Kommentar: Die Krise von 2008/2009 ist noch nicht vorbei
Kurzfristig war die Finanzkrise, ursprünglich ausgelöst durch exzessive Vergabe von Hypotheken an weniger kreditwürdige Haushalte, verbunden mit der weitverbreiteten Verbriefung dieser Hypotheken, mit schweren realwirtschaftlichen Konsequenzen verbunden. Die Volkswirtschaften aller Industrieländer schrumpften stark, die Arbeitslosigkeit stieg kräftig an. Firmen waren nicht in der Lage, neue Investitionen zu finanzieren, da es für Banken in vielen Ländern nicht möglich war, Kredite zu vergeben. Gleichzeitig führten die Rettungsaktionen der Regierungen zu einer starken Erhöhung der Schuldenstände und zu einer Nullzinspolitik, verbunden mit Anleihekäufen, der wichtigsten Zentralbanken. Wo stehen wir heute, über zehn Jahre nach der Pleite von Lehman, die symbolisch noch immer eng mit der Krise verbunden ist? Und gibt es langfristige Auswirkungen auf die Wirtschaft – Auswirkungen, die wir noch heute spüren und möglicherweise noch viele Jahre spüren werden?
04. Juli 2019
Eine der direkten Konsequenzen der Krise war, dass die Regulierung von Banken dramatisch verschärft wurde. Es wurden viel höhere Kapitalanforderungen an Banken gestellt, den Kapitalanforderungen wurden Liquiditätsanforderungen an die Seite gestellt, und die Verfahren für die Abwicklung von Banken wurden neu geregelt, um einen neuen „Fall Lehman“ in Zukunft wenn nicht unmöglich, so doch deutlich weniger wahrscheinlich zu machen. Außerdem wurden die Regeln für die Bezahlung von Bankmanagern dahingehend geändert, dass weniger Anreize bestehen, große Risiken einzugehen – wobei nicht jede Ausgestaltung diesem Ziel näherkam, wie der Beitrag zur EU-Bonusdeckelung in diesem Heft zeigt. Insgesamt besteht unter Beobachtern wenig Zweifel, dass die strengere Regulierung Banken sicherer gemacht hat. Allerdings gibt es die Sorge, dass risikoreiche Geschäfte, die für die Banken unter der strengen Regulierung nicht mehr lukrativ sind, nun von den nicht regulierten „Schattenbanken“ übernommen werden. Ein Zeichen, dass dies passiert, ist der sehr schnell wachsende Schattenbanksektor, der allerdings noch immer nicht die Größen von 2006 erreicht hat.
In Europa fehlt allerdings noch immer ein wichtiger Baustein der Bankenunion. Neben der gemeinsamen Aufsicht (Single Supervisory Mechanism, SSM) und der gemeinsamen Abwicklung (Single Resolution Mechanism, SRM) sieht die Bankenunion zu Recht auch eine gemeinsame Einlagensicherung vor, um den so genannten death loop zu vermeiden: den Feedback-Effekt zwischen immer größeren Schwierigkeiten in den Banken eines Landes und der sich verschlechternden Haushaltssituation eines Landes. Die Gründe für die fehlende Implementierung der gemeinsamen Einlagensicherung liegen zum Teil darin, dass die Altlasten aus der Krise in einigen Ländern noch immer nicht aus den Bankbilanzen verschwunden sind, und zum Teil auch daran, dass Deutschland wenig Interesse an gemeinsamen wirtschaftspolitischen Initativen innerhalb der EU zu haben scheint. Hier müssen dringend Fortschritte erzielt werden.
Die Krise veränderte aber nicht nur die Regulierung des Finanzsystems, sondern sie hatte auch langfristige Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Industrieländer. In einem Artikel dieser Ausgabe der „Wirtschaft im Wandel“ fassen wir neue Forschung des IWH zusammen, die zeigt, dass Unternehmen, die in der Krise Investitionen und Beschäftigung besonders reduzieren mussten, diesen Rückstand ihren Wettbewerbern gegenüber auch viele Jahre nach der Krise nicht aufgeholt haben. Darüber hinaus haben die weitverbreiteten staatlichen Rettungsmaßnahmen für Banken während der Krise (bailouts) dazu geführt, dass es zu Fehlallokationen von Ressourcen gekommen ist, die jetzt die Produktivität reduzieren. Auch die Nullzinspolitik der Zentralbanken in allen wichtigen Volkswirtschaften der Welt dürfte zu ähnlichen Fehlallokationseffekten geführt haben, mit langfristigen Auswirkungen für die Produktivität. Inwieweit auch die Zunahme des Populismus, die wir überall beobachten können, eine Konsequenz der Krise ist, ist noch gründlicher zu erforschen. Dies gilt ebenso für die um sich greifende Aufkündigung des Konsens, dass liberale Demokratien, globale wirtschaftliche Arbeitsteilung und multilaterale internationale Organisationen auch künftig die geeigneten Instrumente darstellen, um unsere globalen Probleme zu lösen. Es ist anzunehmen, dass wir uns noch viele Jahre lang mit der Krise werden beschäftigen müssen und ihre Auswirkungen spüren werden.