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Finanzspekulation mit AgrarrohstoffenSeite 2
Das Beispiel Indien: Internationale Preissprünge bei Agrarrohstoffen übertragen sich auf die Lebensmittelpreise Auf einer Seite lesenDas Beispiel Indien: Internationale Preissprünge bei Agrarrohstoffen übertragen sich auf die Lebensmittelpreise
Im Folgenden wird eine detaillierte Analyse für Indien vorgenommen. Indien ist ein sehr bevölkerungsreiches Land mit einem substanziellen Anteil armer Menschen. So dürften steigende Lebensmittelpreise einen unmittelbaren Effekt auf die Ernährungssituation von etwa 300 Millionen Menschen in Indien haben. Ferner sind Lebensmittelpreise in Indien ein wichtiger Treiber der Verbraucherpreise insgesamt. Sie haben ein Gewicht von ungefähr 43% im Verbraucherpreisindex.
Der Zusammenhang wird hier mit einem multivariaten Zeitreihenmodell untersucht, in dem auch der globale Ölpreis und der Regenfall in Indien berücksichtigt werden. Es stellt sich heraus, dass Veränderungen der Agrarrohstoffpreise mit einer Verzögerung von einem Quartal statistisch signifikante Effekte auf die Lebensmittelpreise und die Verbraucherpreise insgesamt in Indien haben. Der Effekt wird in Abbildung 3 visualisiert. Die Abbildung zeigt für Vierteljahresdaten das zeitliche Muster der Effekte eines Anstiegs der Agrarrohstoffpreise auf die Verbraucherpreise für Lebensmittel und auf die Verbraucherpreise insgesamt in Indien. Die Tatsache, dass das 2-Standardfehlerband ein Quartal nach dem ursprünglichen Impuls in den Agrarrohstoffpreisen die Nulllinie nicht umschließt, belegt die statistische Signifikanz des Effektes; es kann also ausgeschlossen werden, dass die mit einer Verzögerung von einem Quartal zu beobachtende gleichgerichtete Veränderung der nationalen Verbraucherpreise rein zufällig ist. Statistische Signifikanz sagt allerdings alleine nichts über die ökonomische Relevanz des Effektes aus. Der Anteil der Varianz der Veränderungsrate der indischen Lebensmittelpreise, der mit Veränderungen der Agrarrohstoffpreise erklärt werden kann, beträgt im Durchschnitt nur knapp 20%, d. h. 80% der Variation gehen auf andere Einflussfaktoren zurück. Eine periodengerechte Zerlegung der Determinanten der Verbraucherpreisinflation für Lebensmittel in Indien zeigt aber, dass gerade in den Quartalen unmittelbar nach großen Preissprüngen bei den Agrarrohstoffen (2007/2008 und 2010/2011) ein substanzieller Anteil der Verbraucherpreisinflation für Lebensmittel in Indien auf die internationalen Impulse zurückgeführt werden kann.
Restriktive Reaktion der Zentralbank mindert die Realeinkommen zusätzlich
Eine auf Preisstabilität ausgerichtete Geldpolitik reagiert im Allgemeinen mit restriktiver Zinspolitik auf einen Anstieg der Verbraucherpreisinflation. Mit der Erhöhung von Zinsen soll die gesamtwirtschaftliche Nachfrage gedämpft werden und damit ein stabilisierender Effekt auf die Verbraucherpreisinflation erzielt werden. Dieses Muster ist auch in Indien zu beobachten. Dies bedeutet, dass sich ein Anstieg der Agrarrohstoffpreise nicht nur auf die Lebensmittelpreise und die allgemeine Teuerung in Indien überträgt und auf diese Weise die Realeinkommen der Menschen dämpft, sondern dass die realwirtschaftliche Aktivität und damit auch die Realeinkommen zusätzlich durch eine restriktive geldpolitische Reaktion der Zentralbank auf den Preisanstieg reduziert werden.
Fazit
Etwaige Spekulation mit Agrarrohstoffen steht in Verdacht, über Realeinkommensverluste den Hunger in armen Ländern zu verstärken. Im vorliegenden Beitrag wird gezeigt, dass es tatsächlich Evidenz dafür gibt, dass Agrarrohstoffpreise zeitweise ein explosives Preisverhalten an den Tag legen, das spekulative Einflüsse auf die Preise nahelegt. Ferner wird gezeigt, dass sich die Agrarrohstoffpreisschwankungen systematisch auf die Lebensmittelpreise in Indien als einem großen Land mit etwa 300 Millionen Menschen, deren Ernährungssituation von steigenden Lebensmittelpreisen unmittelbar beeinflusst wird, übertragen. Dieser Effekt spielt zwar insgesamt für die Erklärung der Verbraucherpreisinflation für Lebensmittel in Indien nur eine untergeordnete Rolle, ist aber in Perioden mit großen Preisanstiegen auf den Agrarrohstoffmärkten wie etwa 2007/2008 oder 2010/2011 bedeutend. Hinzu kommt, dass durch die systematische Reaktion der indischen Zentralbank auf den entsprechenden Anstieg der Verbraucherpreisinflation insgesamt die Konjunktur in Indien gedämpft wird, was sich unter anderem auf die Arbeitslosigkeit auswirken dürfte. Einen Beweis für negative Effekte von Spekulation auf Lebensmittelmärkten auf arme Länder stellt die hier vorgelegte empirische Evidenz dennoch nicht dar. Vielmehr stützt diese einen entsprechenden Anfangsverdacht und gibt Anlass zu weitergehender Forschung, in der die fundamentalen Einflussfaktoren auf Agrarrohstoffpreise explizit berücksichtigt werden und Spekulation anhand eines strukturellen Modells identifiziert wird.