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Drehtüren in den Vorstandsetagen der Finanzaufsicht: Sind Banker oder Bürokraten die besseren Aufseher?

Der „umgekehrte Drehtüreffekt“ beschreibt das Phänomen, wenn ehemalige Bankerinnen und Banker Vorstandspositionen in nationalen Aufsichtsbehörden (National Supervisory Agency, NSA) bekleiden. Ein neu erhobener Datensatz zeigt, dass etwa ein Drittel der Vorstandsmitglieder in europäischen NSA vorher in der Finanzindustrie tätig war. Die Bestellung ehemaliger Banker in NSA-Vorstände geht mit positiven Börsenreaktionen einher, was auf eine „Näheprämie“ in der Bewertung beaufsichtigter Banken hindeutet. Im Gegensatz dazu ruft die Berufung von Bürokraten ohne praktische Vorkenntnisse in der Bankenwelt negative Börsenreaktionen hervor. Bis zur Einführung des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) in Europa korreliert die Präsenz ehemaliger Banker in NSA-Vorständen mit einer geringeren regulatorischen Kapitalquote, was auf einen nachsichtigeren Aufsichtsstil schließen lässt.

19. Juni 2024

Autoren Michael Koetter Noel Nietzold

Die Verflechtung von Finanzbranche und Bankenaufsicht

Der Austausch von Fachkräften zwischen dem Finanzsektor und Regulierungsbehörden ist ein bekanntes Phänomen, das oft als „Drehtüreffekt“ bezeichnet wird. Meist wird der Wechsel von Mitarbeitenden aus Regulierungsbehörden in die Finanzindustrie in den Vereinigten Staaten untersucht. Daneben gibt es auch eine weniger erforschte, aber ebenso bedeutsame Kehrseite: den Wechsel aus der Finanzbranche in nationale Aufsichtsbehörden, den so genannten „umgekehrten Drehtüreffekt“. 

Ob diese umgekehrte Drehtür die Effektivität der Bankenaufsicht positiv oder negativ beeinflusst, ist im Vorhinein unklar. Wenn ehemalige Bankangestellte in Aufsichtsbehörden ernannt werden, kann dieser Transfer von Branchenkenntnissen zu einer qualitativ besseren Regulierung führen. Andererseits besteht das Risiko von Interessenskonflikten und weniger strenger Aufsicht. Der „umgekehrte Drehtüreffekt“ könnte somit tiefgreifende Auswirkungen auf die Art und Weise haben, wie Banken reguliert werden und wie sie auf regulatorische Vorgaben reagieren. Weil nationale Bankenaufsichtsbehörden eine entscheidende Rolle in der Überwachung und Regulierung des europäischen Finanzsektors einnehmen, kommt dieser Dynamik insbesondere in Europa eine besondere Bedeutung zu. 

Der diesem Artikel zugrunde liegende Forschungsbeitrag widmet sich eingehend der Untersuchung des Ausmaßes und der Folgen des umgekehrten Drehtüreffekts.1 Die Studie untersucht die Karrierepfade von Exekutivdirektorinnen und -direktoren in nationalen Aufsichtsbehörden. Sie zeigt, wie diese die Regulierung von Banken beeinflussen und wie Finanzsektor und Aufsichtsorgane interagieren. Die Erkenntnisse sind von Bedeutung, um zu verstehen, wie personelle Überschneidungen zwischen Banken und ihren Regulierungsbehörden das Finanzsystem in seiner Stabilität und Integrität beeinflussen können.

Daten und Methodik

Die Studie untersucht die Karrierewege von 185 Führungskräften in 13 nationalen Aufsichtsbehörden, welche für die Bankenaufsicht in den zehn größten EU-Volkswirtschaften zwischen 2002 und 2019 verantwortlich waren. Die manuelle Erhebung der Lebensläufe dieser Direktorinnen und Direktoren erlaubt es, Karrierepfade nachzuvollziehen und die exakten Zeitpunkte der Ankündigung ihrer Ernennungen zu bestimmen. Ergänzend zu dieser manuellen Erhebung wurde eine alternative Datenbank aus der BoardEx-Datenbank für den gleichen Zeitraum erstellt, um Ernennungen im Finanzsektor mit denen in anderen Wirtschaftssektoren zu vergleichen. Für die Analyse der Auswirkungen dieser Ernennungen auf die Finanzmärkte wurde das Augenmerk auf gelistete Banken gelegt, die vom Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) und der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde als systemrelevant eingestuft wurden. Für diese Banken wurden Börsen- und Rechnungslegungsdaten aus verschiedenen Quellen bezogen und überprüft.

Die Dynamik der „umgekehrten Drehtür“ im Europäischen Bankensektor

Die Laufbahnen der Exekutivdirektion in den Aufsichtsbehörden bieten aufschlussreiche Einblicke in die Struktur und das Innenleben des europäischen Bankensektors. Der überwiegende Teil der NSA-Direktorinnen und -Direktoren, nämlich 92%, war vor der Berufung in die Aufsichtsbehörde mindestens einmal im öffentlichen Sektor tätig, meist bei der Finanzaufsicht (69%). Gleichwohl haben auch 51% der NSA-Vorstände Erfahrung im privaten Sektor vorzuweisen, welche vier von zehn Vorständen in Finanzinstitutionen gesammelt haben. Das Gegenteil ist bei der Erfahrung der Bankvorstände der Fall, welche vornehmlich aus anderen Führungspositionen in der Privatwirtschaft rekrutiert werden. Diese Unterschiede deuten auf eine geringere Wechselbereitschaft unter Führungskräften aus der Finanzaufsicht hin. Möglicherweise sind hierfür die Anhäufung hochspezialisierten Wissens im Laufe dieser Karrieren sowie Präferenzen für einen stabilen Karriereweg mit geringer Arbeitsplatzunsicherheit die Gründe. Die Tatsache, dass etwa die Hälfte aller NSA-Vorstände vor ihrer Berufung Managementpositionen in derselben Institution innehatte, verdeutlicht den Eindruck fester Beförderungswege. 

Gleichzeitig enthüllen diese neu erhobenen Daten bemerkenswerte systematische Unterschiede zwischen einzelnen europäischen Bankenmärkten. Ein Aspekt ist, dass in neun der zehn betrachteten Länder seit 2002 auch ehemalige Banker in den Vorständen vertreten sind. „Umgekehrte Drehtüren“ sind also eher die Regel und nicht die Ausnahme in der europäischen Aufsichtskultur. Eine zweite Regelmäßigkeit ist, dass interne Karrierewege für ausgewählte Nationen typisch sind, zum Beispiel Frankreich, Deutschland und insbesondere Italien. In diesen sozio-ökonomischen Systemen herrscht historisch eher eine gewisse Tradition bürokratischer Karrieren vor, während im Gegensatz dazu die Vorstände der Aufsichtsbehörden in traditionell eher marktliberal orientierten Ökonomien, wie z. B. Großbritannien, davon gekennzeichnet sind, dass mehr NSA-Vorstände extern rekrutiert werden. Während der Studienabschluss in Wirtschaftswissenschaften am häufigsten anzutreffen ist, ist es zudem bemerkenswert, dass in den Ländern mit vornehmlich NSA-internen Beförderungen in den Vorstand auch die geringste Häufigkeit von Hochschulabschlüssen irgendeiner Fachrichtung zu verzeichnen ist.

Börsenreaktionen: Das Kapitalmarktecho auf neue Vorstände in der Finanzaufsicht

Als nächstes betrachtet die Studie die Auswirkung von Vorstandsernennungen in den NSAs auf Aktienkurse. Die Analyse verwendet einen Ereignisstudienansatz. Dabei werden gepoolte Regressionen spezifiziert, um die Differenz zwischen der realisierten und der erwarteten (normalen) Rendite eines Wertpapierpreises bei 123 Vorstandsernennungen zwischen 2002 und 2019 empirisch zu schätzen. Allgemeine Marktschwankungen und spezifische Bankeigenschaften werden dabei berücksichtigt, um ein genaues Bild der Marktreaktionen zu erhalten. Der empirische Befund zeigt, dass die Berufung von Personen ohne Finanzhintergrund durchschnittlich zu einem Rückgang der Aktienrenditen um 0,2% führt – ein statistisch signifikantes Ergebnis. Im Gegensatz dazu reagieren Aktienkurse positiv auf die Ernennung von Personen mit Finanzerfahrung. Ein signifikanter Wendepunkt ist die Einführung des SSM im Jahr 2014, was die Marktreaktionen auf Vorstandsernennungen maßgeblich beeinflusst hat. Seitdem sind die Reaktionen des Marktes auf Vorstandsernennungen gedämpfter. Dies deutet darauf hin, dass sich die Erwartungen an die Bankenaufsicht gewandelt haben. Die Analyse deckt zudem auf, wie politische Ereignisse und die Medienberichterstattung die Marktreaktionen beeinflussen. Besonders Ernennungen, die im Fokus der öffentlichen und medialen Aufmerksamkeit stehen, lösen stärkere Reaktionen an den Aktienmärkten aus. Dies unterstreicht die Bedeutung der öffentlichen Wahrnehmung und der Kommunikation in diesem Kontext. Interessanterweise zeigt die Untersuchung auch, dass der Kontext eines Vorstandswechsels – sei er geplant oder ungeplant – keinen ausschlaggebenden Einfluss auf die Marktreaktionen zu haben scheint. Vielmehr sind es die individuellen Eigenschaften und das Profil der ernannten Personen, die für die Marktteilnehmenden im Vordergrund stehen.

Bankergebnisse und der Einfluss der Aufsichtsbehörden

Die Untersuchung beleuchtet die entscheidende Rolle, die die Vorstandszusammensetzung der NSA für die finanziellen Ergebnisse der Banken spielt. Neben der Analyse von Aktienrenditen wird als nächstes untersucht, ob und wie sich die Fachkenntnisse und Erfahrungen der NSA-Vorstände auf Schlüsselindikatoren der Banken, wie Kapitalquote und Vermögenswachstum, auswirken. 

Panelregressionen auf Bankebene zeigen, dass Vorstandsmitglieder mit Finanzerfahrung in den NSA eine leicht positive Korrelation mit der Kapitalquote der Banken aufweisen, auch wenn diese Effekte statistisch nicht signifikant sind (vgl. Abbildung 1).

Hervorzuheben ist jedoch das beobachtete stärkere Vermögenswachstum bei Banken, die von NSA mit ehemaligen Bankmanagern im Vorstand beaufsichtigt werden (vgl. Abbildung 2). Ein weiterer bemerkenswerter Punkt ist der Einfluss ehemaliger Aufseherinnen und Aufseher, die nun Vorstandsposten bei Banken innehaben. Während sich kein direkter Einfluss auf die Kapitalquote feststellen lässt, ist ein beschleunigtes Vermögenswachstum bei diesen Banken zu beobachten.

Die Rolle des SSM verdient eine besondere Beachtung. Die Analyse legt nahe, dass die Verbindung zwischen der Finanzerfahrung der NSA-Vorstandsmitglieder und der Kapitalquote der Banken seit der Einführung des SSM an Bedeutung gewinnt. Hingegen zeigen die jährlichen Ergebnisse für das Wachstum der Aktiva seit der Einführung keine klaren Trends. Insgesamt legt die Analyse nahe, dass Aufsichtsbehörden mit einem hohen Anteil an ehemaligen Finanzexpertinnen und -experten vor Einführung des SSM eine weniger strenge Regulierung verfolgten. Es zeigte sich, dass Banken unter solchen Aufsichtsbehörden tendenziell geringere regulatorische Eigenkapitalquoten und ein schnelleres Vermögenswachstum aufwiesen. Nach der Implementierung des SSM, der die Aufsichtsbefugnisse von den nationalen Behörden auf die Europäische Zentralbank (EZB) verlagerte, schwächten sich diese Trends ab.

Fazit

"Umgekehrte Drehtüreffekte" sind eher die Regel als die Ausnahme im europäischen Bankensektor und haben möglicherweise weitreichende Auswirkungen auf die Aufsichtspraxis. Etwa ein Drittel der Exekutivdirektion in den Aufsichtsbehörden kommt aus der Finanzindustrie. Ihre Ernennung führt zu positiven Reaktionen am Aktienmarkt, was auf eine „Näheprämie“ hindeutet, aber auch Risiken einer nachsichtigeren Aufsicht birgt. Vor der Einführung des SSM war diese nachsichtigere Aufsicht deutlich erkennbar. Weitere Forschung ist notwendig, um die vollständigen Auswirkungen dieses Phänomens auf die Finanzstabilität und die Effektivität der Banken- aufsicht zu erfassen.2

Endnoten

1 Vgl. Colonnello, S.; Koetter, M.; Sclip, A.; Wagner. K.: The Reverse Revolving Door in the Supervision of European Banks. IWH Discussion Paper 25/2023. Halle (Saale) 2023. 

2 Die ausführliche Originalfassung dieses Artikels erschien am 8. März 2024 in der WirtschaftsWoche.

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The Reverse Revolving Door in the Supervision of European Banks

Stefano Colonnello Michael Koetter Alex Sclip Konstantin Wagner

in: IWH Discussion Papers, Nr. 25, 2023

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We show that around one third of executive directors on the boards of national supervisory authorities (NSA) in European banking have an employment history in the financial industry. The appointment of executives without a finance background associates with negative valuation effects. Appointments of former bankers, in turn, spark positive stock market reactions. This „proximity premium“ of supervised banks is a more likely driver of positive valuation effects than superior financial expertise or intrinsic skills of former executives from the financial industry. Prior to the inception of the European Single Supervisory Mechanism, the presence of former financial industry executives on the board of NSA associates with lower regulatory capital and faster growth of banks, pointing to a more lenient supervisory style.

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