Ostdeutschlands Transformation seit 1990 im Spiegel wirtschaftlicher und sozialer Indikatoren
20 Jahre nach der „friedlichen Revolution“ und dem darauffolgenden Herstellen der staatlichen Einheit Deutschlands legt das IWH erneut eine Dokumentation der gesellschaftlichen, vor allen Dingen der wirtschaftlichen Entwicklung vor. Ziel ist es, anhand von Zahlen, Schaubildern und Tabellen mit entsprechenden Erklärungen die Vielschichtigkeit des Wandels der Neuen Länder aufzuzeigen. Damit fällt auch die Bewertung differenziert aus: Es gibt eine weitgehend modernisierte Infrastruktur, das erste, was an „blühende Landschaften“ erinnern mag. Einige Unternehmen und Standorte konnten sich mit großem wirtschaftlichen Erfolg die Weltmarktführerschaft in wesentlichen Technologien sichern. Aber es gibt auch einen massiven Bevölkerungsverlust, sich entleerende Gebiete. Manche Städte und erhebliche Teile des ländlichen Raums suchen eine neue Aufgabe in der nationalen und internationalen Arbeitsteilung.
01. August 2009
„Damit zusammenwächst, was zusammengehört“ – dieses Bild ist damit kontrovers zu beleuchten. Wenige haben gedacht, dass 40 Jahre Teilung und Zwangswirtschaft so lange in ihren Folgen vorhalten würden. Post-Transformationsgesellschaften, zu denen auch die der Neuen Bundesländer zählen, schütteln ihre Vergangenheit nur langsam ab: Der bürgerliche, insbesondere auch wirtschaftlich tätige Mittelstand entwickelt sich erst; noch viele Jahre des erfolgreichen Wirtschaftens liegen vor ihm, bis er in der Breite die hohe Internationalität Westdeutschlands erreicht hat. Denn dort sind Globale Mittelständische Unternehmen, so genannte „GMUs“, als spezialisierte Nischenanbieter weltbekannt. Internationale Unternehmenszentralen fehlen in den Neuen Bundesländern vollkommen, was in erheblichem Maße auch die weiterhin persistente Einkommenslücke gegenüber Westdeutschland erklärt und zugleich auf einige Folgeerscheinungen verweist, beispielsweise verringerte Erwerbstätigkeitschancen, eine gegenüber den Alten Ländern geringere Kaufkraft. Folgen für die Urbanität der Städte sind unausweichlich.
Wer erwartet hat, die schwierigen Startbedingungen des Jahres 1990 rasch überwinden zu können, sieht sich also getäuscht. Im Grunde ist es eine geschichtliche Erfahrung, dass ein Umsteuern aus gegebenen Entwicklungspfaden Zeit benötigt. Es sind neue Strukturen der Arbeitsteilung, meist auf Basis innovativer Technologien, historisch auch neue Rohstoffquellen und Absatzmärkte, also Handelsbeziehungen, die bisher rückständigen Regionen zu einem Sprung verhalfen und sie in die vorderste Reihe katapultierten. So war es nach dem Zweiten Weltkrieg in Süddeutschland, nach dem Ersten Weltkrieg in den Südstaaten der USA und auch mit Beginn der Globalisierung in den Schwellenländern Asiens. Insofern liegt die wirtschaftliche Hoffnung der Neuen Länder in einer technologieorientierten wirtschaftlichen Entwicklung. Die Kernkompetenzen im Bereich nachhaltiger Energien und der mit diesen verknüpften, ergänzenden Technologien werden bereits heute deutlich. Vor allem in der Solartechnologie haben sich industrielle Führer entwickelt, die die Länge der Produktlebenszyklen beeinflussen, wenn nicht gar festlegen. Die Technologiekonvergenz mit Nachbardisziplinen stellt eine wesentliche Triebfeder des Aufschwungs in verbundenen Sektoren dar. Damit wird die Ausstattung mit Wissenskapital zum zentralen Wettbewerbsfaktor. Auch hier ergibt sich, wie die Dokumentation belegt, ein vielschichtiges Bild: Wird die Ost-West-Teilung sukzessive durch eine Nord-Süd-Differenzierung abgelöst? Die Betrachtung der gesamtdeutschen technologischen und wirtschaftlichen Dynamik legt dies nahe. Inwieweit die gegenwärtige Wirtschaftskrise hierbei einen beschleunigenden Effekt erzeugt oder nicht, erscheint offen, auch angesichts einer Vielzahl von politischen Interventionen. Im Regelfall führen derartige Krisen dazu, dass der sektorale Wandel mit sprunghaften Veränderungen die internationale Arbeitsteilung neu ordnet. Gerade der Süden der Neuen Länder besitzt eine große Chance, hiervon zu profitieren.
Der vorliegende Band gliedert sich in vier Teile: Neben einer zusammenfassenden Einordnung finden sich in den acht Kapiteln des Hauptteils die wesentlichen Dokumentationen des Vereinigungsprozesses. Vorangestellt ist ein Geleitwort, das Dr. Klaus von Dohnanyi, ehemaliger Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, verfasst hat und in dem er die historische Dimension des Einigungsprozesses noch einmal vor den Augen der Leser erscheinen lässt. Abgeschlossen wird der Band durch einen Beitrag von Prof. Dr. Dr. h. c. Kurt Biedenkopf, ehemaliger Ministerpräsident des Freistaats Sachsen, der vor allem auch die Lehren – und damit ebenso die künftigen Herausforderungen – des Einigungsprozesses benennt.
In dieser Arbeit wurden Informationen des gesamten Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, das seit seiner Gründung auf dem Gebiet der Transformation und der Post-Transformationssprozesse forscht, zusammengezogen. Es ist ein Produkt des gesamten Hauses; die Autorenschaft bzw. Kernkompetenz ist am Anfang jedes Kapitels, nach einer Einleitung in das spezifische Thema, durch Angabe der Kontaktadresse für einzelne Bearbeitungsgebiete benannt.