Investitionen, Auslastungsgrad und öffentliche Finanzen in der mittleren Frist: Implikationen des Zweiten Nachtragshaushalts 2021

Die Bundesregierung plant, mit dem Zweiten Nachtragshaushalt 2021 dem Energie- und Klimafonds eine Rücklage in Höhe von 60 Mrd. Euro zuzuführen. Die Mittel sollen auch die gesamtwirtschaftlichen Folgekosten der Pandemie verringern. Nach der Mittelfristprojektion des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) dürften die beabsichtigten Mehrausgaben auf dem Höhepunkt ihrer Wirksamkeit im Jahr 2024 die Produktion um etwa 0,5% steigern. „Allerdings werden die zusätzlichen Investitionen die seit Pandemiebeginn ausgebliebene Investitionstätigkeit bei Weitem nicht kompensieren“, sagt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident des IWH. Den positiven gesamtwirtschaftlichen Effekten steht zudem gegenüber, dass der Nachtragshaushalt das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Schuldenbremse reduzieren dürfte.

Autoren Oliver Holtemöller

Der Nachtragshaushalt gibt dem Bund für die Jahre, in denen die Schuldenbremse wieder greift, zusätzliche finanzpolitische Spielräume, denn es ist vorgesehen, die Zuweisung schon für das Jahr 2021, in dem die Schuldenbremse noch ausgesetzt ist, als defiziterhöhende Ausgabe des Kernhaushalts zu buchen und nicht erst, wenn die Gelder vom Fonds tatsächlich verausgabt werden. Um abzuschätzen, mit welchen pandemiebedingten gesamtwirtschaftlichen Einbußen in der mittleren Frist zu rechnen ist, kann die aktuelle Mittelfristprojektion des IWH von Dezember 2021 mit der IWH-Projektion von Ende 2019, also vor dem Ausbruch der Pandemie, verglichen werden: Die aktuelle Projektion beinhaltet für die Jahre 2023 und 2024 eine leichte Überauslastung der Produktionskapazitäten, vor allem aufgrund von Nachholeffekten beim privaten Konsum. Jedoch liegt das Produktionspotenzial in den kommenden Jahren mehr als 1,5% unter dem Ende 2019 vom IWH prognostizierten Wert, vor allem wegen eines geringeren Arbeitsangebots, unter anderem aufgrund der deutlich niedrigeren Zuwanderung von Arbeitskräften als vor der Pandemie erwartet. Zudem liegen die Anlageinvestitionen nach der aktuellen Projektion in den kommenden Jahren deutlich niedriger als 2019 erwartet.

Inwieweit der Nachtragshaushalt dabei helfen kann, diese Rückstände aufzuholen, kann mit Hilfe des finanzpolitischen Simulationsmodells des IWH abgeschätzt werden. Gemäß den Ergebnissen der Simulation fällt durch die mit dem Nachtragshaushalt verbundenen Mehrausgaben die gesamtwirtschaftliche Aktivität auf ihrem Höhepunkt im Jahr 2024 um etwa 0,5% höher aus als im Basisszenario. In etwa im gleichen Umfang ziehen die Mehrausgaben auch eine Ausweitung privater Investitionstätigkeit nach sich. Die zu erwartenden Effekte der Mehrausgaben sind somit eher gering, und der gesamtwirtschaftliche Kapitalstock bleibt dauerhaft kleiner als noch vor der Pandemie projiziert. Dies hat bleibende negative Auswirkungen auf das Produktionspotenzial zur Folge, die freilich deutlich geringer sind als die zuvor angesprochenen Potenzialeffekte von Seiten des Arbeitsmarktes.

Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive scheinen kreditfinanzierte Maßnahmen zur Steigerung der öffentlichen und privaten Investitionen somit vertretbar. Sie könnten das Produktionspotenzial stärken, zumal die anstehende Dekarbonisierung der Wirtschaft die Produktionskapazitäten zusätzlich schwächen dürfte, denn sie ist mit Abschreibungen von Teilen des bestehenden Kapitalstocks verbunden. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass das Parken von Kreditermächtigungen in einem Nebenhaushalt den Intentionen der deutschen Schuldenbremse wohl widerspricht und die Zulässigkeit juristisch umstritten ist. „Letztlich gilt es für die Politik, die positiven gesamtwirtschaftlichen Effekte zusätzlicher Investitionen und die negativen Effekte auf die Glaubwürdigkeit der Schuldenregel gegeneinander abzuwägen“, so Oliver Holtemöller.

Langfassung
Andrej Drygalla, Katja Heinisch, Oliver Holtemöller, Axel Lindner, Götz Zeddies: Investitionen, Auslastungsgrad und Öffentliche Finanzen in der mittleren Frist: Implikationen des Zweiten Nachtragshaushalts 2021, in: IWH, Konjunktur aktuell, Jg. 9 (4), 2021, 141‒148. Halle (Saale) 2021.

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Investitionen, Auslastungsgrad und Öffentliche Finanzen in der mittleren Frist: Implikationen des Zweiten Nachtragshaushalts 2021

Andrej Drygalla Katja Heinisch Oliver Holtemöller Axel Lindner Götz Zeddies

in: Konjunktur aktuell, 4, 2021

Abstract

Die Bundesregierung plant, mit dem Zweiten Nachtragshaushalt 2021 dem Energie- und Klimafonds eine Rücklage in Höhe von 60 Mrd. Euro zuzuführen. Die Mittel sollen in den Folgejahren in Investitionen in den Klimaschutz und die Transformation der Wirtschaft fließen und zugleich gesamtwirtschaftliche Folgekosten der Pandemie verringern. Diese pandemiebedingten Einbußen sind auch in der mittleren Frist erheblich. Zwar dürften Nachholeffekte beim privaten Konsum die im Jahr 2021 noch deutliche Unterauslastung bis zum Jahr 2024 vollständig verschwinden lassen. Jedoch liegt das Produktionspotenzial in den kommenden Jahren mehr als 1,5% unter dem Ende 2019 vom IWH prognostizierten Wert, vor allem wegen eines geringeren Arbeitsangebots, unter anderem aufgrund deutlich niedrigerer Zuwanderung von Arbeitskräften. Die Investitionen sind gemäß aktueller Mittelfristprojektion im Jahr 2024 ebenfalls noch deutlich niedriger. Die Effekte des Nachtragshaushalts auf Investitionstätigkeit und Produktion lassen sich mit Hilfe des finanzpolitischen Simulationsmodells des IWH abschätzen. Die beabsichtigten Mehrausgaben dürften auf dem Höhepunkt ihrer Wirksamkeit im Jahr 2024 die gesamtwirtschaftliche Aktivität um etwa 0,5% steigern. Allerdings werden die zusätzlichen Investitionen die seit Pandemiebeginn ausgebliebene Investitionstätigkeit bei Weitem nicht kompensieren können. Eine Bewertung des Nachtragshaushals hat die positiven gesamtwirtschaftlichen Effekte zusätzlicher Investitionen und die negativen Effekte auf die Glaubwürdigkeit der Schuldenbremse gegeneinander abzuwägen.

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