Unternehmensinsolvenzen in Deutschland im Zuge der Corona-Krise
Die Corona-Pandemie hat die deutsche Wirtschaft in eine tiefe Rezession getrieben. In diesem Beitrag wird analysiert, wie sich die Rezession in den Unternehmensinsolvenzen niederschlägt. Prognosen auf Basis des üblichen Zusammenhangs zwischen Bruttowertschöpfung und Unternehmensinsolvenzen nach Wirtschaftsbereichen deuten auf eine kräftige Zunahme der Unternehmensinsolvenzen im zweiten Halbjahr 2020 hin. Für Unternehmensinsolvenzen gelten allerdings seit März 2020 Ausnahmeregelungen, die das Ziel haben, allein durch die Corona-Krise bedingte Unternehmensinsolvenzen zu vermeiden. Ferner erhalten die Unternehmen finanzielle Unterstützung im Rahmen der Corona-Hilfspakete. Mit zunehmender Dauer der wirtschaftlichen Beeinträchtigungen nimmt die Wahrscheinlichkeit von Unternehmensinsolvenzen gleichwohl zu, sodass nach Aufhebung der Ausnahmeregelungen Insolvenzen nachgeholt werden dürften und das übliche konjunkturelle Muster wieder greift.
01. März 2021
Aktuelles Insolvenzgeschehen
Die Corona-Pandemie hat die deutsche Wirtschaft in eine tiefe Rezession getrieben.* Die Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren in ihrem Herbstgutachten, dass das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland im Jahr 2020 um 5,4% (kalenderbereinigt um 5,7%) gegenüber dem Vorjahr zurückgeht.1 Prognosen anderer Institutionen liegen in der gleichen Größenordnung. Von Mitte März 2020 an befanden sich weite Teile der Wirtschaft in einem Shutdown, in dem Umsätze schlagartig wegbrachen. Die fehlenden Einnahmen können zu vermehrten Unternehmensinsolvenzen führen.2 Um dem zu begegnen, wurden Ausnahmeregeln für die Anmeldung von Unternehmensinsolvenzen beschlossen, die verhindern sollen, dass Unternehmen nur aufgrund der Corona-Krise insolvent werden und dadurch dauerhaft verschwinden.3 Ferner gibt es eine Reihe von staatlichen Hilfsmaßnahmen, mit denen die Unternehmen finanziell unterstützt werden.
Tatsächlich lagen die Unternehmensinsolvenzen in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Zeitraum von Januar bis August 2020 insgesamt um 11% unter dem Vorjahreszeitraum. Auch in den Monaten September bis November dürften sie gemäß IWH-Insolvenztrend nicht merklich gestiegen sein.4 Allerdings ist bei der Bewertung dieser Entwicklung zu berücksichtigen, dass die Insolvenzen in Deutschland seit vielen Jahren trendmäßig zurückgehen und dass es erhebliche monatliche Schwankungen gibt. Um den am Jahresanfang vor Ausbruch der Corona-Krise zu erwartenden Insolvenzverlauf im Jahr 2020 zu schätzen, wird für die Unternehmensinsolvenzen je Wirtschaftsbereich ein univariates Zeitreihenmodell verwendet, in dem sowohl der langfristige Trend als auch das saisonale Muster der Insolvenzen berücksichtigt werden. Die Modelle werden jeweils für den Zeitraum von 2008 bis 2019 geschätzt. Anschließend werden anhand der geschätzten Modelle Prognosen für die unabhängig vom Konjunkturverlauf zu erwartende Anzahl an Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2020 berechnet (vgl. Abbildung 1). Im Vergleich zu der Prognose auf Basis der Entwicklung der Vorjahre ist die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen außergewöhnlich niedrig. Zwar lag die Zahl der Insolvenzen insgesamt bis zum Juli noch im Rahmen der durch das Prognosefehlerband dargestellten üblichen Schwankungen; im August lag der Wert jedoch deutlich unterhalb des Prognosefehlerbandes. In den Monaten von Januar bis August 2020 gab es 518 Insolvenzen weniger als mit dem aggregierten Modell für alle Wirtschaftsbereiche prognostiziert und
632 Insolvenzen weniger als die Summe der Einzelprognosen für die Wirtschaftsbereiche (vgl. Tabelle 1).5 Dabei gibt es Unterschiede zwischen den Wirtschaftsbereichen. In den Bereichen Verarbeitendes Gewerbe (Wirtschaftszweig C), Handel, Verkehr, Lagerei (G bis I), Information und Kommunikation (J) sowie Unternehmens-
dienstleister (M und N) gab es deutlich weniger Insolvenzen, als vor der Corona-Krise für ein durchschnittliches Jahr zu erwarten war. In anderen Bereichen, die tendenziell wenig von dem Shutdown betroffen sind, wie etwa Land- und Forstwirtschaft, Fischerei (A), Bergbau, Energie- und Wasserversorgung (BDE), Finanz- und Versicherungsdienstleister (K) oder Grundstücks- und Wohnungswesen (L) ist die Entwicklung hingegen unauffällig.
Prognose der Insolvenzen im Jahr 2020
Unternehmensinsolvenzen zeigen insgesamt ein zyklisches Verhalten. Wenn die Zuwachsrate der Bruttowertschöpfung um einen Prozentpunkt steigt, dann nehmen die Insolvenzen zwei Quartale später um durchschnittlich 1% zu. Dies ergibt sich aus bivariaten vektorautoregressiven (VAR-)Modellen für die Bruttowertschöpfung und die Insolvenzen nach Wirtschaftsbereichen (vgl. Anhang).6 Der Zusammenhang zwischen Bruttowertschöpfung und Unternehmensinsolvenzen lässt sich ausnutzen, um eine bedingte Prognose der Unternehmensinsolvenzen für das laufende Jahr abzuleiten. Dazu wird unterstellt, dass die Bruttowertschöpfung in den Wirtschaftszweigen ab dem vierten Quartal 2020 wieder allmählich auf den Zehnjahrestrend vor der Corona-Krise (geschätzt für den Zeitraum von 2010 bis 2019) zurückkehrt (vgl. Abbildung 5 im Anhang). Die Berechnungen zeigen, dass für die zweite Jahreshälfte 2020 mit einem deutlichen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen zu rechnen gewesen wäre, wenn das Insolvenzgeschehen dem üblichen konjunkturellen Muster gefolgt wäre (vgl. Abbildung 2).
Für das Jahr 2020 werden insgesamt 19 037 Unternehmens-
insolvenzen mit dem Gesamtmodell für alle Wirtschaftsbereiche erwartet bzw. 18 993 Unternehmensinsolvenzen auf Basis der Einzelmodelle für die Wirtschaftsbereiche (vgl. Tabelle 2).
Verglichen mit dem Vorjahr werden insbesondere für das Verarbeitende Gewerbe und die Unternehmensdienstleister mehr Insolvenzen prognostiziert, denn dies sind die Bereiche, in denen das Insolvenzgeschehen besonders konjunktur sensitiv ist.
Fazit
Unternehmensinsolvenzen folgen einem zyklischen Muster. In den Quartalen nach einem Konjunktureinbruch kommt es zu mehr Insolvenzen als üblich. Aufgrund des starken Wirtschaftseinbruchs im ersten Halbjahr 2020 wäre daher für die zweite Jahreshälfte mit einer deutlichen Zunahme der Unternehmensinsolvenzen zu rechnen, selbst wenn sich die Wirtschaft zügig wieder erholt. Die aktuellen Ausnahmeregelungen und staatlichen Hilfsprogramme dämpfen allerdings die Dynamik des Insolvenzgeschehens. Die tatsächlichen Insolvenzzahlen dürften somit niedriger ausfallen als hier ausgewiesen. Einigen Unternehmen dürfte es gelingen, sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen, solange die Ausnahmeregelungen gelten, und eine Insolvenz zu vermeiden. Komplett aufhalten werden die Ausnahmeregelungen und die Unternehmenshilfen die zu erwartende Insolvenzwelle jedoch nicht. Nach Auslaufen der Ausnahmeregelungen dürfte es zu vermehrten Insolvenzen kommen.
Endnoten
* Dieser Beitrag wurde bereits am 17. Dezember 2020 veröffentlicht (vgl. IWH-Pressemitteilung 27/2020).
1 Vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: Erholung verliert an Fahrt – Wirtschaft und Politik weiter im Zeichen der Pandemie. Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2020. Kiel 2020.
2 Vgl. Holtemöller, O.; Muradoglu, Y. G.: Corona Shutdown and Bankruptcy Risk. IWH Online 3/2020. Halle (Saale) 2020.
3 Vgl. https://www.bmjv.de/DE/Themen/FokusThemen/Corona/ Insolvenzantrag/Corona_Insolvenzantrag_node.html.
4 Vgl. www.iwh-halle.de/insolvenzforschung.
5 Die Prognosen der beiden Ansätze weichen voneinander ab, weil in den individuellen Modellen für die einzelnen Wirtschaftsbereiche keine Restriktion auferlegt wird, dass die Summe der Einzelprognosen mit der Prognose der Summe mit dem Modell für die aggregierte Zeitreihe übereinstimmen muss. A priori ist nicht klar, ob der aggregierte oder der disaggregierte Ansatz bessere Prognosen liefert; dies hängt von den Eigenschaften der betrachteten Zeitreihen ab.
6 Die monatlichen Insolvenzzahlen wurden zu Quartalswerten aggregiert, denn die Bruttowertschöpfung in den Wirtschaftsbereichen liegt nur vierteljährlich vor.