Cover_wiwa_2024-02.jpg

Effiziente grüne Transformation

Der deutschen Klimapolitik fehlt die große strategische Linie. Die Menschen werden sich nur dann für mehr Klimaschutz einsetzen und bereit sein, dafür finanzielle Opfer zu bringen, wenn die Lasten des Strukturwandels gerecht verteilt sind. Gerecht heißt, dass dort klimaschädliche Gase eingespart werden, wo es am kostengünstigsten ist. Ohne Märkte und die richtigen Preisanreize geht das nicht.

19. Juni 2024

Autoren Reint E. Gropp Oliver Holtemöller

In unseren Augen gibt es sechs entscheidende Punkte, die eine gute Klimapolitik ausmachen. Erstens, die entscheidende Instanz bei der grünen Transformation ist die Europäische Union. Maßnahmen, die nur innerhalb eines Staates wirken, sind ineffektiv und sogar kontraproduktiv. Deutschlands gegenwärtige Klimaziele sind ehrgeiziger als die der EU. EU-weit werden dadurch nicht weniger Treibhausgase ausgestoßen, aber die Anpassungslasten zuungunsten Deutschlands verteilt. Darum braucht es eine einheitliche Obergrenze für Treibhausgase auf der EU-Ebene.

Zweitens, diese Obergrenze bestimmt die Anzahl der CO2-Zertifikate. Die Menge der Zertifikate sollte mit der Zeit abnehmen, und dies sollte langfristig und transparent kommuniziert werden, damit Unternehmen und Haushalte planen können. Somit steigt zunächst der CO2-Preis. Haben alle Sektoren auf eine überwiegend CO2-freie Energieversorgung umgestellt, sinkt der Preis. Der Zertifikatehandel sollte europaweit und sektorübergreifend erfolgen, womit durch die von der EU-Kommission beschlossene Reform des Emissionshandels (EU-ETS II) ab dem Jahr 2027 zu rechnen ist. Verbote sind nicht hilfreich: Würde etwa der Verkehrssektor besonders viel CO2 reduzieren, weil Sonntagsfahrten untersagt wären, würde der dadurch niedrigere CO2-Preis Einsparungen oder Innovationen in anderen Bereichen ausbremsen.

Drittens müssen Klimazölle eingeführt werden. Handelspolitik und somit auch Zölle werden auf EU-Ebene entschieden. Da Klimazölle mit dem CO2-Preis korrespondieren müssen, müssen folglich auch die Klimaziele auf EU-Ebene festgelegt werden. Die Kommission hat beschlossen, Klimazölle ab 2026 einzuführen. Das bedeutet: Je größer der CO2-Fußabdruck eines Produkts, desto höher der Zoll. Selbst eine Klimapolitik auf EU-Ebene wirkt nur mit Klimazöllen effektiv auf den globalen Ausstoß von Treibhausgasen.

Viertens, Prognosen zeigen, dass der Stromverbrauch bis 2030 um rund 50% steigen wird. Die steigende Nachfrage können Windräder und Solarzellen nicht decken, zumal die Verstromung von Kohle beendet wird. Deutschland muss also mehr klimaneutralen Strom produzieren und dafür weitere Energiequellen erschließen. Aus Klimaperspektive sollte auch Atomkraft nicht völlig ausgeschlossen werden.

Aufgrund der Pfadabhängigkeit von Forschung sollte, fünftens, die Forschung und Entwicklung von Energieeffizienz und -innovationen stärker gefördert werden. Selbst unter optimistischen Annahmen wird sich der Ausstoß von Treibhausgasen wohl nicht auf null reduzieren lassen. Deshalb sollten Technologien, mit denen man Kohlendioxid aus der Atmosphäre holen kann, besonders beachtet werden.

Wie jeder Strukturwandel führt auch die grüne Transformation zu sozialen Härten. Diese Lasten sollten, sechstens, innerhalb des bestehenden Sozialsystems abgefedert werden. Dabei sollten staatliche Hilfen nur bedürftigen Haushalten zugutekommen und Subventionen, wenn überhaupt, nur an Unternehmen fließen, wenn die Anreize, CO2 einzusparen, gewahrt bleiben. Für den Erfolg der grünen Transformation braucht es diese sechs Punkte, nicht mehr und nicht weniger. Wir sind der Meinung, dass eine klare Kommunikation dieser Punkte durch den Staat nicht nur zu einer Minimierung der Anpassungslast bei der Transformation zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft, sondern auch zu einer deutlich besseren Akzeptanz der notwendigen Veränderungen bei Unternehmen und Haushalten führen würde.1

1 Die ausführliche Originalfassung dieses Kommentars erschien am 17. Juni 2024 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Empfohlene Publikationen

cover_iwh-pn_2024-02_de.jpg

Sechs Punkte für eine effiziente grüne Transformation

Reint E. Gropp Oliver Holtemöller

in: IWH Policy Notes, Nr. 2, 2024

Abstract

<p>Die grüne Transformation, verstanden als ein Prozess, Energie zunehmend treibhausgasneutral zu erzeugen, kann mit marktwirtschaftlichen Instrumenten und dafür erforderlichen Rahmenbedingungen kostengünstiger umgesetzt werden als mit staatlicher Steuerung des Energieverbrauchs und der Energieerzeugung. Kosteneffizienz ist von entscheidender Bedeutung für die Bereitschaft und Fähigkeit der Bevölkerung, die Lasten der Transformation zu tragen, und für eine gerechte Verteilung der Lasten.</p>

Publikation lesen

Außerdem in diesem Heft

Cover_wiwa_2024-02.jpg

Aktuelle Trends: Rückgang der Treibhausgasemissionen im Jahr 2023 etwa zur Hälfte durch Produktionsrückgang bedingt

Oliver Holtemöller

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 2, 2024

Abstract

<p>Die Treibhausgasemissionen sind im Jahr 2023 in Deutschland um 76 Mio. Tonnen von 750 Mio. Tonnen im Jahr zuvor auf 674 Mio. Tonnen zurückgegangen.<sup>1</sup> Der Rückgang fiel damit deutlich stärker aus als in den Jahren zuvor.</p>

Publikation lesen

Cover_wiwa_2024-02.jpg

Drehtüren in den Vorstandsetagen der Finanzaufsicht: Sind Banker oder Bürokraten die besseren Aufseher?

Michael Koetter Noel Nietzold

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 2, 2024

Abstract

<p>Der „umgekehrte Drehtüreffekt“ beschreibt das Phänomen, wenn ehemalige Bankerinnen und Banker Vorstandspositionen in nationalen Aufsichtsbehörden (National Supervisory Agency, NSA) bekleiden. Ein neu erhobener Datensatz zeigt, dass etwa ein Drittel der Vorstandsmitglieder in europäischen NSA vorher in der Finanzindustrie tätig war. Die Bestellung ehemaliger Banker in NSA-Vorstände geht mit positiven Börsenreaktionen einher, was auf eine „Näheprämie“ in der Bewertung beaufsichtigter Banken hindeutet. Im Gegensatz dazu ruft die Berufung von Bürokraten ohne praktische Vorkenntnisse in der Bankenwelt negative Börsenreaktionen hervor. Bis zur Einführung des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) in Europa korreliert die Präsenz ehemaliger Banker in NSA-Vorständen mit einer geringeren regulatorischen Kapitalquote, was auf einen nachsichtigeren Aufsichtsstil schließen lässt.</p>

Publikation lesen

Cover_wiwa_2024-02.jpg

Rent-Sharing und Energiekosten: In welchem Umfang geben Industrieunternehmen Gewinne und Verluste an ihre Beschäftigten weiter?

Matthias Mertens Steffen Müller Georg Neuschäffer

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 2, 2024

Abstract

<p>Diese Studie untersucht, wie die betrieblichen Erträge zwischen deutschen Industrieunternehmen und ihren Beschäftigten aufgeteilt werden. Dafür werden Energiepreisänderungen auf Unternehmensebene und die daraus resultierenden Veränderungen im Unternehmensertrag betrachtet. Wir finden heraus, dass höhere Energiepreise die Löhne drücken und dass ein Rückgang bei den Erträgen um 10% zu einem Rückgang der Löhne um 2% führt. Dieser Zusammenhang ist asymmetrisch, was bedeutet, dass die Löhne nicht von Senkungen der Energiepreise profitieren, aber durch Energiepreiserhöhungen sinken. Kleine Unternehmen geben Schwankungen im Ertrag stärker an die Beschäftigten weiter als Großunternehmen.</p>

Publikation lesen

Ihr Kontakt

Für Wissenschaftler/innen

Für Journalistinnen/en

Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft LogoTotal-Equality-LogoGefördert durch das BMWK