Die Mär vom egoistischen Ökonomen – Wie Ökonomen auf Anreize reagieren
Menschen, die über ökonomische Bildung verfügen, reagieren stärker auf wirtschaftliche Anreize. Entgegen der verbreiteten Annahme handeln Ökonomen jedoch nicht egoistischer als Nicht-Ökonomen, wenn es darum geht, gemeinsam ein öffentliches Gut zu finanzieren. Mit Hilfe eines Experiments, in dem die Teilnehmer echtes Geld gewinnen konnten, wird gezeigt, dass Ökonomen sich stärker an den vorliegenden Anreizstrukturen orientieren. Auf der einen Seite tragen Ökonomen am Anfang leicht höher zu dem öffentlichen Gut bei und fangen signifikant später an, von der sozial optimalen Strategie abzuweichen. Auf der anderen Seite leisten Ökonomen zum Ende des Experiments, wenn Trittbrettfahrerverhalten weniger Konsequenzen hat, deutlich geringere Beiträge als Nicht-Ökonomen. Im zweiten Teil des Experiments wird den Teilnehmenden die Möglichkeit gegeben, in eine Erleichterung der kooperativen Finanzierung des öffentlichen Guts zu investieren, wobei zwischen einem investitionsfreundlichen (Geld-zurück-Garantie) und einem weniger investitionsfreundlichen Szenario (keine Garantie) unterschieden wird. Das Experiment zeigt, dass die Probanden mit ökonomischer Ausbildung auf diesen kleinen Unterschied in den Anreizstrukturen stärker reagieren.
14. März 2018
Das Klischee der egoistischen Ökonomen
Eine Vielzahl von politischen Entscheidungen wird von Ökonomen selbst oder unter Rückgriff auf Ökonomen als Politikberater getroffen. Daher ist die Frage von Bedeutung, ob Ökonomen aufgrund von Selektions- oder Ausbildungseffekten Entscheidungen anders treffen als andere Menschen. Bezüglich dieser Unterscheidung ist oftmals stark vereinfachend von den „egoistischen“ Ökonomen die Rede. Der Verdacht, Ökonomen handelten rationaler und selbstbezogener, bezieht sich auf die Betrachtung des homo oeconomicus, jener methodischen Figur, welche zuvorderst ihren eigenen Nutzen maximiert. So hat es sich in einigen Verhaltensexperimenten gezeigt, dass Ökonomen näher an der Handlungsweise des homo oeconomicus liegen als Nicht-Ökonomen. In diesen Experimenten geht es typischerweise um die Frage des Trittbrettfahrerverhaltens bei der Bereitstellung öffentlicher Güter. Durch gemeinschaftliche Nutzung öffentlicher Güter, wie beispielsweise im Umwelt- und Klimaschutz, stehen die Zielsetzungen der einzelnen Akteure (profitieren, jedoch möglichst wenig selbst beitragen) häufig in Konflikt mit dem sozialen Optimum (alle leisten einen angemessenen Beitrag).
Im Zusammenhang mit privaten Beiträgen zu öffentlichen Gütern liegt das Augenmerk in solchen Experimenten auf dem Zusammenspiel zwischen der individuellen Erwartung an die Kooperation der anderen Mitglieder der Gemeinschaft und den persönlichen Charakteristika. Tatsächlich konnte in solchen Versuchsanordnungen gezeigt werden, dass Ökonomen sich häufiger als Trittbrettfahrer verhielten als andere Personengruppen.1 Der vorliegende Beitrag2 konzentriert sich auf die Frage, ob diese Unterschiede wirklich aus rein egoistischem Verhalten der Ökonomen resultieren, oder ob die Ökonomen nicht vielmehr stärker auf vorherrschende Anreize reagieren. Würde dies zutreffen, so würde sich weiterführend die Frage stellen, ob Ökonomen in ihrer Funktion als Politikberater die Anreizwirkung bestimmter politischer Maßnahmen nicht fehleinschätzen, weil sie von ihrem eigenen Verhalten auf die Reaktionen der von den Politikmaßnahmen betroffenen Menschen schließen. Um mögliche Unterschiede zwischen Ökonomen und Nicht-Ökonomen genauer zu beleuchten, wurde in einem Laborexperiment das Verhalten der Ökonomen zu unterschiedlichen Zeitpunkten untersucht. Wenn nämlich die Finanzierung eines öffentlichen Guts durch freiwillige Beitragszahlungen über mehrere Runden hinweg simuliert wird, sind zu bestimmten Zeitpunkten, insbesondere zum Ende des Experiments, die Anreize, vom sozialen Optimum abzuweichen, viel höher. Im weiteren Verlauf des Versuchs wurde den Probanden außerdem die Möglichkeit gegeben, eine Institution zu finanzieren, die das ursprüngliche Dilemma zu überwinden half, indem sie eine soziale Verständigung innerhalb der Gruppe der Beitragszahler ermöglichte.
Das Experiment
Im Rahmen der Untersuchung nahmen 384 Studierende einer Universität an einem mehrstufigen Öffentliche-Güter-Experiment teil. Im Verlauf des Experiments konnten die Probanden Laborgeld erspielen. Am Ende des Experiments wurden die „Labordollar“ in echte Euro umgerechnet und die Teilnehmenden ihren Spielergebnissen entsprechend ausgezahlt. Das Experiment bestand aus insgesamt drei Teilen. Im ersten Teil wurde die Finanzierung eines öffentlichen Guts simuliert, in welches die Teilnehmenden ihr privates Laborgeld investieren konnten. Dabei mussten die Probanden in Gruppen von vier Personen entscheiden, ob sie ein zu Beginn des Spiels erhaltenes Geldbudget behalten oder in das öffentliche Gut investieren wollten. Einbehaltenes privates Geld blieb im Wert unverändert. Das gesamte in das öffentliche Gut investierte Geld hingegen wurde verdoppelt und im Anschluss an alle Mitglieder der Vierer-Gemeinschaft zu gleichen Teilen ausgezahlt.
Mit diesem Verfahren wird sichergestellt, dass es aus individueller Perspektive optimal ist, in der Hoffnung auf hohe Beiträge anderer Teilnehmenden das eigene Geld zu behalten. Würden allerdings alle Probanden so handeln, führte dies zu größeren Effizienzverlusten für die Gemeinschaft: Das öffentliche Gut kann nicht ausreichend finanziert werden. Dadurch wird klar, dass das soziale Optimum in der gemeinsamen Kooperation liegt. Nach zehnfacher Wiederholung dieses Mechanismus (zehn Beitragsperioden) in unveränderter Gruppenzusammensetzung war der erste Teil des Experiments beendet.
Vor Beginn des zweiten Teils wurden die Gruppen neu zusammengestellt, sodass niemand mit den bisherigen Mitspielenden in einer Gruppe gewesen sein konnte. In den neuen Gruppen konnten die Probanden mit Hilfe einer Video-Audio-Software zunächst bis zu drei Minuten miteinander kommunizieren. Dem liegt die Erfahrung früherer Experimente ähnlicher Art zugrunde, dass eine derartige Möglichkeit des persönlichen Austauschs die Beiträge zum öffentlichen Gut stark erhöhen sollte. Nach der Kommunikationsphase wiederholten die Probanden in ihren Gruppen den gleichen Mechanismus der freiwilligen Beiträge über zehn Runden wie im ersten Teil des Experiments.
Im Anschluss wurden die Gruppen erneut gemischt. Im dritten Teil des Experiments hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, die effizienzbringende Kommunikationsplattform, die sie im zweiten Teil kennengelernt hatten, als Gruppe zu finanzieren. Dabei wurden die Individuen über die Kosten der Plattform informiert und sollten voneinander unabhängig Beiträge dazu leisten. Lagen die Beiträge einer Gruppe über den vorgegebenen Kosten der Plattform, durften sie auch in der dritten Runde vor der ersten Beitragsperiode kommunizieren. Andernfalls musste der Mechanismus ohne Kommunikation wiederholt werden.
Im dritten Teil des Experiments wurde darüber hinaus zwischen zwei Szenarien unterschieden. Im ersten Szenario wurden die individuellen Beiträge, die für die Möglichkeit zur Kommunikation bezahlt wurden, im Falle einer gescheiterten Finanzierung der Plattform nicht rückerstattet. Im zweiten Szenario wurden die Beiträge in einem solchen Fall hingegen umgehend zurückgezahlt, sodass mit der Investition kein Verlustrisiko verbunden war. Somit ist das zweite Szenario investitionsfreundlicher als das erste.
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1. Kirchgässner, G.: (Why) are Economists Different?, in: European Journal of Political Economy, Vol. 21 (3), 2005, 543–562.
2. Dieser Beitrag basiert auf Altemeyer-Bartscher, M.; Bershadskyy, D.; Schreck, P.; Timme, F.: Endogenous Institution Formation in Public Good Games: The Effect of Economic Education. IWH Discussion Papers 29/2017, Halle (Saale) 2017.
Ergebnis 1: Ökonomen sind nicht egoistischer
Um etwas über die persönlichen Charakteristika bestimmter Gruppen zu erfahren, muss man sich auf den Beginn des Experiments konzentrieren. Der Grund hierfür liegt darin, dass den Probanden zu Beginn des Mechanismus der freiwilligen Beiträge noch keine Information über die Verhaltensweise ihrer Mitspielenden vorliegt. Sollte die simple Aussage, dass Ökonomen im Durchschnitt egoistischer sind, wahr sein, müsste man in der ersten Beitragsrunde diese Unterschiede deutlich erkennen.
Ergebnis 2: Ökonomen gehen das Dilemma an – wenn die Regeln stimmen
Gibt man den Probanden jedoch die Möglichkeit, das Dilemma zu lösen, indem sie vor Beginn der eigentlichen Beitragszahlungen zunächst eine Kommunikationsplattform aufbauen, lassen sich mehrere Ergebnisse feststellen. Zum einen waren nur die wenigsten Gruppen im dritten Teil des Experiments in der Lage, die Plattform für den persönlichen Austausch zu finanzieren (7 von 32 in der Standardumgebung und 8 von 32 in der investitionsfreundlichen Umgebung). Wie erwartet stiegen die durchschnittlichen Beiträge zur Plattform in der investitionsfreundlichen Umgebung an. Insbesondere fällt dabei der Anteil der Ökonomen ins Gewicht, welche ihre Beiträge im Vergleich zum anderen Szenario um ungefähr 50% erhöhten (vgl. Tabelle). Bei den Nicht-Ökonomen gab es sogar eine leichte Senkung der Beiträge, die jedoch statistisch nicht signifikant war. Dies verstärkt den Eindruck, dass die Ökonomen stärker auf die entsprechenden Anreize reagieren als Nicht-Ökonomen.
Dem ist jedoch nicht so. Zwar handelt ein höherer Anteil der Ökonomen in der ersten Periode als Trittbrettfahrer, jedoch befindet sich auch ein höherer Anteil von ihnen in der Gruppe derer, die sozial optimale Beiträge leisten (vgl. Abbildung 1). Somit hatten Ökonomen lediglich eine höhere Varianz in ihren Beiträgen als Nicht-Ökonomen. Zusätzlich wird beobachtet, dass Ökonomen im Schnitt länger bei den sozial optimalen Beiträgen bleiben.
Große Unterschiede gibt es jedoch bei den Beiträgen in den letzten Perioden, welche unter dem Begriff end game zusammengefasst werden. In den letzten Perioden ist es viel verlockender, nichts zum öffentlichen Gut beizutragen, da keine Konsequenzen auf die verweigerte Kooperation in den folgenden Perioden mehr möglich sind. Hier wurde beobachtet, dass Ökonomen im end game deutlich niedrigere Beiträge leisten als Nicht-Ökonomen (vgl. Abbildung 2).
Fazit
Das Experiment hat gezeigt, dass die vereinfachte Aussage, Ökonomen handelten in Experimenten mit öffentlichen Gütern per se egoistischer, nicht bestätigt werden kann. Vielmehr handeln die Ökonomen flexibler und passen ihre Aktionen stärker an das aktuelle Problem an. Dies kann sowohl durch einen Selektionseffekt (Menschen, welche auf Anreize achten, studieren häufiger Wirtschaftswissenschaften) als auch mit dem Bildungseffekt (im Verlauf des Studiums wird die Analyse der ökonomischen Anreize geschärft) erklärt werden. Zu Beginn des Experiments, wenn die positiven Effekte der zukünftigen Kooperation am stärksten sind, leisten die Ökonomen im Durchschnitt ungefähr eine Runde länger die sozial optimalen Beiträge. Mit einer sich kontinuierlich abschwächenden Kooperation und dem Näherkommen der letzten Zeitperiode verändern die Ökonomen ihre Beiträge in Richtung des typischen Trittbrettfahrerverhaltens. Bietet man den Ökonomen jedoch eine investitionsfreundliche Umgebung, sind sie bereit, höhere Beiträge als die Nicht-Ökonomen zu leisten, um das Dilemma zu lösen.
Die Erkenntnis, dass sich Ökonomen anders, nämlich stärker an den jeweils aktuellen Anreizen orientiert handeln, hat dabei mehrere Implikationen. Zum einen ist Vorsicht geboten, wenn aus der Analyse von Laborexperimenten, deren Teilnehmende häufig zu einem beachtlichen Teil aus wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen stammen, auf die Wirkung bestimmter Anreizmechanismen auf die externe Welt geschlossen wird. Zum anderen sollte bei der Anwendung verhaltensökonomischer politischer Maßnahmen (Nudging durch Lebensmittelampeln, Schock- Fotos auf Zigarettenverpackungen, Investitionsanreize durch Abwrackprämien) berücksichtigt werden, wie sehr betroffene Personengruppen auf eine Veränderung der Anreize reagieren. Dabei kann es möglicherweise zu einem „Falscher-Konsensus-Effekt“ kommen: Man geht bei den Mitmenschen vereinfachend von ähnlichen Verhaltensweise aus, wie man sie selbst an den Tag legt. Somit ist es denkbar, dass Ökonomen die Wirkung von Anreizen auf andere Personengruppen überschätzen, weil sie selbst „anreizsensibler“ sind als andere. Dies zu prüfen wird Gegenstand weiterer Forschung sein.