Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2020: Erholung verliert an Fahrt – Wirtschaft und Politik weiter im Zeichen der Pandemie
Grund für die im Vergleich pessimistischere Einschätzung ist, dass die Institute den weiteren Erholungsprozess nunmehr etwas schwächer einschätzen als noch im Frühjahr. „Ein Gutteil des Einbruchs aus dem Frühjahr ist zwar schon aufgeholt, aber der verbleibende Aufholprozess stellt die mühsamere Wegstrecke zurück zur Normalität dar“, sagte Stefan Kooths, Konjunkturchef des IfW Kiel.
Gebremst wird die Erholung zum einen durch jene Branchen, die in besonderem Maße auf soziale Kontakte angewiesen sind, etwa Gaststätten und Tourismus, das Veranstaltungsgewerbe oder der Luftverkehr. „Dieser Teil der deutschen Wirtschaft wird noch längere Zeit unter der Corona-Pandemie leiden und erst dann am Erholungsprozess teilhaben, wenn Maßnahmen zum Infektionsschutz weitgehend entfallen, womit wir erst im nächsten Sommerhalbjahr rechnen“, so Kooths.
Zum anderen bremst die Investitionszurückhaltung der Unternehmen den Aufschwung, weil sich deren Eigenkapitalpositionen durch die Krise vielfach verschlechtert haben. Maßgeblich getragen wird die Erholung von den Exporten, die im Zuge der Krise besonders drastisch eingebrochen waren.
Das Vorkrisenniveau der Wirtschaftsleistung wird voraussichtlich erst Ende 2021 erreicht. Die Wirtschaftsleistung liegt dann 2,5% unter dem Niveau, das ohne die Pandemie hätte erbracht werden können. Erst Ende 2022 dürfte die deutsche Wirtschaft wieder normal ausgelastet sein. Kooths: „Mit dem Aufholen des Einbruchs sind die Krisenfolgen keineswegs ausgestanden. Auch die Produktionskapazitäten dürften mittelfristig gut ein Prozent niedriger sein, als es Vorkrisenschätzungen ergaben. Der Corona-Effekt auf das Produktionspotenzial ist allerdings weiterhin sehr unsicher, weil sich derzeit kaum absehen lässt, welche längerfristigen Schäden die Krise hinterlässt und wie die wirtschaftspolitischen Reaktionen wirken.“
Die Corona-Krise hat auch am Arbeitsmarkt deutliche Spuren gezeigt. Trotz massiver Kurzarbeit gingen bis zur Jahresmitte schätzungsweise 820 000 Stellen verloren. Seitdem steigt die Zahl der Erwerbstätigen wieder leicht, das Vorkrisenniveau wird aber erst Mitte 2022 erreicht. Die Arbeitslosenquote dürfte dieses und nächstes Jahr auf 5,9% steigen und 2022 leicht auf 5,5% zurückgehen.
Die Konjunkturprogramme haben im Zusammenspiel mit den automatischen Stabilisatoren dazu beigetragen, dass die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte selbst in der akuten Krisenphase insgesamt relativ stabil blieben. Dies führt zugleich dazu, dass der öffentliche Gesamthaushalt das laufende Jahr mit einem Rekorddefizit von 183 Mrd. Euro abschließen wird. Auch in den kommenden beiden Jahren bleiben die Fehlbeträge mit 118 Mrd. Euro (2021) und 92 Mrd. Euro (2022) beträchtlich.
Das größte Risiko für die Prognose bleibt der ungewisse Pandemieverlauf. Die Institute nehmen an, dass die Infektionsschutzmaßnahmen im Verlauf des kommenden Sommerhalbjahrs soweit gedrosselt werden können, dass sie die ökonomische Aktivität nicht mehr nennenswert beeinträchtigen. Unsicher ist zudem, in welchem Umfang es noch zu Unternehmensinsolvenzen im In- und Ausland kommt. Ferner schwelen verschiedene Handelskonflikte weiter. Würde sich die zwischenzeitlich stark angeschwollene private Ersparnis vermehrt in zusätzliche Käufe übersetzen, könnten die konsumnahen Wirtschaftsbereiche hingegen stärker angeregt werden als in dieser Prognose unterstellt.
Die Gemeinschaftsdiagnose wird erarbeitet vom DIW in Berlin, vom ifo Institut in München, vom IfW in Kiel, vom IWH in Halle und vom RWI in Essen.
Langfassung des Gutachtens
Erholung verliert an Fahrt - Wirtschaft und Politik weiter im Zeichen der Pandemie. Herbst 2020. Kiel 2020.
Die Langfassung des Gutachtens ist auf der IWH-Website und unter www.gemeinschaftsdiagnose.de/category/gutachten/ abrufbar.
Über die Gemeinschaftsdiagnose
Die Gemeinschaftsdiagnose wird zweimal im Jahr im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie erstellt. Am Herbstgutachten 2020 haben mitgewirkt:
- Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)
- ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V. in Kooperation mit der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich
- Institut für Weltwirtschaft Kiel (IfW Kiel)
- Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)
- RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Kooperation mit dem Institut für Höhere Studien Wien
Wissenschaftliche Anspechpartner
Dr. Claus Michelsen
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)
Tel +49 30 89789 458
CMichelsen@diw.de
Professor Dr. Timo Wollmershäuser
ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V.
Tel +49 89 9224 1406
Wollmershaeuser@ifo.de
Professor Dr. Stefan Kooths
Institut für Weltwirtschaft Kiel (IfW Kiel)
Tel +49 431 8814 579 oder +49 30 2067 9664
Stefan.Kooths@ifw-kiel.de
Professor Dr. Oliver Holtemöller
Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)
Tel +49 345 7753 800
Oliver.Holtemoeller@iwh-halle.de
Professor Dr. Torsten Schmidt
RWI – Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung
Tel +49 201 8149 287
Torsten.Schmidt@rwi-essen.de
Ihr Kontakt
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Für Journalistinnen/en
IWH-Expertenliste
Die IWH-Expertenliste bietet eine Übersicht der IWH-Forschungsthemen und der auf diesen Gebieten forschenden Wissenschaftler/innen. Die jeweiligen Experten für die dort aufgelisteten Themengebiete erreichen Sie für Anfragen wie gewohnt über die Pressestelle des IWH.
Zugehörige Publikationen
Erholung verliert an Fahrt – Wirtschaft und Politik weiter im Zeichen der Pandemie
in: Dienstleistungsauftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, 2, 2020
Abstract
Infolge der im In- und Ausland ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie ist die deutsche Wirtschaftsleistung in der ersten Jahreshälfte drastisch gesunken, wobei sich der Einbruch auf die Monate März und April konzentrierte. Schon im Mai setzte eine kräftige Gegenbewegung ein, die sich in nahezu allen Branchen bis zum aktuellen Rand fortsetzte. Dieser Erholungsprozess dürfte aber zunehmend an Fahrt verlieren. Denn Nachholeffekte laufen aus, einige Branchen sind weiterhin erheblichen Einschränkungen ausgesetzt und die für die deutsche Wirtschaft wichtige globale Investitionstätigkeit dürfte noch für einige Zeit geschwächt bleiben. Die Institute erwarten daher nach einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes um 5,4% in diesem Jahr nur ein Zuwachs um 4,7% im kommenden Jahr und 2,7% im Jahr 2022. Sie revidieren damit ihre Prognose gegenüber dem Frühjahr für das laufende und das kommende Jahr um jeweils gut 1 Prozentpunkt nach unten. Grund dafür ist, dass der weitere Erholungsprozess nunmehr etwas schwächer eingeschätzt wird als noch im Frühjahr.