Agrarrohstoffpreise und Lebensmittelpreise in armen Ländern
In der Politik und in den Medien wird darüber diskutiert, ob spekulativer Handel mit Agrarrohstoffen den Hunger in der Welt vermehrt. In diesem Aufsatz wird untersucht, in welchem Umfang sich Schwankungen von Agrarrohstoffpreisen auf nationale Verbraucherpreise für Lebensmittel in Indien als einem großen Land mit einem großen Anteil an armen Menschen übertragen. Es wird gezeigt, dass Agrarrohstoffpreisschwankungen mit einem Quartal Verzögerung signifikante Effekte auf die Verbraucherpreisinflation für Lebensmittel und die Verbraucherpreisinflation insgesamt in Indien haben. Quantitativ bedeutend waren diese Effekte etwa 2007/2008 und 2010/2011. Aufgrund der restriktiven Reaktion der indischen Zentralbank auf einen Anstieg der Verbraucherpreisinflation kommt es zusätzlich zu negativen Auswirkungen auf die Konjunktur. Allerdings sind andere Faktoren für die Schwankungen der Lebensmittelpreise in Indien wesentlich bedeutender.
29. Februar 2016
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Finanzspekulation mit AgrarrohstoffenSeite 2
Das Beispiel Indien: Internationale Preissprünge bei Agrarrohstoffen übertragen sich auf die Lebensmittelpreise Auf einer Seite lesenDie Frage, ob die Finanzspekulation mit Agrarrohstoffen eingeschränkt werden sollte, wird in Medien, Politik und Wissenschaft seit einiger Zeit kontrovers diskutiert. So sagte beispielsweise EU-Kommissar Michel Barnier während einer Anhörung des Europäischen Parlaments am 13. Januar 2013, dass angesichts des Hungers in der Welt die Spekulation mit Nahrungsmitteln ein Skandal sei. Der wissenschaftliche Erkenntnisstand über den Zusammenhang zwischen Preisschwankungen auf Agrarrohstoffmärkten und nationalen Lebensmittelpreisen ist bislang unvollständig und zum Teil widersprüchlich. In dem vorliegenden Beitrag soll den Fragen nachgegangen werden, ob es Evidenz dafür gibt, dass Spekulation die Schwankungsintensität von Agrarrohstoffpreisen erhöht und ob sich Schwankungen von Agrarrohstoffpreisen auf die Lebensmittelpreise in armen Ländern auswirken.
Explosives Preisverhalten auf internationalen Märkten für Agrarrohstoffe
Auf Märkten für Rohstoffe kommt es immer wieder zu Situationen, in denen der Preis explosionsartig steigt und anschließend stark fällt. Solche Situationen werden in Anlehnung an eine Definition von Kindleberger als Preisblase bezeichnet. Die internationalen Agrarrohstoffpreise folgten insbesondere in den Jahren 2007/2008 und 2010/2011 einem solchen Muster (vgl. Abbildung 1). Im Jahr 2008 stiegen sie um 30% und im Jahr 2011 um 40% gegenüber dem Vorjahr, um anschließend wieder deutlich zu sinken.
Formale statistische Tests zeigen, dass Agrarrohstoffpreise zeitweise explosives Verhalten aufweisen. Dies kann letztlich nur mit Spekulation auf weiter steigende Preise erklärt werden. Dieser Befund bedeutet nicht, dass fundamentale Erklärungsfaktoren, d. h. angebotsseitige (z. B. Missernten) und nachfrageseitige (z. B. Bevölkerungswachstum) Veränderungen unwichtig wären, sondern nur, dass zu den fundamentalen Einflussfaktoren zeitweise Spekulation auf steigende Preise als Einflussfaktor hinzukommt. Ferner beeinflussen auch nationale und internationale makroökonomische Faktoren die Agrarrohstoffpreise. So hat beispielsweise die globale Liquidität, die im Kontext der weltweiten Finanzkrise 2007/2008 aufgrund expansiver Geldpolitik stark gestiegen ist, Effekte auf die internationalen Rohstoffpreise insgesamt und auch auf die Agrarrohstoffpreise.
Agrarrohstoffpreise und nationale Verbraucherpreise für Lebensmittel
Dass auf internationalen Handelsplätzen für Agrarrohstoffe Preisexplosionen vorkommen, bedeutet nicht automatisch, dass auch die nationalen Verbraucherpreise in einzelnen Ländern davon betroffen sind. Eine graphische Analyse zeigt allerdings, dass durchaus Parallelen zwischen Agrarrohstoffpreisen und nationalen Verbraucherpreisen bestehen (vgl. Abbildung 2). In den Jahren 2007/2008 und 2010/2011, in denen die starken Preisanstiege für Agrarrohstoffe zu beobachten waren, haben auch die Verbraucherpreisinflationsraten für Lebensmittel in den hier betrachteten Ländern Guinea-Bissau, Indien, Liberia und Madagaskar sichtbar zugenommen.
Die visuelle Inspektion reicht jedoch nicht aus, um auf einen statistisch signifikanten Zusammenhang zu schließen. Insbesondere ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es Einflussfaktoren geben kann, die sowohl die Preisentwicklung für Agrarrohstoffe als auch die Verbraucherpreise für Lebensmittel in einzelnen Ländern treiben. So spielt etwa der Rohölpreis als Kostenfaktor bei der Produktion von Agrarrohstoffen eine wichtige Rolle. Sein Effekt auf die Agrarrohstoffpreise und die nationalen Verbraucherpreise muss herausgerechnet werden, bevor ein Effekt der Agrarrohstoffpreise auf die nationalen Verbraucherpreise statistisch belegt werden kann.