Debatte um Intel-Ansiedlung: IWH veröffentlicht umstrittene Zitate im Volltext
In einer öffentlichen Kontroverse über die Ansiedelung einer Chipfabrik in Magdeburg wurden Einschätzungen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) teils stark kritisiert. Die Kritik bezieht sich auf einzelne Zitate aus einem Medienbericht. Nach Ansicht des IWH ergeben die Aussagen in ihrem ursprünglichen Zusammenhang ein anderes Bild, weshalb sie hier vollständig wiedergegeben werden.
28. März 2023
Den jüngsten Anstoß zur Kontroverse um das vom US-Chiphersteller Intel geplante Werk in Magdeburg gab ein Bericht des Magazins „Der Spiegel“ vom 18.03.2023. Darin wurde der stellvertretende Präsident des IWH, Oliver Holtemöller, zitiert. Die Einschätzungen stießen in Teilen der Öffentlichkeit auf deutliche Kritik. Ein Großteil der Kritik bezieht sich auf Aussagen über Rahmenbedingungen für die Gewinnung hochqualifizierter Fachkräfte sowie auf den Satz: „Niemand steht Schlange, um in Sachsen-Anhalt arbeiten zu dürfen.“ Dieser Satz war im Original in einen ganzen Absatz zu Strukturwandel und Arbeitsmarkt eingebettet. Wir veröffentlichen hier die Zitate im Volltext, wie sie am 17.07.2022 von Holtemöller freigegeben wurden. Die Aussagen wurden gegenüber dem „Spiegel“ in dieser Form am 03.02.2023 bestätigt.
Über die Intel-Ansiedlung in Magdeburg:
„Das ist ein großer Erfolg, der positive Effekte haben wird – nicht nur in Magdeburg und der Region, sondern in ganz Mitteldeutschland. Denn: So viele Leute, wie Intel braucht, gibt es in Magdeburg gar nicht. Es müssen also zwangsläufig Leute dorthin ziehen, und viele werden auch aus anderen Regionen dorthin pendeln. Dadurch wird der Durchschnittslohn in der Region steigen, und das kommt auch den Beschäftigten in anderen Unternehmen zugute.“
Über den Faktor Demographie:
„Das mit Abstand wichtigste Thema für die ostdeutschen Flächenländer in den kommenden Jahrzehnten ist die Demographie. In Deutschland gehen jedes Jahr 400.000 Menschen mehr in Rente, als Junge auf dem Arbeitsmarkt dazukommen. Es fehlen in Zukunft also immer mehr Leute, der Wettbewerb um Arbeitskräfte wird härter, und das gilt erst recht für strukturschwache Regionen in Ostdeutschland. Vielerorts ist es heute schon schwierig, Stellen überhaupt noch zu besetzen.“
Über den Standort Magdeburg:
„Magdeburg ist nicht strukturschwach – aber für das, was da nun entsteht, ist die Struktur zu schwach: Die Landeshauptstadt hat weder einen internationalen Flughafen noch einen ICE-Anschluss. Es muss also viel passieren: Das Werksgelände muss gut und schnell erreichbar sein, insbesondere mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Für die Beschäftigten und deren Familien fehlen noch Schulen, Wohnungen, Freizeitangebote, Integrations- und Sprachkurse.“
Über die Chancen:
„Die Intel-Ansiedlung könnte einen Schub für die ganze Region bringen – aber das gelingt nur, wenn alle Akteure an einem Strang ziehen und sich gut vernetzen, da bedarf es großer Anstrengungen. Die Universität Magdeburg sollte Kooperationen mit Intel auf hohem Niveau gestalten. So könnten mehr und bessere Studierende in die Stadt gelockt werden, von denen einige anschließend bei Intel arbeiten könnten. Vielleicht gibt es dann auch mehr Firmengründungen aus der Universität heraus, sodass ein regionaler Schwerpunkt entsteht, ein Cluster.“
Über Strukturwandel und Arbeitsmarkt:
„Was viele hier noch nicht verstanden haben: Man kann nicht ein solch großes Unternehmen erfolgreich ansiedeln und ansonsten alles beim Alten belassen. Unsere Politik ist viel zu sehr darauf ausgerichtet, Bestehendes zu erhalten, statt Neues zu fördern. Strukturwandel bedeutet, dass Arbeitskräfte in zukunftsträchtige Branchen verlagert werden – und dadurch weniger produktive Firmen verschwinden. Das ist ganz normal. Ein Teil der Intel-Beschäftigten wird von Firmen aus der Region kommen, es wird also ein Ringen um fähige Leute geben, Mittelständler müssen dann höhere Löhne zahlen, und einige Unternehmen verschwinden auch. Vor allem aber: Die Region muss attraktiver werden für Zuwanderung, deutlich attraktiver, und das ist ein echtes Problem. Intel sucht Fachkräfte – also gut ausgebildete Leute aus aller Welt, die sich ihren Arbeitsplatz aussuchen können. Niemand steht Schlange, um in Sachsen-Anhalt arbeiten zu dürfen. Das ist kein rein ostdeutsches Problem, die Bleibedauer von qualifizierten Zuwanderern ist bundesweit zu kurz. Und: In Ostdeutschland ist Fremdenfeindlichkeit ein negativer Standortfaktor. Die Ministerpräsidenten sind aber immer noch damit beschäftigt, diesen massiven Standortnachteil zu ignorieren und abzustreiten. Solange das Problem abgestritten wird, können keine Lösungswege gefunden werden.“
Zum Medienbericht: "Ist das »Wunder von Magdeburg« in Gefahr?", in: Der Spiegel, 18.03.2023