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Kommentar: Wir brauchen eine neue Corona-Strategie

Die gegenwärtige Corona-Strategie der Bundes­regierung, wenn man sie denn so nennen kann, konzentriert sich darauf, besonders gefährdete Personen durch Impfung zu schützen und die Ansteckung aller anderen durch den Lockdown zu vermeiden. Sie ignoriert, dass Menschen im täglichen Leben immer Risiken eingehen und dabei auch Risiken berücksichtigen, die durch das Verhalten anderer entstehen. Sie entscheiden selbst, wie stark sie sich gefährden, je nach ihrer persönlichen gesundheitlichen Situation und Risikoaffinität. Die Möglichkeit, Risiken einzugehen, ist ein inhärenter Teil einer freiheitlichen Gesellschaft: Die Gesellschaft vertraut prinzipiell dem Einzelnen, einigermaßen vernünftige Entscheidungen zu treffen – und die Konsequenzen zu tragen, wenn die Dinge schiefgehen. Der Staat setzt dabei die Rahmenbedingungen, aber niemals mit dem Ziel, das Risiko für den Einzelnen auf null zu drücken. 

01. März 2021

Autoren Reint E. Gropp

Basierend auf diesen Überlegungen scheint es überfällig, die Strategie in der Corona-Krise zu ändern. Natürlich war es im Frühjahr 2020 sinnvoll, die Pandemie mit einem Lockdown zu bekämpfen. Man hatte Angst vor einer Überlastung des Gesundheitssystems, man kannte die gesundheitliche Gefährdung Einzelner durch das Virus nur unzureichend, es waren keine Impfstoffe oder Behandlungs-möglichkeiten zur Hand und es war unklar, wann sie entwickelt werden würden. Lockdown was the only game in town.

Die Dinge haben sich aber seit dem Frühjahr 2020 verändert, auch wenn die Bundesregierung gegenwärtig so tut, als sei das nicht so. Der Lockdown-Ansatz ist eine Maßnahme von gestern und muss durch eine Strategie ersetzt werden, die auf Eigenverantwortung, verstärktes Impfen und Schnelltests setzt. Man muss zu dem Prinzip zurückkehren, dass der Einzelne selbst für seine Gesundheit verantwortlich ist und nicht der Staat. Wir wissen jetzt zum Beispiel, dass Hygienekonzepte in Unternehmen, in Restaurants und in Geschäften funktionieren und die Infektionsherde eher im privaten Bereich zu finden sind. Gleichzeitig weiß jeder, der einer Risiko­gruppe angehört, dass er sich der Ansteckungs­gefahr aussetzt, wenn er eine Bar oder ein Restaurant besucht. Es ist nicht zu viel verlangt, von diesen Menschen zu erwarten, dass sie selbst alles für ihren eigenen Schutz tun. Wir müssen endlich anfangen, die immensen Kosten eines fortdauernden Lockdowns für junge Menschen zu berücksichtigen. Schon jetzt sagen Psychologen, dass die seelischen Langzeitfolgen für Kinder und Jugendliche unabsehbar sind. Wir schützen im Moment diejenigen, die nichts oder nur sehr wenig zur Wirtschaft und zum gesellschaft­lichen Leben in Deutschland beitragen, auf Kosten der jungen Generation. Das kann nicht gutgehen, und der Widerstand gegen als willkürlich und planlos empfundene Maßnahmen wächst zu Recht, auch weit weg von Querdenkern und Wirrköpfen.

Was heißt das also für die Regierung? Erstens, endlich die Impfproblematik ernstzunehmen und einen Plan zu entwickeln, wie ein bis zwei Millionen Menschen pro Tag geimpft werden können. Das geht in anderen Ländern (wie Großbritannien, Israel, den USA), das geht also auch in Deutschland. Die dabei anfallenden Kosten lägen deutlich unter denen, die ein Lockdown auf unbestimmte Zeit verursacht. Zweitens müssen Schnelltests für alle kostenlos zugänglich gemacht werden und für bestimmte Risikoaktivitäten (Theater, Kino, Bars, Reisen) zur Voraussetzung werden, solange noch keine Herdenimmunität erreicht ist. Und drittens müssen – mit entsprechenden bereits implementierten Hygienekonzepten – alle zurzeit geschlossenen Einrichtungen wieder öffnen dürfen.

Die Regierung darf die Menschen nicht länger am Leben hindern. 

Außerdem in diesem Heft

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Aktuelle Trends: Trendmäßiger Anstieg der Sterbefälle in Deutschland – Altersstruktur bei der Interpretation der Sterblichkeit berücksichtigen

Birgit Schultz

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2021

Abstract

In Deutschland steigt aufgrund der Altersstruktur die Anzahl der jährlichen Sterbefälle. Ein einfacher Vergleich der aktuellen Sterbefälle mit dem Durchschnitt der Vorjahre ist daher nicht geeignet, um die Übersterblichkeit während der Pandemie zu beurteilen.

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Unternehmensinsolvenzen in Deutschland im Zuge der Corona-Krise

Oliver Holtemöller

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2021

Abstract

Die Corona-Pandemie hat die deutsche Wirtschaft in eine tiefe Rezession getrieben. In diesem Beitrag wird analysiert, wie sich die Rezession in den Unternehmensinsolvenzen niederschlägt. Prognosen auf Basis des üblichen Zusammenhangs zwischen Bruttowertschöpfung und Unternehmensinsolvenzen nach Wirtschaftsbereichen deuten auf eine kräftige Zunahme der Unternehmensinsolvenzen im zweiten Halbjahr 2020 hin. Für Unternehmensinsolvenzen gelten allerdings seit März 2020 Ausnahmeregelungen, die das Ziel haben, allein durch die Corona-Krise bedingte Unternehmensinsolvenzen zu vermeiden. Ferner erhalten die Unternehmen finanzielle Unterstützung im Rahmen der Corona-Hilfspakete. Mit zunehmender Dauer der wirtschaftlichen Beeinträchtigungen nimmt die Wahrscheinlichkeit von Unternehmensinsolvenzen gleichwohl zu, sodass nach Aufhebung der Ausnahmeregelungen Insolvenzen nachgeholt werden dürften und das übliche konjunkturelle Muster wieder greift.

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Importwettbewerb und Firmenproduktivität

Viktor Slavtchev

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2021

Abstract

Dieser Beitrag untersucht für Unternehmen aus dem Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland empirisch, ob der Wettbewerbsdruck durch Importe zu einer Steigerung der Produktivität führt. Um die Reaktionen der einheimischen Unternehmen besser zu verstehen, werden auch Effekte auf Output, Beschäftigung und FuE-Aktivitäten der Unternehmen analysiert. Die Ergebnisse zeigen, dass die Anreize der Unternehmen, in eine Erhöhung ihrer Produktivität zu „investieren“, von der Art der importierten Güter abhängen sowie davon, wie schwierig es für die einheimischen Unternehmen ist, mit der Konkurrenz mitzuhalten. Auf Importe von vergleichsweise technologisch einfachen und arbeitsintensiven Produkten aus Niedriglohnländern reagieren einheimische Unternehmen nicht mit einer Erhöhung ihrer Produktivität; vielmehr reduzieren sie Output und Beschäftigung. Dagegen steigt die Produktivität einheimischer Unternehmen als Reaktion auf Wettbewerbsdruck durch Importe von kapital- und technologieintensiven Gütern aus Industrieländern – jedoch nicht aufgrund höherer FuE-Ausgaben; ein Rückgang von Output und Beschäftigung ist in diesem Fall nicht beobachtbar.

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