Ostdeutsche Wirtschaft: Rückstand bleibt trotz kräftigem Aufschwung groß, Finanzausgleich fließt auch nach Reform vor allem in den Osten
„Das gute Abschneiden der ostdeutschen Wirtschaft ist deshalb bemerkenswert, weil sie (mit und ohne Berlin) seit 1996 im Schnitt langsamer als in Deutschland insgesamt gewachsen ist“, so Oliver Holtemöller. Der im Osten zuletzt deutlich höhere Anstieg der gesetzlichen Altersrenten und die auch wegen der Einführung des Mindestlohns höheren Lohnzuwächse im Osten haben den privaten Konsum sicher begünstigt. Auch ist denkbar, dass Ostdeutschland vom gegenwärtigen Aufschwung deshalb besonders profitiert, weil dieser in Gesamtdeutschland vor allem konsumgetrieben ist und in der ostdeutschen Wirtschaft die Konsumgüterbranchen relativ stark vertreten sind. Insgesamt ist die Konsumgüterproduktion aber nicht der Haupttreiber des ostdeutschen Aufschwungs; dieser dürfte eher auf Erfolge der ostdeutschen Unternehmen auf überregionalen Märkten zurückgehen, denn das vor allem für den überregionalen Markt produzierende Verarbeitende Gewerbe, und darunter vor allem die Investitionsgüterproduktion, hat in den ostdeutschen Flächenländern stärker expandiert als im Westen.
Das West-Ost-Gefälle in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bleibt aber noch groß. Das zeigt sich, wenn fünf westdeutsche und drei ostdeutsche Regionen nach der dort gemessenen Arbeitsproduktivität verglichen werden: Auch die produktivste ostdeutsche Region Mitte-Ost (Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt) reicht an die westdeutsche Region mit der geringsten Produktivität – die Region Nord‐West (Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein) – nicht heran. Zwar sind die West‐Ost‐Unterschiede verglichen mit den frühen 1990er Jahren deutlich geringer geworden, der Aufholprozess ist aber im Vergleich zu den 1990er Jahren sehr langsam.
Deshalb wird auch, wenn die Reform des Länderfinanzausgleichs im Jahr 2020 in Kraft getreten ist, der größte Teil der Zuweisungen vom Bund in den Osten der Republik fließen. Die Unterstützung finanzschwacher Länder wird in Zukunft vornehmlich die Aufgabe des Bundes sein. Die Bundesländer können mit durchschnittlich rund 4,4% mehr Einnahmen im Vergleich zum Jahr 2019 rechnen. Weil aber die Bundesergänzungs-zuweisungen (BEZ) zur Deckung der teilungsbedingten Sonderlasten in den ostdeutschen Ländern wegfallen, haben die fünf ostdeutschen Länder nach Einführung des neuen Systems vergleichsweise geringe Mehreinnahmen von durchschnittlich 3,3%. Sollte das Zinsniveau bis zum Jahr 2020 wieder deutlich steigen, müssten zwei ostdeutsche Länder, nämlich Brandenburg und Sachsen-Anhalt, die Mehreinnahmen überwiegend zur Begleichung der gestiegenen Zinslasten verwenden. Wenn man die relativ komplexe Ausgestaltung der neu geschaffenen BEZ genauer betrachtet, dann wird schnell deutlich, dass zukünftig die Länder-Finanz-Beziehungen nicht besser überschaubar sein werden. Zudem haben die umfangreichen Reformen nicht zu einer Verbesserung der Anreizwirkungen im Finanzausgleich geführt.
Langfassung:
Altemeyer-Bartscher, Martin; Heimpold, Gerhard; Holtemöller, Oliver; Lindner, Axel; Titze, Mirko: Ostdeutsche Wirtschaft: Rückstand bleibt trotz kräftigem Aufschwung groß, Finanzausgleich fließt auch nach Reform vor allem in den Osten. Konjunktur aktuell, Jg. 5 (3), 2017. Halle (Saale) 2017.
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