Konjunktur aktuell: Neue Pandemiewelle verzögert konjunkturelle Erholung in Deutschland
Am Ende des Jahres 2020 ist die internationale Konjunktur zweigeteilt: Während sich die Wirtschaft in Ostasien und mit Abstrichen auch in großen Schwellenländern wie Indien und Brasilien weiter zügig von ihrem pandemiebedingten Einbruch im Frühjahr erholt, ist für Nordamerika und für weite Teile Europas mit einem schwachen Winterhalbjahr zu rechnen. Vor allem in Europa dürften die erneute Ausbreitung der Pandemie und die Einschränkungen im Bereich der persönlichen Dienstleistungen zu Produktionsrückgängen führen. Für den Frühsommer ist witterungsbedingt mit einem Abflauen der Pandemie in der nördlichen Hemisphäre zu rechnen. Für die Zeit ab Mitte 2021 wird in dieser Prognose angenommen, dass es in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften mit dem Einsatz von Impfstoffen nach und nach gelingt, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Die Produktion dürfte dann in Europa und in den USA recht kräftig expandieren.
„In Deutschland wird der jüngst beschlossene Shutdown die Produktion schrumpfen lassen, wenn auch in deutlich geringerem Maß als im Frühjahr“, sagt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident des IWH. Denn der Rückgang, ergänzt er, dürfte im Wesentlichen auf die besonders betroffenen Dienstleistungsbranchen beschränkt bleiben. Das Verarbeitende Gewerbe profitiert dagegen weiter von der Erholung der Weltwirtschaft. Im ersten Quartal 2021 überlagern die positiven Effekte einer schrittweisen Lockerung des Shutdowns den Dämpfer auf den privaten Konsum durch die Rücknahme der Mehrwertsteuersenkung. Für die Zeit ab Sommer 2021 wird angenommen, dass die fortschreitende Impfung weiter Teile der Bevölkerung das Pandemieaufkommen stetig verringert. Auch die Wirtschaft normalisiert sich dann wieder, was mit recht kräftigen Zuwachsraten von privatem Konsum und Investitionen einhergeht. Die Beschäftigung ist seit Beginn der Pandemie deutlich stärker zurückgegangen als etwa in der Finanzkrise, ab dem Frühjahr 2021 wird sie aber langsam wieder zunehmen. Die Verbraucherpreisinflation bleibt im gesamten Prognosezeitraum moderat. Dass die realen Einkommen der privaten Haushalte stabil und die Zahl der Unternehmensinsolvenzen gering geblieben sind, ist wesentlich auf die vielfältigen Hilfen von Seiten der Finanzpolitik zurückzuführen. Die gesamtstaatliche Defizitquote dürfte auch im Jahr 2021 mit 4,3% außerordentlich hoch ausfallen, nach 5,1% im Jahr 2020.
Laut Holtemöller ist das Hauptrisiko für die Konjunktur in Deutschland die Unsicherheit darüber, ob Impfungen die Pandemie in den kommenden Quartalen wirklich beenden werden. Aber auch die gegenwärtige Infektionswelle in Europa bringt Risiken mit sich. Sie könnte die für den deutschen Export wichtige Nachfrage aus dem nahen europäischen Ausland kurzfristig einbrechen lassen, und sie gefährdet das Güterangebot. Lieferketten könnten reißen, wenn es zu Produktionsausfällen in einzelnen Betrieben kommt, etwa krankheitsbedingt oder weil die Schließung von Kindertagesstätten und Schulen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwingt, ihre Arbeit zu verlassen, um Kinder zu betreuen.
Die Langfassung der Prognose (Konjunktur aktuell: Neue Pandemiewelle verzögert konjunkturelle Erholung in Deutschland) enthält vier Kästen:
Kasten 1: Zur Preisentwicklung ausgewählter Gütergruppen im Euroraum
Kasten 2: Zur Schätzung des Produktionspotenzials
Kasten 3: Zu den Finanzhilfen im Kontext der Corona-Pandemie
Kasten 4: Zum Einbruch der Reisedienstleistungen unter der Corona-Pandemie
Langfassung:
Brautzsch, Hans-Ulrich; Claudio, João Carlos; Drygalla, Andrej; Exß, Franziska; Heinisch, Katja; Holtemöller, Oliver; Kämpfe, Martina; Lindner, Axel; Müller, Isabella; Schultz, Birgit; Staffa, Ruben; Wieschemeyer, Matthias; Zeddies, Götz: Neue Pandemiewelle verzögert konjunkturelle Erholung in Deutschland. IWH, Konjunktur aktuell, Jg. 8 (4), 2020. Halle (Saale) 2020.
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Zugehörige Publikationen
Konjunktur aktuell: Neue Pandemiewelle verzögert konjunkturelle Erholung in Deutschland
in: Konjunktur aktuell, 4, 2020
Abstract
Während die Weltwirtschaft zweigeteilt ist – die Wirtschaft in Ostasien und in den großen Schwellenländern hat sich zügig erholt, für Nordamerika und Europa ist mit einem schwachen Winterhalbjahr zu rechnen –, lässt der Shutdown die Produktion in Deutschland zum Jahresende zurückgehen. Nach Lockerung der Infektionsschutzmaßnahmen, dank Impfkampagnen und milder Witterung dürfte die Erholung ab dem Frühjahr langsam wieder in Gang kommen. Im Jahr 2021 wird das BIP um 4,4% zunehmen, nach einem Rückgang um 5% im Jahr 2020. In Ostdeutschland fällt sowohl der Rückgang als auch der Wiederanstieg deutlich geringer aus.