Zur Lage der Finanzmärkte: Der Schwarze Montag im August 2024

Nach einer langen Phase fast stetigen Wachstums fielen Anfang August dieses Jahres viele Wertpapierkurse drastisch. Von einer Ausverkaufsstimmung und einem "Schwarzen Montag" war die Rede. Ein Monat ist seitdem vergangen, und die Kurse haben sich mehr als erholt. Der DAX steht beispielsweise derzeit auf einem Allzeithoch. Dennoch rief der Rücksetzer im August Erinnerungen an vergangene Finanzkrisen wach. Dies muss Gelegenheit sein, die aktuelle Lage der Finanzmärkte zu beleuchten. Wir sprechen dazu mit Professor Michael Koetter, Ph.D., Leiter der Abteilung Finanzmärkte am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und Vize-Präsident des Instituts.

Anfang August gab es an den Börsen eine Ausverkaufsstimmung, die in den Medien auch als Schwarzer Montag 2024 bezeichnet wurde. War das ein Ausrutscher oder kommen die Finanzmärkte nach einer langen Zeit des Wachstums jetzt wieder in unruhige Fahrwasser? 

Michael Koetter: Der Rücksetzer im August ging tatsächlich über normale Marktschwankungen hinaus. Nach einer langen Phase des Wachstums, die seit der Covid-Krise 2020 mit nur wenigen Unterbrechungen anhielt, ist dieser Einbruch ein Zeichen wachsender Unsicherheiten. Einerseits gibt es Bedenken hinsichtlich der Entkopplung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft, andererseits spielen auch geopolitische Risiken, wie etwa der andauernde Ukraine-Krieg oder die Spannungen in Asien, eine Rolle. In Deutschland sehen wir zudem strukturelle Schwächen: Das Wirtschaftswachstum stockt, der Fachkräftemangel ist unübersehbar, bürokratische Lasten nehmen zu, die Innovationskraft deutscher Unternehmen ist überschaubar und die letzten Landtagswahlen deuten auf weitere politische Turbulenzen in der mittleren Frist bis zu den nächsten Bundestagswahlen hin. All das trägt zu einer Verunsicherung an den Märkten bei, und es könnte sein, dass wir nach dieser Erholungsphase wieder vermehrt mit Rücksetzern rechnen müssen.

In Ihren Forschungen untersuchen Sie auch die Entwicklung der Immobilienmärkte in Europa. In Deutschland haben wir in den letzten Jahren stark steigende Preise im Immobiliensektor gesehen. Deuten Ihre Daten auf eine Blase hin, die bald platzen könnte?

Michael Koetter: Der Immobilienmarkt in Deutschland steht tatsächlich unter Druck, aber von einer flächendeckenden Blasenbildung würde ich derzeit nicht sprechen. Die Preisanstiege der letzten Jahre waren stark, insbesondere in Ballungsgebieten, aber die treibenden Faktoren – niedrige Zinsen, hohe Nachfrage und begrenztes Angebot – haben sich allmählich abgeschwächt. Die Zinserhöhungen der letzten Monate wirken dämpfend, und wir sehen bereits, dass die Preise sich stabilisieren oder teilweise leicht zurückgehen. Allerdings sind vor allem in Metropolregionen hohe Immobilienpreise in Kombination mit gestiegenen Finanzierungskosten für viele Haushalte insbesondere bei Neubezügen ein Problem. In ländlichen Räumen sehen wir hingegen, dass Immobilienmärkte zunehmend an Liquidität einbüßen: Es dauert schlicht zunehmend lange, eine Immobilie im ländlichen Raum zu verkaufen. Insgesamt bleibt eine stärkere Korrektur an den Märkten möglich, aber wir beobachten derzeit wohl eher eine Normalisierung als ein abruptes Platzen einer Blase.

Der Rücksetzer Anfang August rief bei vielen Erinnerungen an die globale Finanzkrise 2007/2008 wach. Eine der wesentlichen Forderungen damals war eine stärkere Bankenaufsicht. Wie krisenfest sind die Banken in Deutschland heute?

Michael Koetter: Die Reformen, die nach der Finanzkrise umgesetzt wurden, haben die Bankenlandschaft zweifellos stabiler gemacht. Die Eigenkapitalvorschriften wurden verschärft, und die Banken müssen heute höhere Puffer vorhalten, um Schocks besser abfedern zu können. Zudem ist die Überwachung durch Institutionen wie die Europäische Zentralbank (EZB) und die BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) deutlich strenger geworden. Trotzdem bleiben Schwachstellen. Die Zinswende stellt für viele Banken eine Herausforderung dar, da sie jahrelang von den niedrigen Zinsen profitiert haben. Unsere aktuelle Forschung deutet darauf hin, dass die Aktivierung neuer makroprudenzieller Instrumente zur Dämpfung überhitzter Immobilienpreise zum Beispiel dazu führt, dass Banken vor allem solche Kredite besichern, welche in weniger liquide, also riskantere regionale Immobilienmärkte vergeben wurden. Einige kleinere Institute sind somit nach wie vor anfällig, insbesondere wenn sie stark in Immobilienkredite involviert sind, welche in zunehmend illiquiden Immobilienmärkten vergeben wurden. Insgesamt haben wir heute ein robusteres System, aber die Risiken sollten nicht unterschätzt werden.

Während des Rücksetzers Anfang August äußerten einige Politiker Bedenken hinsichtlich der Altersvorsorge mit Wertpapieranteilen und warnten vor den Risiken. Wie bewerten Sie diese Einschätzungen im Kontext der Diskussion um eine so genannte ‚Aktienrente‘?

Michael Koetter: Die Bedenken sind nicht unbegründet, aber eine pauschale Ablehnung von Wertpapierinvestitionen in der Altersvorsorge halte ich für übertrieben. Aktien ermöglichen langfristig den Vermögensaufbau und bieten Schutz vor Inflation, vorausgesetzt, die Anlagen werden breit gestreut und über einen längeren Zeitraum gehalten. Die geplante „Aktienrente“ oder das „Generationenkapital“ der Ampel-Koalition ist in diesem Zusammenhang durchaus sinnvoll, um die Rentensysteme zu stabilisieren, weil langfristige und gut gestreute Engagements in Aktien historisch signifikant rentabler sind als zum Beispiel Geldmarktanlagen oder festverzinsliche Produkte. Wichtig ist aber, dass die Rahmenbedingungen stimmen: Auf individueller Ebene müssen Faktoren wie der Einstiegszeitpunkt und die Diversifikation berücksichtigt werden. Auf struktureller Ebene braucht es eine starke Banken- und Finanzmarktaufsicht, um sicherzustellen, dass die Anbieter solcher Produkte transparent und fair arbeiten. Hier gibt es noch Handlungsbedarf, insbesondere in der Kontrolle von Banken durch die BaFin, aber auch und vor allem in der Überwachung eines rasant wachsenden Schattenbanksegments, wie zum Beispiel Hedge-Fonds.

Kritik an der BaFin kam zuletzt häufiger auf. Hat die Bankenaufsicht Ihrer Meinung nach genügend Reformen umgesetzt, um solche Risiken zu minimieren?

Michael Koetter: Die BaFin hat nach dem Wirecard-Skandal zwar einige Reformen eingeleitet, doch es gibt nach wie vor Verbesserungspotenzial. Insbesondere die frühzeitige Erkennung von Fehlentwicklungen in den Finanzmärkten sowie im besagten Schattenbankensystem bleibt eine Herausforderung. Die BaFin muss nicht nur stärker auf die Stabilität der Banken achten, sondern auch bei Anbietern von Finanzprodukten rigoroser durchgreifen. Vor allem im Bereich der Altersvorsorgeprodukte ist es entscheidend, dass Verbraucher vor überhöhten Kosten oder intransparenten Strukturen geschützt werden. Insofern weniger stark regulierte und wesentlich intransparentere Akteure aus dem Schattenbankensystem den klassischen Geldhäusern zunehmend Konkurrenz machen, sehe ich hier noch Nachholbedarf. Es ist essenziell, dass die BaFin personell und technisch so ausgestattet wird, dass sie den komplexen Anforderungen eines globalisierten Finanzsystems gerecht werden kann.

Wie sinnvoll ist eine nationale BaFin in Zeiten globalen Handels und Investments noch?

Michael Koetter: Eine nationale Aufsichtsbehörde wie die BaFin bleibt auch in Zeiten globalen Handels und Investments von Bedeutung, da sie spezifische Kenntnisse des lokalen Finanzsystems und der nationalen Bankenlandschaft hat. Dennoch stoßen nationale Aufsichtsbehörden in einem zunehmend globalisierten Finanzsystem an ihre Grenzen. Finanzströme und Risiken machen nicht an nationalen Grenzen halt, weshalb internationale Kooperationen und eine enge Verzahnung mit europäischen und globalen Aufsichtsorganen entscheidend sind. Die BaFin arbeitet eng mit der EZB und internationalen Gremien wie dem Financial Stability Board (FSB) zusammen, aber es braucht mehr Koordination, um globale Risiken effizient zu adressieren. Langfristig sollten wir über eine stärkere Europäisierung der Bankenaufsicht nachdenken, um grenzüberschreitende Risiken besser zu managen.

Welche Rolle kann die Finanzmarktforschung hier in der Begleitung spielen?

Michael Koetter: Die Finanzmarktforschung spielt eine zentrale Rolle, um die Entwicklungen im Bankensektor und im Finanzsystem fundiert zu analysieren und frühzeitig Risiken zu identifizieren. Forschungseinrichtungen wie das IWH tragen dazu bei, indem sie Daten sammeln, Marktmechanismen untersuchen und die Folgen finanzpolitischer Maßnahmen quantifizieren, die sowohl Aufsichtsbehörden als auch Politikern als Entscheidungsgrundlage dienen. Insbesondere in Zeiten globalisierter Finanzmärkte ist es wichtig, dass wirtschaftswissenschaftliche Institute die internationalen Verflechtungen und neuen Risiken, wie etwa aus dem Bereich der Finanztechnologie oder durch geopolitische Spannungen, systematisch untersuchen. Die Forschung kann auch Impulse geben, wie Aufsichtsstrukturen verbessert und effektiver gestaltet werden können, etwa durch die Evaluierung bestehender Regulierungen und Vorschläge für Reformen.

Im Kontext des Rücksetzers im August 2024 wird auch die Rolle der Bankenunion in der Europäischen Union (EU) wieder stärker diskutiert. Wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Bankenunion?

Michael Koetter: Die Bankenunion ist ein zentraler Baustein zur Stabilisierung des europäischen Bankensektors. Die Einführung des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) und des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM) war ein großer Schritt in Richtung einer einheitlichen Aufsicht und Abwicklung von Banken innerhalb der Eurozone. Allerdings bleibt die Bankenunion unvollständig, da der dritte Pfeiler, eine europäische Einlagensicherung, noch immer fehlt. Das bedeutet, dass bei einer Bankenkrise immer noch nationale Sicherungssysteme greifen, was die Fragmentierung verstärkt. Solange dieses Problem nicht gelöst wird, bleibt die Bankenunion anfällig, insbesondere in Zeiten erhöhter Marktturbulenzen wie im August.

Welche Herausforderungen sehen Sie für die europäische Bankenaufsicht angesichts der aktuellen Entwicklungen auf den Finanzmärkten?

Michael Koetter: Eine der größten Herausforderungen für die europäische Bankenaufsicht ist die zunehmende Komplexität und Vernetzung der Finanzmärkte. Die Banken stehen nicht mehr nur vor klassischen Risiken wie Kreditausfällen, sondern auch vor neuen Gefahren wie Cyberangriffen, geopolitischen Spannungen oder den Folgen des Klimawandels. Die Europäische Zentralbank und die nationale Aufsicht müssen daher in der Lage sein, diese vielfältigen Risiken frühzeitig zu erkennen und zu bewerten. Hinzu kommt, dass kleinere Banken häufig von den neuen Regularien überfordert sind, was ihre Widerstandsfähigkeit in Krisen verringert. Die Aufsichtsbehörden müssen hier einen Balanceakt zwischen zu viel und zu wenig Regulierung finden. Zudem sehe ich neben der abgestimmten Überwachung von Banken und den oben genannten Schattenbanken in den zunehmenden nicht-finanziellen Berichtspflichten eine große Herausforderung. Die EZB bewegt sich in dieser Hinsicht zunehmend auf nicht-kartographiertem Terrain. Ein Beispiel sind die im Mai dieses Jahres zum ersten Mal verhängten Strafen, als einige Banken Klimarisiken nicht termintreu quantifiziert haben. Mir bleibt unklar, ob und inwieweit es der Bankenaufsicht möglich ist, diese Art von Risiken korrekt und präziser als Banken zu bewerten. Die Rolle von Klima- und anderen nichtfinanziellen Risiken in der Bankenaufsicht bleibt somit schwach definiert. Derartige Zweifel hinsichtlich des Mandats und der Kompetenz können zu einem grundsätzlichen Glaubwürdigkeitsverlust der Aufsicht führen, was der Stabilität des Finanzsystems zweifellos abträglich wäre.

Wie stark ist die Zusammenarbeit der nationalen Bankenaufsichtsbehörden innerhalb der EU, und gibt es hier noch Verbesserungspotenzial?

Michael Koetter: Die Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden in der EU hat sich in den letzten Jahren verbessert, vor allem dank des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus, der seit 2014 von der EZB geleitet wird. Die European Banking Authority (EBA) entwickelt die Leitlinien zur Durchführung der mikroprudenziellen Aufsicht und die EZB koordiniert die Aufsicht über die größten systemrelevanten Banken, während die nationalen Aufsichtsbehörden weiterhin kleinere Institute überwachen. Allerdings gibt es immer noch nationale Unterschiede in der Art und Weise, wie Aufsicht praktiziert wird, was zu Inkonsistenzen führen kann. Besonders im Bereich der Bankenabwicklung könnte die Zusammenarbeit weiter optimiert werden, da hier nationale Interessen häufig dominieren. Eine stärkere Harmonisierung und eine umfassendere europäische Einlagensicherung wären hier wichtige nächste Schritte, um die Stabilität des gesamten Bankensystems in Krisenzeiten zu gewährleisten.

Die Fragen stellte Wolfgang Sender.


Zur PersonProfessor Michael Koetter, Ph.D.

Professor Michael Koetter, Ph.D.

Professor Michael Koetter ist Leiter der Abteilung Finanzmärkte am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und Vize-Präsident des Instituts.


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