Im Fokus: Interkommunale Kooperation ist deutlich im Kommen – Ergebnisse einer Kommunalbefragung des IWH und der Universität Kassel
Interkommunale Kooperation wird vielfach als ein Mittel angesehen, mit dem speziell Städte und Gemeinden außerhalb der großen Ballungsräume die Folgen des demographischen Wandels und des zunehmenden interregionalen Standortwettbewerbs besser bewältigen könnten. Obschon immer mehr Gemeinden bei ihrer Aufgabenerfüllung zusammenarbeiten, fehlen für Deutschland bislang großflächige empirische Untersuchungen zum Phänomen der interkommunalen Kooperation. Der vorliegende Beitrag stellt Ergebnisse aus einer Befragung von 6 745 Gemeinden abseits der großen Ballungsräume zu ihrem Kooperationsverhalten in den Aufgabenbereichen Allgemeine Verwaltung, Bauhof und Tourismusmarketing vor. Die Auswertung der 1 321 Antworten gewährt aktuelle Einblicke in Merkmale und Tendenzen der interkommunalen Zusammenarbeit. Es werden unter anderem Befunde zum räumlichen, zeitlichen und thematischen Auftreten sowie zu den dahinterstehenden Rechtsformen und Motiven vorgestellt. Abschließend wird ein Ausblick auf die Möglichkeiten gegeben, mit den erhobenen Daten die Fragen nach den Wirkungen und den Bedingungen für das Zustandekommen von interkommunaler Kooperation zu beantworten.
29. Februar 2016
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Bislang kaum gesicherte Daten zur interkommunalen KooperationSeite 2
Kooperation im Bereich Allgemeine Verwaltung besonders häufig Auf einer Seite lesenVor allem die Städte und Gemeinden abseits der großen Ballungsräume stehen vor großen Herausforderungen. Neben einem zunehmenden interregionalen Wettbewerb um Kapital und hochqualifizierte Arbeitskräfte müssen sie mit den Folgen des demographischen Wandels, der Abwanderung junger Familien in die Ballungskerne und einer angespannten Lage ihrer Haushalte fertig werden. Es wird immer schwieriger für sie, die soziale Infrastruktur, ihre ökonomische Wettbewerbsfähigkeit und eigene politische Handlungsspielräume aufrechtzuerhalten. Seit einigen Jahren wird die interkommunale Zusammenarbeit von Vertretern der Politik- und Verwaltungswissenschaften als eine Möglichkeit favorisiert, diesen Herausforderungen zu begegnen. Einige Landesregierungen fördern die interkommunale Zusammenarbeit mit verschiedenen Maßnahmen, auch weil Kooperationen als Alternative zu politisch heiklen Gemeindegebietsreformen gesehen werden. Das wirft folgende Fragen auf: Inwieweit ist die interkommunale Kooperation ein probates Mittel zur Lösung der oben genannten Probleme? Welche Vor- und Nachteile hat diese Form der Aufgabenerfüllung gegenüber anderen Modi? Welche Faktoren fördern oder hemmen das Zustandekommen der interkommunalen Zusammenarbeit?
Diese Fragen stehen im Mittelpunkt eines gemeinsamen Forschungsprojekts des IWH und der Universität Kassel, das seit dem Herbst 2014 läuft und von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wird. Da amtliche Daten zum Umfang und zu den Ausprägungen der interkommunalen Zusammenarbeit weitgehend fehlen, führte das Projektteam hierzu im Sommer 2015 eine bundesweite Befragung sämtlicher Gemeinden außerhalb der großen Ballungsräume in Deutschland durch, auf deren Basis im weiteren Verlauf des Forschungsprojekts die zuvor genannten Fragen für wichtige kommunale Aufgabenbereiche beantwortet werden sollen. Das Anliegen des vorliegenden Beitrags besteht darin, mit Hilfe der Befragungsergebnisse den aktuellen Stand der interkommunalen Kooperation in den betrachteten Regionen für die ausgewählten Aufgaben darzustellen.
Bislang kaum gesicherte Daten zur interkommunalen Kooperation
Unter interkommunalen Kooperationsvorhaben (hiernach IKV) wird im Folgenden ein institutionelles Arrangement verstanden, bei dem zwei oder mehr Gemeinden freiwillig und auf eine mittlere bis lange Frist bei ihrer Aufgabenerfüllung zusammenarbeiten. Zumeist finden IKV vor allem zwischen benachbarten Gemeinden statt. Die deutsche Rechtslage erlaubt für IKV unterschiedliche Organisationsformen. Maßgeblich für die Ausgestaltung sind die jeweiligen Landesgesetze. Dabei lassen sich die realisierten Kooperationen nach ihrem Formalisierungsgrad und ihrem Aufgabenspektrum differenzieren.
Um quantitative empirische Untersuchungen zu den eingangs genannten Fragestellungen zu ermöglichen, reichen die vorhandenen Daten der amtlichen Statistik nicht aus, denen – wenn überhaupt – in erster Linie Informationen zu den (traditionellen) Kooperationen in der Form so genannter Zweckverbände entnommen werden können. Zweckverbände werden primär in Aufgabenbereichen gegründet, die eine sehr kapitalintensive Produktion erfordern (Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung). Über die – in jüngerer Zeit im Vordergrund stehenden – weniger kapitalintensiven Bereiche liefern die amtlichen Statistiken keine Angaben. Umfassende wissenschaftliche Darstellungen fehlen ebenfalls. In der verwaltungs- und politikwissenschaftlichen Literatur ist immerhin eine beachtliche Anzahl von Fallstudien und Überblicksartikeln zu den verschiedenen Ausprägungen von IKV entstanden.
Für den Aufbau einer umfassenderen Datenbasis war eine eigene Befragung erforderlich. Weil sich das Forschungsprojekt des IWH und der Universität Kassel wegen des dortigen ausgeprägten demographischen Problemdrucks auf Gemeinden abseits der großen Ballungsräume konzentriert, wurden Großstädte mit mehr als 250 000 Einwohnern sowie alle Gemeinden, die über Pendlerströme eng mit diesen verbunden sind, aus der Untersuchung herausgenommen. Damit verblieben 6 745 Gemeinden (≈ 60% aller deutschen Gemeinden), bestehend aus 41 kreisfreien Städten, 1 818 kreisangehörigen Einheitsgemeinden, 1 148 verbandsangehörigen Gemeinden mit potenzieller eigener Verwaltungsaktivität und 3 738 verbandsangehöri- gen Gemeinden ohne nennenswerte eigene Verwaltungsaktivität. Verbandsangehörige Gemeinden sind selbstständige Mitgliedsgemeinden eines Gemeindeverbands (hier: Verwaltungsgemeinschaft, Amt, Verbandsgemeinde, Samtgemeinde etc.). Demgegenüber versteht man unter Einheitsgemeinden selbstständige Körperschaften, die keine weitere Untergliederung aufweisen und keine Mitgliedsgemeinden eines Gemeindeverbandes sind. Die Befragung konzentrierte sich auf IKV in drei Bereichen: Allgemeine Verwaltung, Bauhof und Tourismusmarketing. Hierbei handelt es sich um eher personalintensive Aufgaben.
Insgesamt haben 1 321 der befragten Gemeinden (19,6%) geantwortet – etwa zu gleichen Teilen online und in Papierform. Bei Einheitsgemeinden lag die Rücklaufquote über 35%, bei den i. d. R. kleineren verbandsangehörigen Gemeinden bei ca. 16%. Die Rücklaufquote nach Bundesländern schwankte erheblich und lag zwischen knapp 6,6% für Mecklenburg- Vorpommern und 43,1% für Hessen. Insgesamt war die Rücklaufquote in Ostdeutschland mit 13,8% signifikant niedriger als in Westdeutschland (21,9%). Schließt man andere Ursachen für das unterschiedliche Antwortverhalten aus, so deutet dies auf eine weniger ausgeprägte Bereitschaft zu bzw. geringere Notwendigkeit für IKV in Ostdeutschland hin.
Bezogen auf die Grundgesamtheit der 6 745 Städte und Gemeinden lässt sich feststellen, dass die durchschnittliche Einwohnerzahl (Stand: 2013) von 6 293 und auch der Median von 2 748 der antwortenden Gemeinden deutlich über den entsprechenden Werten von 4 546 bzw. 1 468 der Grundgesamtheit liegen. Tendenziell haben also im Vergleich zur Grundgesamtheit größere Gemeinden geantwortet, trotzdem sind es die kleineren Gemeinden, die die Befragung dominieren, da bei den antwortenden Gemeinden 75% höchstens 6 488 Einwohner haben.