerciale Luigi Bocconi, Italien
  • Bruegel, Belgien
  • Magyar Tudományos Akadémia Közgazdaság– és Regionális Tudományi Kutatóközpont, Ungarn
  • École d’Économie de Paris, Frankreich
  • Stichting VU, Niederlande
  • Statistisches Bundesamt, Deutschland
  • University College London, Großbritannien

 

This project has received funding from the European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 822390.

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