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Kommentar: Bleibt Sachsen-Anhalt abgehängt?

Das Hauptthema in den Medien ist zurzeit die Flüchtlingskrise. Im Jahr 2015 sind über eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Darüber hinaus gibt es weiterhin Zuwanderung aus ost- und südeuropäischen EU-Ländern nach Deutschland. Bei monatsgenauer Rechnung und unter Berücksichtigung von Fortzügen ergibt sich für das Jahr 2015 eine Nettozuwanderung von 900 000 Personen nach Deutschland. Ohne diese Zuwanderung würde die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Deutschland sinken.

29. Februar 2016

Autoren Oliver Holtemöller

Die Zuwanderung fällt jedoch keineswegs regional gleichmäßig aus, sondern verstärkt die ohnehin bestehenden regionalen Disparitäten. Der prozentuale Bevölkerungszuwachs war – nach Schätzungen des IWH, amtliche Daten für das gesamte Jahr liegen noch nicht vor – in Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg und Hessen am höchsten. In den ostdeutschen Flächenländern war der prozentuale Zuwachs hingegen am geringsten. Mit Ausnahme von Thüringen wäre die Bevölkerung in den ostdeutschen Flächenländern ohne Flüchtlingsmigration weiter gesunken. Dies liegt zum einen an der natürlichen Bevölkerungsdynamik. In einigen ostdeutschen Bundesländern kommt allerdings hinzu, dass Menschen per saldo in andere Bundesländer abwandern. Im Jahr 2014 – neuere Daten liegen noch nicht vor – sind über 5 000 Menschen mehr aus Sachsen-Anhalt in andere Bundesländer fortgezogen, als aus anderen Bundesländern zugezogen sind.

Die Standortnachteile Sachsen-Anhalts gegenüber anderen Bundesländern bestehen fort. So ist hier nicht nur die Bevölkerungsentwicklung besonders ungünstig, sondern auch die Arbeitslosenquote höher als im ostdeutschen Durchschnitt, nämlich um gut einen Prozentpunkt. Die Kombination aus schrumpfender Bevölkerung und überdurchschnittlicher Arbeitslosenquote ist eine Ursache für das bei Weitem unterdurchschnittliche Wirtschaftswachstum in Sachsen-Anhalt. Zwischen 2010 und 2014 ist das reale Bruttoinlandsprodukt in Sachsen-Anhalt insgesamt um 0,4% gestiegen, in den ostdeutschen Flächenländern waren es knapp 4% und in den Alten Bundesländern gar etwa 6%. Vordringliche Aufgabe der Wirtschaftspolitik sollte es daher sein, Sachsen-Anhalt als Wohn- und Arbeitsort attraktiver zu machen. Denn ohne Zuwanderung wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Sachsen-Anhalt in den kommenden Jahren dramatisch abnehmen. Das bedeutet zum Beispiel auch, dass der öffentliche Schuldenstand je Einwohner selbst bei einem ausgeglichenen Haushalt weiter steigen würde. Das wird den finanziellen Handlungsspielraum des Landes in Zukunft weiter verkleinern, und zwar erst recht, wenn das Zinsniveau irgendwann wieder steigt. Es ist zu befürchten, dass dann zuerst in Bereichen gespart wird, in denen es keine gesetzlichen Ausgabenfestlegungen gibt, also zum Beispiel bei der Chancengleichheit im Bildungsbereich und bei der Integration von ausländischen Mitbürgern. Aus diesem negativen Kreislauf auszubrechen, muss eine der vordringlichsten Aufgaben der nächsten Landesregierung sein.

Das IWH hat in vielen Zusammenhängen die Bedeutung der Bildungspolitik als die größte Chance Sachsen-Anhalts betont. Bildungspolitik ist aus zwei Gründen zentral für den langfristigen Erfolg des Landes. Erstens kann sie die Ursachen für Niedriglöhne, vor allem zu geringe Qualifikation, an der Wurzel bekämpfen. Sachsen- Anhalt weist z. B. mit die höchste Schulabbrecher­quote im bundesdeutschen Vergleich auf, dieses Problem muss angegangen und Bildungspotenziale, die angesichts der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung dringend erforderlich wären, müssen gehoben werden. Die existierende Chancenungleichheit darf nicht weiter perpetuiert werden. Zweitens sollte es eines der wichtigsten Ziele sein, so genannte High-Potentials nach Sachsen-Anhalt zu holen, die die Arbeitsplätze von morgen gestalten. Sachsen-Anhalt hat weiterhin nicht zu viel, sondern zu wenig Zuwanderung! Die gegenwärtige Flüchtlingsmigration ändert diesen Befund nicht. Der Königsweg wäre es, die Grundfinanzierung der Hochschulen und anderer Forschungseinrichtungen deutlich zu erhöhen, um im internationalen Wettbewerb um die besten Wissenschaftler und besten Studierenden mithalten zu können. Das kann nur geschehen, wenn die neue Landesregierung entsprechende Prioritäten setzt, denn nur Investitionen in helle Köpfe können Sachsen-Anhalt zukunftsfähig machen.

Außerdem in diesem Heft

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„Challenges for Forecasting – Structural Breaks, Revisions and Measurement Errors” 16th IWH-CIREQ Macroeconometric Workshop

Matthias Wieschemeyer

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2016

Abstract

Am 7. und 8. Dezember 2015 fand am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zum 16. Mal der IWH-CIREQ Macroeconometric Workshop statt. Die in Kooperation mit dem Centre interuniversitaire de recherche en économie quantitative (CIREQ), Montréal, durchgeführte Veranstaltung beschäftigte sich dieses Mal mit zentralen Herausforderungen, denen sich die ökonomische Prognose zu stellen hat: Strukturbrüche in den Daten, statistische Revisionen und Fehler bei der Messung wichtiger Indikatoren.

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Agrarrohstoffpreise und Lebensmittelpreise in armen Ländern

Oliver Holtemöller

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2016

Abstract

In der Politik und in den Medien wird darüber diskutiert, ob spekulativer Handel mit Agrarrohstoffen den Hunger in der Welt vermehrt. In diesem Aufsatz wird untersucht, in welchem Umfang sich Schwankungen von Agrarrohstoffpreisen auf nationale Verbraucherpreise für Lebensmittel in Indien als einem großen Land mit einem großen Anteil an armen Menschen übertragen. Es wird gezeigt, dass Agrarrohstoffpreisschwankungen mit einem Quartal Verzögerung signifikante Effekte auf die Verbraucherpreisinflation für Lebensmittel und die Verbraucherpreisinflation insgesamt in Indien haben. Quantitativ bedeutend waren diese Effekte etwa 2007/2008 und 2010/2011. Aufgrund der restriktiven Reaktion der indischen Zentralbank auf einen Anstieg der Verbraucherpreisinflation kommt es zusätzlich zu negativen Auswirkungen auf die Konjunktur. Allerdings sind andere Faktoren für die Schwankungen der Lebensmittelpreise in Indien wesentlich bedeutender.

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Aktuelle Trends: Nach Einführung des Mindestlohns: Höherer Stundenlohn, aber geringere Arbeitszeit bei Ungelernten

Oliver Holtemöller

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2016

Abstract

Ein Jahr nach Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro brutto je Stunde ist die Diskussion über die Beschäftigungseffekte dieser Maßnahme in vollem Gange. Die momentan verfügbaren Daten deuten zwar nicht darauf hin, dass Arbeitsplätze in großem Umfang weggefallen sind, aber die wöchentliche Arbeitszeit Ungelernter ist in vom Mindestlohn besonders betroffenen Bundesländern gesunken.

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Im Fokus: Interkommunale Kooperation ist deutlich im Kommen – Ergebnisse einer Kommunalbefragung des IWH und der Universität Kassel

Martin T. W. Rosenfeld Ivo Bischoff C. Bergholz Simon Melch Peter Haug F. Blaeschke

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2016

Abstract

Interkommunale Kooperation wird vielfach als ein Mittel angesehen, mit dem speziell Städte und Gemeinden außerhalb der großen Ballungsräume die Folgen des demographischen Wandels und des zunehmenden interregionalen Standortwettbewerbs besser bewältigen könnten. Obschon immer mehr Gemeinden bei ihrer Aufgabenerfüllung zusammenarbeiten, fehlen für Deutschland bislang großflächige empirische Untersuchungen zum Phänomen der interkommunalen Kooperation. Der vorliegende Beitrag stellt Ergebnisse aus einer Befragung von 6 745 Gemeinden abseits der großen Ballungsräume zu ihrem Kooperationsverhalten in den Aufgabenbereichen Allgemeine Verwaltung, Bauhof und Tourismusmarketing vor. Die Auswertung der 1 321 Antworten gewährt aktuelle Einblicke in Merkmale und Tendenzen der interkommunalen Zusammenarbeit. Es werden unter anderem Befunde zum räumlichen, zeitlichen und thematischen Auftreten sowie zu den dahinterstehenden Rechtsformen und Motiven vorgestellt. Abschließend wird ein Ausblick auf die Möglichkeiten gegeben, mit den erhobenen Daten die Fragen nach den Wirkungen und den Bedingungen für das Zustandekommen von interkommunaler Kooperation zu beantworten.

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IWH-Bauumfrage im vierten Quartal 2015: Geschäftsaussichten hellen sich in allen Sparten deutlich auf

Brigitte Loose

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2016

Abstract

Das Geschäftsklima im ostdeutschen Baugewerbe hat sich laut Umfrage des IWH zum Jahresende verbessert. Die aktuelle Geschäftslage beurteilen die Unternehmen etwas besser als im Quartal zuvor (vgl. Abbildung 1). Hinsichtlich der Geschäftsaussichten für das nächste halbe Jahr sind die Unternehmen sogar erheblich optimistischer. Hier steigt der Saldo aus den positiven und negativen Meldungen der Unternehmen um neun Saldenpunkte (vgl. Tabelle).

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IWH-Industrieumfrage im vierten Quartal 2015: Gute Stimmung bei den Unternehmen hält an

Cornelia Lang

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2016

Abstract

Das Geschäftsklima im Verarbeitenden Gewerbe Ost­deutschlands hat sich zum Jahresende 2015 weiter erwärmt, wie die Ergebnisse der IWH-Industrieumfrage unter rund 300 Unternehmen zeigen. Die Lage wird per saldo drei Punkte besser als im Vorquartal bewertet, und der Saldo aus positiven und negativen Meldungen über die Geschäftsaussichten steigt um vier Punkte (vgl. Abbildung 1 und Tabelle).

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