Langfristige Konsequenzen der Finanzkrise 2008/2009: Nachsichtige Regulierung schadet, flexible Löhne helfen
Die globale Bankenkrise der Jahre 2008/2009 hatte weltweit signifikant negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft, und in vielen Ländern fiel die folgende wirtschaftliche Erholung deutlich langsamer aus als in vorherigen Rezessionen. In den Monaten nach der Insolvenz der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers reduzierten Banken ihre Kreditvergabe an Unternehmen, was zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, einem Rückgang an Investitionen und einer Verringerung der Produktivität führte. Während diese kurzfristigen Effekte in der bisherigen Forschung gut dokumentiert sind, sind die langfristigen Auswirkungen von Bankenkrisen bisher weit weniger gut verstanden. Zwei aktuelle Studien unter IWH-Beteiligung zeigen, dass Bankenkrisen generell negative langfristige Effekte auf das Wachstum von Firmen haben, dass die Rettung von schwachen Banken während der Krise mit Produktivitätsverlusten in späteren Jahren einhergeht, und dass diese negativen langfristigen Effekte durch die Existenz inflexibler Löhne verstärkt werden.
04. Juli 2019
Inhalt
Seite 1
Regulatorische Nachsicht: Unrentable Banken zu retten bremst langfristig das WachstumSeite 2
Arbeitsmarktregulierung: Wenn flexible Löhne die Krise abfedern können, zahlt sich dies langfristig ausSeite 3
FazitSeite 4
Endnoten Auf einer Seite lesenRegulatorische Nachsicht: Unrentable Banken zu retten bremst langfristig das Wachstum
Eine aktuelle IWH-Studie analysiert, welche Folgen regulatorische Nachsicht bei der Abwicklung notleidender Banken für die langfristige Wirtschaftsentwicklung hat.1 Während der Bankenkrise der Jahre 2008/2009 versuchten Regulierungsbehörden und Aufsichtsorgane die Insolvenz in Schieflage geratener Banken zu verhindern, um die Ausbreitung systemischer Risiken im Finanzsystem einzudämmen.
Eine unbeabsichtigte Nebenwirkung war jedoch, dass im Zuge dieser Maßnahmen auch viele nicht systemrelevante und zudem unrentable Banken vor der drohenden Insolvenz gerettet wurden. Diese so genannten Zombie-Banken hatten häufig faule Kredite an unproduktive und unrentable Firmen in Endloskredite umgewandelt in der Hoffnung, dass diese Firmen die Kredite in Zukunft irgendwann zurückzahlen würden. Die Nichtabwicklung dieser Banken führte dazu, dass auch diese auf Endloskredite angewiesenen „Zombie- Firmen“ nicht vom Markt verschwanden. Dies vermindert die Produktivität auf zweierlei Weise: Zum einen reduziert die bloße Existenz unproduktiver Firmen die aggregierte Produktivität, zum anderen entsprechen diese Kredite de facto einer Subvention ineffizienter Firmen, was jungen, produktiveren Firmen den Markteintritt erschwert. Würden Regulierer und Aufseher bei der Abwicklung unrentabler Banken weniger Nachsicht zeigen, so könnte dies dazu führen, dass unrentable Firmen nicht weiterhin auf Kosten produktiver Neueinsteiger künstlich am Leben gehalten werden, was einen langfristigen Anstieg der Produktivität zur Folge hätte. Die Nichtabwicklung unrentabler Banken aufgrund regulatorischer Nachsicht kann somit den „reinigenden Effekt“ (cleansing effect) von Bankenkrisen konterkarieren.
Eine beispielhafter Vergleich der Entwicklungen in Italien und Spanien im Zuge der europäischen Schuldenkrise illustriert diesen Mechanismus. Während in Spanien im Zuge umfangreicher Restrukturierungsmaßnahmen im Bankensektor ab dem Jahr 2014 faule Kredite umfassend abgeschrieben wurden, fand im italienischen Bankensektor keine derartige Restrukturierung statt (vgl. Abbildung 1). Gleichzeitig wies Spanien ab 2014 ein deutlich höheres Wirtschaftswachstum als Italien auf (vgl. Abbildung 2).
Abbildungen 1 und 2 erlauben allerdings keine kausalen Aussagen. Daher untersucht die zitierte Studie den Zusammenhang zwischen regulatorischer Nachsicht bei der Abwicklung notleidender Banken und langfristigem Wirtschaftswachstum anhand von Mikrodaten für Metropolregionen (metropolitan statistical areas) in den USA genauer. Dabei ist es sehr wichtig, die Richtung des Kausalzusammenhangs zu identifizieren: Führt eine konsequente Abwicklung notleidender Kredite zu mehr Wirtschaftswachstum, oder hilft eine wachsende Wirtschaft Banken dabei, ihre Bilanzen zu restrukturieren? Um die Richtung des Kausalzusammenhangs zu bestimmen, wurden Instrumentalvariablen- Schätzungen genutzt. Die in der Studie verwendete Instrumentalvariable ist dabei die geographische Distanz einer Metropolregion zur US-Bundeshauptstadt Washington DC, wo die meisten relevanten Regulierungs- und Aufsichtsbehörden ihren Hauptsitz haben. Je geringer die Distanz einer Bank zu den Regulierungs- und Aufsichtsbehörden, desto einfacher kann die Bank Lobbying betreiben, relevante Informationen erhalten und allgemein eine gute Beziehung zu den Behörden aufbauen. In der Tat zeigt die Studie, dass eine geringe geographische Distanz des Bankenhauptsitzes zu Washington DC empirisch mit größerer Nachsicht der Regulierungs- und Aufsichtsbehörden während der Bankenkrise einhergeht.
Die Studie liefert die folgenden Hauptergebnisse: Erstens, in Metropolregionen mit größerer regulatorischer Nachsicht werden während der Krise weniger Fabriken geschlossen, es gibt weniger Insolvenzen, und es werden weniger Arbeitsplätze abgebaut, wenn die Aufseher mit Banken größere Nachsicht zeigen. Regulatorische Nachsicht hat also kurzfristig positive Effekte auf die Realwirtschaft. Zweitens zeigen die Autoren, dass in Metropolregionen mit größerer regulatorischer Nachsicht während der Krise langfristig weniger Unternehmen gegründet und weniger Arbeitsplätze geschaffen werden. Zudem weisen diese Regionen ein langfristig niedrigeres Wachstum der Löhne und des Bruttoinlandsprodukts auf, was auf eine geringere Arbeitsproduktivität hindeutet.
Zusammengefasst weisen die hier vorgestellten Ergebnisse auf einen inhärenten Zielkonflikt bei der regulatorischen Bewältigung von Bankenkrisen hin. Während größere regulatorische Nachsicht dabei hilft, die negativen Effekte von Bankenkrisen kurzfristig abzumildern, führen die gleichen Maßnahmen in der langen Frist zu geringerem Wirtschafts- und Produktivitätswachstum. Oder anders gesagt: Während eine konsequente Abwicklung notleidender Banken im Zuge einer Bankenkrise kurzfristig schmerzhafte Anpassungseffekte nach sich zieht, so führt eben diese Politik langfristig zu positiven Wachstumseffekten.