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Kommentar: Ohne Konsumverzicht keine CO2-Reduktion – auch, wenn man auf Innovation setzt

In der Diskussion über die deutsche Klimapolitik steht häufig die Frage im Mittelpunkt, mit welchen Instrumenten sich eine Reduktion der CO2-Emissionen am wirksamsten erreichen lässt. So werden etwa die Vorund Nachteile von CO2-Steuern im Vergleich zur Versteigerung von CO2-Zertifikaten und die Reihenfolge der Abschaltung von Braunkohlekraftwerken diskutiert. Neben diesen eher mikroökonomischen Aspekten hat die Klimapolitik weitreichende makroökonomische Konsequenzen.

23. Juli 2020

Autoren Oliver Holtemöller

Allen CO2-Vermeidungsstrategien ist gemeinsam, dass Teile des bestehenden volkswirtschaftlichen Kapitalstocks ökonomisch entwertet werden. Bei der Abschaltung eines funktionsfähigen Braunkohlekraftwerks ist das offensichtlich – unabhängig davon, ob das Kraftwerk betriebswirtschaftlich bereits abgeschrieben ist. Durch den beschleunigten Braunkohleausstieg schrumpft für sich genommen der volkswirtschaftliche Kapitalstock, und damit geht ein Rückgang der Produktionsmöglichkeiten einher. Dies wird dadurch noch verstärkt, dass die Stromerzeugung aus Braunkohle gegenwärtig wirtschaftlicher ist als alternative Technologien.

Um das gleiche volkswirtschaftliche Einkommen wie ohne beschleunigten Braunkohleausstieg zu erreichen, sind zusätzliche Investitionen in den Aufbau neuer Stromerzeugungsanlagen und Mehrausgaben für die Steigerung der Produktivität durch Innovationen erforderlich. Diese können gesamtwirtschaftlich betrachtet entweder aus dem laufenden Einkommen oder durch den Verzehr von Vermögen – d. h. durch Verzicht auf andere Investitionsprojekte oder Verschuldung im Ausland und damit Abbau des Nettoauslandsvermögens – finanziert werden. Zusätzliche Investitionen in neue Technologien sind also ohne Konsumverzicht oder Verzicht auf Investitionen an anderer Stelle nicht möglich, sofern man zukünftigen Generationen nicht zusätzliche Auslandsschulden hinterlassen möchte.

Diese Tatsache kann man auch aus der Angebotsperspektive herleiten. Arbeitszeit kann entweder für die Produktion von Konsumgütern oder von Investitionsgütern (Forschung inbegriffen) verwendet werden. Wenn mehr Menschen in der Produktion von Windkraftanlagen oder in der Entwicklung von neuen Technologien beschäftigt sind, können sie nicht gleichzeitig Konsumgüter produzieren. Den Ausfall an heimisch produzierten Konsumgütern durch Mehrproduktion im Ausland zu kompensieren funktioniert wiederum nur, indem Auslandsschulden erhöht bzw. das Auslandsvermögen zu Lasten zukünftiger Generationen abgebaut wird.

Wie man es auch dreht und wendet, ohne Konsumverzicht ist eine spürbare Reduktion der CO2-Emissionen nicht zu erzielen – und zwar unabhängig davon, ob man auf Verbote, höhere CO2-Preise oder mehr Innovationen setzt. Das ist keine Wachstumskritik: Es ist vielmehr ein Ziel der Klimapolitik, die Einkommensund Konsumperspektiven zukünftiger Generationen zu verbessern. Dafür müssen wir heute auf etwas Konsum verzichten, um mehr Ressourcen für Investitionen und für Forschung und Entwicklung aufwenden zu können. Man kann das mit einer Überschwemmung vergleichen, die Produktionsanlagen zerstört. Dadurch kann man weniger produzieren als zuvor. Gleichzeitig sind neue Produktionsanlagen aufzubauen. Wenn man seinen Nachfolgern nicht mehr Schulden hinterlassen möchte, geht das nur, wenn aus dem laufenden Einkommen weniger konsumiert und mehr investiert wird.

Es gilt also nicht, Verbote oder Preiserhöhungen auf der einen Seite und mehr Innovationen auf der anderen Seite im politischen Diskurs gegeneinander auszuspielen. Alle CO2-wirksamen Optionen implizieren heutigen Konsumverzicht. Allerdings unterscheiden sich die verschiedenen Optionen in ihren Verteilungsimplikationen. Die Finanzierung von mehr Forschung und Entwicklung aus Einkommensteuern, die nach der Leistungsfähigkeit erhoben werden, hat andere Verteilungsimplikationen als die Verteuerung von Alltagsprodukten. Hier befinden wir uns aber nicht mehr allein im Bereich der makroökonomischen Analyse, sondern bereits im politischen Diskurs.

Außerdem in diesem Heft

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Aktuelle Trends: Ostdeutschland macht im Jahr 2019 im Ost-West-Vergleich in puncto Produktivität einen weiteren Schritt nach vorn

Gerhard Heimpold Mirko Titze

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 2, 2020

Abstract

Ostdeutschland konnte laut Daten des Arbeitskreises „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“, die Ende März 2020 veröffentlicht wurden, im Jahr 2019 in puncto Produktivität im Vergleich zu Westdeutschland einen weiteren Schritt nach vorn gehen.

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Zwischenbetriebliche Lohnunterschiede, Mitbestimmung und Tarifverträge

Steffen Müller

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 2, 2020

Abstract

Niedriglohnsektor und steigende Lohnungleichheit sind seit langem dominierende Themen am Arbeitsmarkt. Dieser Artikel legt nahe, dass die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer von der Existenz von Betriebsräten und Tarifverträgen abhängt und dass sich vor allem betriebliche Mitbestimmung positiv auf Löhne auswirkt. Während Mitbestimmung die zwischenbetriebliche Lohnungleichheit erhöht, wird sie durch Tarifverträge reduziert.

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Lokaler Schock trifft lokale Bank: Die Folgen der Hochwasser des Jahres 2013 für das deutsche Finanzsystem

Benjamin Freudenstein Michael Koetter Felix Noth

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 2, 2020

Abstract

Welche Auswirkungen makroökonomische Schocks in Form von Naturkatastrophen auf Banken haben und welche realwirtschaftlichen Implikationen sich daraus ergeben können, wurde unter dem Titel „Katrina und die Folgen: Sicherere Banken und positive Produktionseffekte“ bereits an früherer Stelle in der „Wirtschaft im Wandel“ dargestellt. Daran anknüpfend stellt dieser Artikel einen Forschungsbeitrag vor, der die Folgen der Hochwasser des Jahres 2013 in Deutschland für die Sparkassen und Genossenschaftsbanken und deren Unternehmenskunden untersucht. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob lokale Banken die negativen Effekte des Hochwassers mildern, indem sie die Kreditvergabe an Unternehmen ausweiten. Der Befund ist erstens, dass Banken, die Beziehungen zu betroffenen Unternehmen haben, ihre Kreditvergabe um 3% relativ zu Banken ohne Beziehungen zu betroffenen Unternehmen ausweiten, und zweitens, dass bei Sparkassen mit Zugang zu nicht betroffenen regionalen Märkten keine signifikante Erhöhung des Kreditrisikos zu beobachten ist. Ein gegenüber regionalen Katastrophen widerstandsfähiges Finanzsystem sollte somit aus lokalen Banken bestehen, die gleichwohl überregional verbunden sind, damit ausreichende Möglichkeiten zur Diversifikation bestehen.

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