Konjunktur aktuell: Neue Infektionswelle unterbricht wirtschaftliche Erholung
Die globale Produktion hat nach dem dramatischen Einbruch vom vergangenen Frühjahr wieder deutlich zugelegt. Rasch ist die Erholung vor allem in Ostasien in Gang gekommen, wo die Pandemie weitgehend unter Kontrolle ist und die Wirtschaft von der hohen Weltnachfrage nach Industriegütern profitiert. Im Euroraum ist das Bruttoinlandsprodukt dagegen infolge einer neuen Infektionswelle zuletzt zurückgegangen. Allerdings geben die anlaufenden Impfkampagnen Hoffnung, dass die Pandemie im Lauf des Jahres auch dort ihren Schrecken verliert. Von Seiten der Wirtschaftspolitik sind die Bedingungen für eine Erholung der Weltwirtschaft günstig. Die besonders expansive Finanzpolitik in den USA hat zusammen mit einem steilen Anstieg der Rohstoffpreise zuletzt sogar Inflationssorgen aufkommen lassen. In den einzelnen Weltregionen wird sich die Wirtschaft zeitlich versetzt normalisieren. Während die kräftige Konjunktur in China bereits wieder nachlässt, dürfte die Wirtschaft im Euroraum erst im Sommerhalbjahr in Schwung kommen.
In Deutschland ist aufgrund des Lockdowns die Wertschöpfung im Dienstleistungsbereich Ende 2020 gesunken, in der Industrie und am Bau nahm sie dagegen deutlich zu. Ein Großteil der personennahen Dienstleistungen unterliegt trotz der Anfang März beschlossenen Lockerungen weiterhin Beschränkungen. Im ersten Quartal 2021 dürfte das Bruttoinlandsprodukt deutlich zurückgehen. Mit Fortschreiten der Impfkampagne ist aber damit zu rechnen, dass die Lockdown-Maßnahmen Schritt für Schritt aufgehoben werden. „Für eine rasche Erholung der Nachfrage spricht, dass die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte, auch dank staatlicher Stützungsmaßnahmen, insgesamt stabil geblieben sind“, sagt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident des IWH. Die exportorientierten Produzenten des Verarbeitenden Gewerbes profitieren weiter von der Erholung der Weltwirtschaft. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist trotz der zweiten Welle der Corona-Pandemie recht robust, auch weil die Kurzarbeit weiter stabilisiert, so Holtemöller. Die Verbraucherpreise steigen im Jahr 2021 wegen des teureren Erdöls, der Rücknahme der temporären Mehrwertsteuersenkung, der Einführung des bundesweiten Emissionshandels zur CO2-Bepreisung im Bereich Verkehr und Wärme und der Erhöhung des Mindestlohns mit 1,9% deutlich schneller als in den Jahren zuvor. Der gesamtstaatliche Finanzierungssaldo dürfte im Jahr 2021 mit –4,4% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt nahezu auf dem Niveau des Vorjahres verharren.
Laut Oliver Holtemöller besteht das zentrale Risiko für die Konjunktur in Deutschland und in der Welt weiterhin im kaum vorhersehbaren Pandemiegeschehen. So ist ungewiss, ob die Impfstoffe gegen alle Virusvarianten gut wirksam sind. Speziell für Deutschland besteht die Gefahr, dass die Anfang März beschlossenen Öffnungsschritte eine dritte Infektionswelle auslösen, auch weil ein systematisches Konzept zum Einsatz von Corona-Schnelltests etwa in Schulen zurzeit noch fehlt. Ob eine weitere Lockdown-Runde gesellschaftlich durchgesetzt werden könnte, ist zweifelhaft. Gewiss würde aber das wirtschaftliche Vertrauen von Unternehmen und Haushalten unter einer weiteren Infektionswelle schwer leiden.
Die Langfassung der Prognose enthält drei Kästen:
Kasten 1: Annahmen und Prognosen bezüglich der Rahmenbedingungen
Kasten 2: Zur Prognose von Bruttowertschöpfung und Bruttoinlandsprodukt
Kasten 3: Zur Schätzung des Produktionspotenzials
Langfassung:
Brautzsch, Hans-Ulrich; Claudio, João Carlos; Drygalla, Andrej; Exß, Franziska; Heinisch, Katja; Holtemöller, Oliver; Kämpfe, Martina; Lindner, Axel; Müller, Isabella; Schultz, Birgit; Staffa, Ruben; Wieschemeyer, Matthias; Zeddies, Götz: Neue Infektionswelle unterbricht wirtschaftliche Erholung, in: IWH, Konjunktur aktuell, Jg. 9 (1), 2021. Halle (Saale) 2021.
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Zugehörige Publikationen
Konjunktur aktuell: Neue Infektionswelle unterbricht wirtschaftliche Erholung
in: Konjunktur aktuell, 1, 2021
Abstract
Die globale Produktion hat nach dem dramatischen Einbruch vom vergangenen Frühjahr wieder deutlich zugelegt. Vor allem Ostasien erholt sich rasch, während das BIP im Euroraum zuletzt zurückging. Von Seiten der Wirtschafts politik sind die Bedingungen für eine Erholung der Weltwirtschaft insgesamt günstig. In Deutschland dürfte mit fortschreitender Impfkampagne und schrittweiser Aufhebung der Beschränkungen eine Normalisierung des Konsumverhaltens privater Haushalte die Konjunktur beflügeln. Im Jahr 2021 wird das BIP um 3,7% zunehmen, nach einem Rückgang um 4,9% im Jahr 2020. In Ostdeutschland fällt sowohl der Rückgang als auch der Wiederanstieg deutlich geringer aus.