Inhalt
Seite 1
Warum interessieren uns Insolvenzen?
Seite 2
Das Insolvenzgeschehen 2020
Seite 3
Welche Insolvenzentwicklung ist für 2021 zu erwarten?
Seite 4
Endnoten Auf einer Seite lesen

Welche Insolvenzentwicklung ist für 2021 zu erwarten?

Für die Monate Januar und Februar 2021 gibt die IWH-Insolvenzforschungsstelle bereits Entwarnung und rechnet bei Personen- und Kapitalgesellschaften nicht mit einem Anstieg gegenüber Dezember 2020. Eine darüberhinausgehende Prognose ist nicht nur wegen der unklaren Pandemieentwicklung schwierig. Ände­rungen im Insolvenzrecht sowie teilweise ungenaue Medienberichte zur Dauer der Aussetzung der Antrags­pflicht bergen das Risiko, dass zahlreiche Unternehmen im Januar oder Februar den Weg zum Insolvenz­gericht gehen, obwohl sie bereits im Oktober einen Insolvenzantrag hätten stellen müssen – mögliche straf­rechtliche Konsequenzen inklusive. Hinzu kommt, dass kurzfristig eine neuerliche komplette Aussetzung der Antragspflicht bis Ende April für solche Unternehmen beschlossen wurde, die antragsberechtigt für die so genannten November- und Dezemberhilfen des Bundes sind. Für sich genommen wird diese Regelung also die Insolvenzzahlen mindestens bis zum Juni vor allem in der Gastronomie und im Einzelhandel begren­zen. Klassische ökonomische Prognosemodelle, die die künftige Entwicklung auf Basis von Zusammen­hängen in der Vergangenheit vorhersagen und die Spezifika dieser Krise naturgemäß nicht berücksichtigen können, gehen in dieser Gemengelage mit großen Unsicherheiten einher. Zu einem gewissen Maße müssen Politik und Wissenschaft also „auf Sicht“ fahren.

Ein Dammbruch im Frühjahr, bei dem innerhalb kurzer Zeit tausende oder zehntausende Insolvenzen zu beobachten sind, ist aufgrund der eben genannten Situation zwar nicht auszuschließen, ich schätze ihn aber als eher unwahrscheinlich ein. Zum einen läuft das Kurzarbeitergeld noch bis Ende 2021, zum anderen dürfte nicht zuletzt aufgrund des Impfstoffs das Jahr 2021 ein wirtschaftlich gutes Jahr mit Nachholeffekten für die meisten Branchen werden. Angeschlagene Unternehmen werden in der Hoffnung auf den Nach-Corona-Boom weiterhin versuchen, die nächsten Monate irgendwie zu überbrücken. Nur Unternehmen, die ein Überleben bis ins Frühjahr trotz aller Anstrengungen nicht darstellen können, werden die Reißleine ziehen müssen. Wie viele Unternehmen das sind, ist seriös nicht zu beantworten. Aber für den Fall, dass sich eine Insolvenzwelle aufbaut, kann und wird die Politik im Wahljahr 2021 reagieren. Die wiederholte Ausdehnung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im Januar 2021 sowie die frühzeitige Verlängerung des Kurzarbeitergelds im Spätsommer 2020 sind klare Signale in diese Richtung.

Politikimplikation

Der Staat hat durch zahlreiche Stützungsmaßnahmen zu Beginn der Krise verhindert, dass an sich ge­sunde Unternehmen in die Insolvenz gehen müssen. Welche der Maßnahmen im Einzelnen erfolgreich waren und welche nicht, wird Gegenstand künftiger Forschung sein. Da die versprochenen direkten Finanzhilfen bis Ende 2020 offenbar nur zum Teil und nur schleppend ausgezahlt wurden, dürfte zwei anderen Maßnahmen große Bedeutung bei der Stabilisierung der Wirtschaft im Frühsommer 2020 zu­kommen: dem Kurzarbeitergeld und der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Das Kurzarbeitergeld wurde millionenfach in Anspruch genommen, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht galt für alle Unternehmen, für die anzunehmen ist, dass sie vor der Corona-Krise nicht insolvent waren.

Trotz wichtiger Stabilisierungseffekte in kurzer Frist bergen Stützungsmaßnahmen das mittel- und langfristige Risiko, dass immer mehr an sich unrentable Unternehmen – so genannte Zombieunter-nehmen – am Markt verbleiben und somit Ressourcen blockieren, die Zukunftsunternehmen vor allem im Nach-Corona-Boom fehlen. Auch wenn das im Moment vielen als zweitrangiges Problem erscheinen mag, braucht Deutschland auch nach Ende der Pandemie starke Produktivitätsimpulse, um etwa mit dem demographischen Wandel oder dem Klimawandel fertig werden zu können. Zombieunternehmen sind der natürliche Feind des Produktivitätswachstums.

Eigene Berechnungen auf Basis des IAB-Betriebspanels ergeben, dass der Anteil der Betriebe, die zwei Jahre in Folge keine Gewinne gemacht haben, im Jahr 2018 in Deutschland bei etwa 8% lag und dass der Anteil der Betriebe in der Gewinnzone seit 2010 angestiegen ist. Somit hat Deutschland im Vergleich zu südeuro­päischen Ländern zwar bisher kein ausgeprägtes Problem mit Zombieunternehmen13, und deren Anteil an allen Unternehmen dürfte aufgrund des langen Booms rückläufig gewesen sein. Den­noch treiben die Stüt­zungsmaßnahmen in der Corona-Krise diese Zahlen aus zwei Gründen nach oben. Erstens entstehen neue Zombieunternehmen auch, aber nicht nur, aufgrund der Krise. Zweitens treten „alte“ Zombieunternehmen in geringerem Maße aus dem Markt aus als ohne Stützungsmaßnahmen. Die Politik ist daher gut beraten, mit dem Ausstieg aus den Hilfsprogrammen frühzeitig zu beginnen und gleichzeitig ein erneutes Aufflam­men der Pandemie im Herbst 2021 unter allen Umständen zu verhindern.

Empfohlene Publikationen

cover_io_03_20.jpg

Corona Shutdown and Bankruptcy Risk

Oliver Holtemöller Yaz Gulnur Muradoglu

in: IWH Online, Nr. 3, 2020

Abstract

This paper investigates the consequences of shutdowns during the Corona crisis on the risk of bankruptcy for firms in Germany and United Kingdom. We use financial statements from the period 2014 to 2018 to predict how pervasive risk of bankruptcy becomes for micro, small, medium, and large firms due to shutdown measures. We estimate distress for firms using their capacity to service their debt. Our results indicate that under three months of shutdown almost all firms in shutdown industries face high risk of bankruptcy. In Germany, about 99% of firms in shutdown industries and in the UK about 98% of firms in shutdown industries are predicted to be under distress. The furlough schemes reduce the risk of bankruptcy only marginally to 97% of firms in shutdown industries in Germany and 95% of firms in shutdown industries in the United Kingdom in case of a three-month shutdown. In sectors that are not shutdown under conservative estimates of contagion of sales losses, our results indicate considerable risk of widespread bankruptcies ranging from 76% of firms in Germany to 69% of firms in the United Kingdom. These early findings suggest that the impact of corona crisis on corporate sector via shutdowns can be severe and subsequent policy should be designed accordingly.

Publikation lesen

Ihr Kontakt

Für Wissenschaftler/innen

Für Journalistinnen/en

Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft LogoTotal-Equality-LogoGefördert durch das BMWK