Von der CIA und einem Glas Rotwein ...

Prof. Dr. Udo Ludwig über die Anfänge und Entwicklungen des IWH

Der Kern der IWH-Gründungsmannschaft kam aus dem Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW), eine Nachfolgeorganisation des ökonomischen Forschungsinstituts bei der staatlichen Plankommission der DDR. Gründungspräsident des IWH war Manfred Wegner.

Herr Ludwig, wie ging das mit dem IAW und dem IWH los?

Initiativen zur Kontaktaufnahme zwischen Ost und West beim absehbaren Ende der DDR gab es zwischen mehreren außeruniversitären Wirtschaftsforschungsinstituten, sie gingen aber auch vom Bundeswirtschaftsministerium aus. Das Ministerium hatte schon 1989/1990 seine „Kundschafter“ in die DDR ausgesandt, weil der Informationsbedarf über die wahren Verhältnisse in der Wirtschaft groß und das Vertrauen in die DDR-Wirtschaftswissenschaft generell klein war. So stand plötzlich mal ein CIA-Mann vor meinem Büro und suchte das Gespräch über den Stand der Dinge. Was sich da alles so getan hat! Letztlich entschied sich das Ministerium für das IAW als Keimzelle für das später gegründete IWH. Aber es gibt eine Frage, die nur noch wenige Zeitzeugen und Zeitzeuginnen beantworten können: Warum wurde eigentlich der Standort Halle ausgewählt?

Und warum?

Berlin kam nicht in Frage, weil dort mit dem DIW schon ein öffentlich gefördertes Institut war. Dann blieben praktisch noch fünf Bundesländer zur Auswahl: Brandenburg, Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Mecklenburg-Vorpommern war weit weg und Brandenburg winkte ab, weil kein Geld da war. Sachsen stand im Fokus, dort war auch schon eine Delegation und hat in Dresden nach einem Gebäude gesucht. Seit 1990 gab es aber bereits in Leipzig einen Ableger des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft. Und dann, so denke ich, kam die FDP ins Spiel. Sie stellte in Bonn den Wirtschaftsminister und war in Sachsen-Anhalt in der Umbruchzeit sehr stark. Und es gab den Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der aus einem Vorort von Halle stammte. So rückten Sachsen-Anhalt und Halle als Standort in den Fokus. Das Ganze soll bei einem Glas Wein im Dezember 1991 in der Gaststätte "Goldene Rose" besiegelt worden sein.

Und wie kamen Sie ganz persönlich dann dort hin?

Die Akademie der Wissenschaften in Berlin, an der ich den ersten Teil meiner wissenschaftlichen Laufbahn beendet hatte, war 1991 geschlossen worden. Für die arbeitslos gewordenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gab es entweder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder das sogenannte "Wissenschaftler-Integrations-Programm", über das sich die Akademieforscher und -forscherinnen mit Projekten in den Wissenschaftsbetrieb der Bundesrepublik einwerben konnten. Die Antwort meiner Absage lautete: „Sie sollten sich mit Ihren Vorstellungen lieber im außeruniversitären Bereich bewerben“ (lacht). Daraufhin habe ich mich bei der Gründung des IWH als Abteilungsleiter beworben. Der Bewerbungsprozess war dann ein richtiges Vorsingen in "vielen Tonlagen", vor einer Kommission mit nicht nur wohlgesinnten Politikern und Volkswirten aus der alten Bundesrepublik. Die Bewerberinnen und Bewerber aus der ehemaligen DDR standen unter Generalverdacht. Wenn man beispielsweise während der Schulzeit Mitglied der Pionierorganisation gewesen war, konnte das schon ein Ausschlusskriterium sein. Im Wesen schien diese Organisation fast schon als politische Elitetruppe zu gelten. Ich bestand die Prüfung und wurde im IWH als Leiter der Abteilung Konjunktur und Wachstum kommissarisch angestellt.

Wie wurde dann der erste Präsident ausgesucht?

Der Gründungspräsident war bereits mit der vom Bundeswirtschaftsministerium vorab initiierten Bestallung von Herrn Wegner als neuem Chef des IAW gesetzt, der spätere Präsident des Instituts musste gefunden werden. Herr Wegner suchte geeignete Kandidatinnen und Kandidaten unter prominenten Volkswirtinnen und -wirten an anderen Instituten aus Westdeutschland. Das führte in einem Fall zu „bösem Blut“ zwischen den Institutsleitern, als die Aktion bekannt wurde. Suchprozesse gingen aber auch von höheren Instanzen der Bundespolitik aus. So fiel die Wahl letztlich auf ein Mitglied des Sachverständigenrates, Rüdiger Pohl.

Was waren in Ihren Augen die Meilensteine des IWH?

Die eigentliche Herausforderung bestand darin, dass wir komplett bei null angefangen haben und das Forschungsprogramm mit eigener Datenbasis für die wissenschaftliche Begleitung der Transformationsprozesse in relativ kurzer Zeit aufbauen mussten. Das Institut war ja auch deshalb im Osten angesiedelt geworden, weil sich die Politik davon "Fühlungsvorteile" versprach. Frau Loose und ich fuhren damals beispielsweise viel durchs Land, um Probandinnen und Probanden bzw. bereitwillige Teilnehmerinnen und Teilnehmer für Unternehmensumfragen zu finden. Den nachfolgenden Generationen blieben diese Turbulenzen der Aufbauarbeit erspart, sie fanden sozusagen ein „warmes Nest“ vor.
In der Konjunkturforschung waren wir ehemalige DDR-Forscherinnen und -forscher unerfahren und der ganze Forschungsapparat musste von der Pike an aufgezogen werden. Aber wir waren lernfähig und wissbegierig. Input von den Kolleginnen und Kollegen aus dem Westen gab es vor allem dann, als wir früh an der Gemeinschaftsdiagnose der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute teilnehmen konnten. Trotz anfänglich abwertender Haltungen einiger älterer Kolleginnen und Kollegen aus den westdeutschen Instituten, pflegten wir später einen ganz normalen freundlichen und respektvollen Umgang untereinander. Vor allem hatte es das IWH geschafft, eine Nische unter den konkurrierenden Instituten voll zu okkupieren: die wirtschaftlichen Aufbauprozesse im Osten nach dem Systemzusammenbruch in der DDR und Mittelosteuropa und die Rückabwicklung einer Wirtschaftsordnung, für die es kein historisches Vorbild gab.

Wie wurde die empirische Datenbasis für die Konjunkturforschung in Ostdeutschland, die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, nach der Vereinigung organisiert?

Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung stand 1990 vor einem grundsätzlichen Problem: Soll eine getrennte Gesamtrechnung für das Gebiet der ehemaligen DDR erstellt werden oder soll die vorhandene Gesamtrechnung für das frühere Bundesgebiet einfach um das neue Bundesgebiet erweitert werden? Und wie soll das gemacht werden? Die Politik entschied sich zunächst für parallele Gesamtrechnungen je Wirtschaftsraum und eine für Deutschland insgesamt. Die Konsequenz waren den bundesdeutschen Statistikkonzepten entsprechende Datenerhebungen und neue Berechnungskonzepte für die wirtschaftliche Leistung im Osten. Als die Bundestatistik dieses Vorgehen ab 1995 aufgab, haben wir am IWH neben dem DIW einen Teil der Berechnungen für den Osten in eigener Regie fortgesetzt und uns eine eigene Datenbasis für die vierteljährliche Konjunkturbeobachtung geschaffen. Ende der Neunziger haben wir dann unser System auf die Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Bundesländer umgestellt.

Aus Ihrer Sicht, wann ist es denn passiert, dass das IWH etwas von dem Fokus Ostdeutschland abrücken wollte?

Mit der Schließung der Abteilung "Mittelosteuropa" hatte sich 2005 das Forschungsprofil leider sehr auf Ostdeutschland verengt. Allerdings fanden Diskussionen über die Neuausrichtung des Forschungsprofils schon während der Präsidentschaft von Herrn Pohl statt. Er diskutierte um das Jahr 2000 immer öfter mit mir, dass die Zeit der Nationalstaatlichkeit vorbei sei und die Offenheit der Volkswirtschaften so weit zunehme, dass Konjunkturprognosen für einzelne Staaten und Regionen überholt wären. Ihm ging es damals schon um einen stärkeren Fokus auf die Integration der Länder bei offenen Grenzen in Europa. Dieser Gedanke ist von uns später mit der Entwicklung des neuen Leitmotivs "Von der Transformation zur europäischen Integration" aufgegriffen worden.

Wie kam es dann zur Orientierung Richtung Finanzmärkte?

Erste Schritte wurden in der Abteilung Makroökonomie bereits vor der Finanzkrise eingeleitet, ohne dass uns anfangs die Dramatik und Tiefe des Einschnitts einer Krise an den Finanzmärkten in die Konjunktur bewusst war. Der konjunkturelle Bezug war aber wohl auch sehr kurz gedacht. Die starke Finanzmarkt-Orientierung des IWH hat sich definitiv zu großen Teilen durch die Berufung von Frau Buch als Präsidentin ergeben. "Böse Zungen" behaupten ja: Früher haben sich die Institute einen Präsidenten gewählt. Heute wird für einen Präsidenten ein Institut gesucht.

Was war denn für Sie einer der schönsten Momente?

Ein Höhepunkt war sicher, als mein Team von der "Financial Times Deutschland" 2004 zum "Prognostiker des Jahres" gekürt wurde. Aber alle Entwicklungsetappen am IWH hatten ihre speziellen Reize: Die schönste Zeit waren für mich zunächst die Jahre mit Herrn Wegner in der frühen Gründungs- und Aufbauphase des IWH, als es viel Gestaltungsspielraum gab und vieles neu war. Mit der inhaltlichen Aufrüstung und der personellen Aufstockung unter Herrn Pohl kam "frischer Wind" in unsere Forschung. Er trieb uns intellektuell an, indem er unsere Ansichten und Analysen mit seinem scharfen analytischen Verstand immer wieder infrage stellte. Er war aber auch sehr streng, was die Personalführung betraf. Mit Herrn Blum hielt dann eine andere Kultur Einzug, weil er offener war. Leider waren inzwischen viele gute Forscherinnen und Forscher aus den einzelnen, relativ kleinen Abteilungen des Instituts gegangen und hatten sich neue Herausforderungen gesucht, sind z.B. in Ministerien gewechselt. Das war für mich damals neu und ich musste lernen, das die Fluktuation an solch einem Institut sehr hoch ist, weil viele die Zeit hier als Sprungbrett auf der Karriereleiter ansehen. Nicht kompensiert werden konnte trotz langwieriger Nachfolgersuche der Weggang von Hilmar Schneider zum IZA, damals Leiter der forschungsstarken und viel gefragten Abteilung Arbeitsmarkt. Die Abteilung wurde 2006 geschlossen.

Was wäre Ihre Einschätzung für die Zukunft des IWH, also ein kleiner Ausblick Ihrerseits?

Ich glaube, das hängt viel von äußeren Mächten ab. Dass wir beispielsweise während der Zeit von Herrn Blum bei zwei Evaluierungen aufgelaufen sind, hatte nicht nur etwas mit der beargwöhnten inhaltlichen Neuausrichtung des Instituts zu tun, wir hatten auch einfach Pech. In den Evaluierungskommissionen waren zu der Zeit nämlich prominente Kolleginnen und Kollegen präsent, die das Spezialgebiet „Industrieökonomik“ von Herrn Blum als Konkurrenz für sich selbst ansahen. Dadurch hatte Herr Blum von vornherein einen schweren Stand. Zudem konnten einige seiner Personalentscheidungen die Kommission nicht überzeugen, sodass die Evaluierung im Endeffekt nicht gut genug ausging.

Also würden Sie nicht sagen, dass man aufgrund der damaligen Evaluierungen schließen konnte, dass das Institut in seinen Leistungen tatsächlich stark nachgelassen hatte?

Es hatte – was die Leistungskriterien betrifft – schon ein Umdenken im Institut eingesetzt, spätestens nach dem Jahr 2004 unter der Präsidentschaft von Herrn Blum. Publikationen in referierten Fachzeitschriften wurde zum Beispiel ein höherer Stellenwert beigemessen. Es gab auch einen Richtwert von einer Publikation pro Mitarbeiterin und Mitarbeiter und Jahr, um das Kriterium einigermaßen zu erfüllen. Das war aber gar nicht so schnell umsetzbar. Die eigentliche Aufgabe des IWH blieb ja die wirtschaftspolitische Beratung.

Was würden Sie sich für die Zukunft des IWH wünschen?

Das Überleben. Die Konkurrenzsituation ist heutzutage viel schärfer geworden. Deshalb muss man neue Felder erschließen bzw. neue Strategien entwickeln, um fortbestehen zu können. Vorteilhaft ist da, eine solche inhaltliche Profilierung auszuwählen, für die es möglichst wenig Konkurrenz gibt.


Prof. Dr. Udo Ludwig

Udo Ludwig wechselte 1992 von der Akademie der Wissenschaften in Berlin, wo er in der Abteilung "Analyse und Prognose des volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozesses" tätig war, an das IWH. Hier war er bis zum Jahr 2009 Leiter der Abteilung "Konjunktur und Wachstum". Bis heute bereichert er das IWH als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Makroökonomik.

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