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Begleitende Evaluierung des Investitionsgesetzes Kohleregionen (InvKG) und des STARK-Bundesprogramms ‒ Zweiter Zwischenbericht vom 31.10.2024
Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz
Das Klimaschutzgesetz (KSG) sieht eine Reduktion der deutschen Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 65 Prozent gegenüber den Emissionen im Jahr 1990 vor. Der Ausstieg aus der thermischen Verwertung der Kohle (vor allem der Braunkohle) leistet einen substanziellen Beitrag zum Erreichen dieser Ziele. Der Kohleausstieg stellt die Braunkohlereviere (und die Standorte der Steinkohlekraftwerke) jedoch vor strukturpolitische Herausforderungen. Um den Strukturwandel in diesen Regionen aktiv zu gestalten, hat der Bundestag im August 2020 mit Zustimmung des Bundesrats das Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen (StStG) beschlossen. Über dieses Gesetz stellt der Bund bis zum Jahr 2038 Finanzhilfen von 41,09 Mrd. Euro zur Verfügung. Im Fokus der Politikmaßnahmen stehen verschiedene Ziele, vor allem gesamtwirtschaftliche (Wertschöpfung, Wachstum, Steueraufkommen), wettbewerbliche (Produktivität), arbeitsmarktpolitische (Beschäftigung, Beschäftigungsstrukturen), verteilungspolitische (regionale Disparitäten) sowie klimapolitische (Treibhausgasreduzierung, Nachhaltigkeit). Die im StStG vorgesehenen strukturpolitischen Interventionen umfassen ein breites Maßnahmenbündel. Das Gesetz fordert eine begleitende wissenschaftliche Evaluierung des Gesetzes. Bei dem vorliegenden Bericht handelt es sich um das zweite Dokument in diesem Evaluierungszyklus. Der erste Bericht liegt seit Juni 2023 vor und präsentierte ein erstes Lagebild nach dem Start der im Rahmen des Investitionsgesetzes Kohleregionen (InvKG) und des STARK-Bundesprogramms geplanten Maßnahmen. Nachdem nunmehr zahlreiche Maßnahmen in die Umsetzung gehen, nimmt der Strukturwandel an Fahrt auf. Der aktuelle Bericht nimmt eine Aktualisierung vor und erweitert Aussagen zu deren möglichen Effekten. Auch für diesen Bericht bleibt zu berücksichtigen, dass viele der geplanten Maßnahmen noch nicht oder gerade erst begonnen haben, was bei einer fast zwanzigjährigen Laufzeit des Programms durchaus naheliegend ist. Die in diesem Bericht vorgelegten empirischen Analysen basieren auf dem Datenstand vom 30.06.2024, also fast vier Jahre nach Programmstart.
13. Februar 2025
https://doi.org/10.18717/szzns-am58
Das Wichtigste in Kürze
(1) Wirtschaft und Gesellschaft müssen ihren Ausstoß an Treibhausgasen drastisch verringern, um die gesetzlichen Klimaschutzziele zu erreichen. Dabei kommt der Energiewirtschaft eine besondere Bedeutung zu, da sie für einen Großteil der Emissionen klimaschädlicher Gase verantwortlich ist. Dies ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass die Produktion von Strom und Wärme heute noch in einem gewissen Maß auf dem Energieträger Kohle, und hier vor allem der Braunkohle, beruht. Die thermische Verwertung von Braunkohle ist mit besonders hohen Emissionen von Treibhausgasen verbunden. Ein Ausstieg aus dieser Art der Energiegewinnung würde demnach einen substanziellen Beitrag zum Erreichen der deutschen Klimaschutzziele liefern.
(2) Eine Beendigung der thermischen Verwertung von (Braun)Kohle zieht allerdings wirtschaftliche und gesellschaftliche Anpassungsprozesse nach sich. Im gesamtdeutschen Maßstab haben die auf (Braun)Kohle basierenden Industrien nur einen geringen Anteil an der Produktion und der Beschäftigung. Sofern die Energieversorgungssicherheit gewährleistet bleibt, sind daher vom Kohleausstieg keine substanziellen gesamtwirtschaftlichen Effekte zu erwarten. Auf regionaler Ebene allerdings ist dieser Befund so nicht zutreffend: Da die thermische Verwertung von Braunkohle wirtschaftlich nur in räumlicher Nähe zu den Lagerstätten sinnvoll erfolgen kann, ist der Braunkohlesektor in Deutschland regional konzentriert. Und hier ist es insbesondere das Lausitzer Revier, in dem die Braunkohleindustrie und die mit ihr verbundenen Wirtschaftsbereiche ein relativ hohes Gewicht an regionaler Wertschöpfung und Beschäftigung aufweisen. Mit dem Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen hat die Bundesregierung ein Instrument geschaffen, um die negativen wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Kohleausstiegs in den betreffenden Standorten abzufedern. Der Bund stellt dafür ein Budget von 41,09 Mrd. Euro bis zum Jahr 2038 bereit.
(3) Die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen verbindet, dass sie auch ohne einen Stopp der thermischen Verwertung der (Braun)Kohle vor enormen wirtschaftsstrukturellen Herausforderungen stehen. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, liegt das gesamte Fördergebiet des Investitionsgesetzes Kohleregionen im Fördergebiet des Gesamtdeutschen Systems zur Förderung strukturschwacher Regionen. Unter den Determinanten des Wirtschaftswachstums ist es vor allem eine Verknappung des Arbeitskräfteangebots – getrieben durch den demografischen Wandel –, die sich als Wachstumsbremse in diesen Regionen herausstellt. Zu den ohnehin schon schwierigen Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum kommt nunmehr die Transformation der regionalen Wirtschaft durch den Kohleausstieg hinzu. Auf diese Bedingungen müssen die Förderinstrumente des Investitionsgesetzes Kohleregionen zugeschnitten sein.
(4) Eine Besonderheit des Investitionsgesetzes Kohleregionen ist, dass es den Einsatz eines ganzen Bündels an verschiedenen Maßnahmen ermöglicht, angefangen bei der Errichtung und Ertüchtigung von wirtschaftsnahen Infrastrukturen über die Verbesserung von Verkehrsanbindungen bis zur Stärkung von regionaler (Weiter)Bildung sowie Forschung und Entwicklung. Diese Maßnahmen unterliegen Entscheidungs-, Implementierungs- und Wirkungsverzögerungen. Ferner sind relevante Daten, mit welchen diese Prozesse adäquat abgebildet werden können, oft erst mit zeitlicher Verzögerung verfügbar. Es wird somit noch einiges an Zeit vergehen, bis sich die Effekte der Maßnahmen verlässlich statistisch nachweisen lassen.
(5) Eine evidenzbasierte Evaluation zu den (ursächlichen) Wirkungen der Maßnahmen des Investitionsgesetzes Kohleregionen erfordert in einem ersten Schritt, die vielfältigen Förderlinien dieses Programms nach ökonomischen Kriterien so zu gruppieren, dass sich eine theoretisch fundierte Beziehung zu den Determinanten wirtschaftlichen Wachstums herstellen lässt. Im vorliegenden Fall eignen sich hierfür insgesamt acht Kategorien, und zwar 1 – Erreichbarkeit, 2 – Bildung, 3 – Kultur, 4 – Gesundheit, 5 – Standorte für Betriebe, 6 – Forschung und Entwicklung, 7 – Klima und Nachhaltigkeit, 8 – Sozialkapital. Jede dieser Kategorien adressiert einen bestimmten Wirkungskanal in der Beziehung zwischen der Förderung und deren Zielgrößen und lässt erste Effekte in unterschiedlichen zeitlichen Horizonten erwarten.
(6) Die deskriptive Analyse der bisher zur Förderung vorgesehenen Projekte (Datenstand 30.06.2024) zeigt, dass nach wie vor bislang nur ein relativ geringer Teil des Gesamtbudgets in die Förderregionen abgeflossen ist, wenngleich sich viele Projekte in der Pipeline befinden. Dass ein so komplexes Programm, wie das InvKG, mit einigen Anlaufverzögerungen verbunden ist, war zu erwarten. Schließlich fiel der Start des Programms in die Corona-Pandemie, und die Erarbeitung der administrativen Prozesse für eine regelkonforme Verausgabung der Fördermittel nahm naturgemäß Zeit in Anspruch.
(7) Eine differenzierte Auswertung der bisher zur Förderung vorgesehenen Projekte in den einzelnen Förderlinien offenbart, dass die Länder bei den Projekten, die in ihrer Verantwortung stehen (1. Säule), einen Schwerpunkt auf die Clusterkategorie 5 – Standorte für Betriebe – legen, wobei in Sachsen-Anhalt dieser Förderzweck die größte Bedeutung hat. Die Länder Brandenburg und Sachsen weisen zudem Schwerpunkte in den Clustern 2 – Bildung sowie 6 – Forschung und Entwicklung auf. In Sachsen-Anhalt spielt dieser Cluster eine sehr geringe Rolle. Die Daten aus Nordrhein-Westfalen lassen eine Auswertung zu dieser Frage nicht zu, da sie keine eindeutigen Aussagen zu den Förderbereichen nach dem InvKG enthielten. Im Vergleich zum ersten Bericht, dem der Datenstand vom 31.12.2022 zugrunde lag, offenbart sich eine Verschiebung der Gewichte von den Clustern 2 und 6 (Bildung sowie Forschung und Entwicklung) zu wirtschaftsnahen Ausgabekategorien. Eine Ausnahme in diesem Kontext stellt der sächsische Teil des Lausitzer Reviers dar, wo die beiden genannten Clusterkategorien an Bedeutung gewinnen. In der 2. Säule zeigen sich nach wie vor sehr große Förderschwerpunkte in den Clustern 1 – Er-reichbarkeit und 6 – Forschung und Entwicklung (in Brandenburg auch im Cluster 2 – Bildung). Im STARK-Bundesprogramm, das einen Teil der 2. Säule repräsentiert, werden nunmehr mehr Anträge in FuE-nahen Förderkategorien bewilligt, während zum Programmstart die Förderung von Planungskapazitäten eine große Bedeutung hatte. Insgesamt offenbaren sich im STARK-Bundesprogramm Schwerpunkte in den Clustern 5 – Standorte für Betriebe, 6 – Forschung und Entwicklung sowie 8 – Sozialkapital. Für dieses Programm ist ebenfalls zu konstatieren, dass sich die Bearbeitungszeiten der Anträge signifikant verringert haben. Offen bleibt zum jetzigen Zeitpunkt, wie sich die Nachfrage nach dem STARK-Bundesprogramm mit den neu geschaffenen Möglichkeiten der Förderungen von investiven Maßnahmen vor dem Hintergrund der gegebenen Förderlandschaft (etwa mit GRW und JTF) entwickeln wird.
(8) In der Gesamtschau (also 1. und 2. Säule zusammen) lässt sich festhalten, dass die Förderung überwiegend in den Kategorien 1 – Erreichbarkeit, 2 – Bildung, 5 – Standorte für Betriebe sowie 6 – Forschung und Entwicklung stattfindet, wenngleich diese Kategorien in den Förderregionen unterschiedliche Gewichte haben. Vor dem Hintergrund, dass die ökonomische Literatur insbesondere in den Kategorien 1, 2 und 6 relativ hohe Beiträge für regionales Wirtschaftswachstum sieht, sind die Fördermittel bislang im Großen und Ganzen in wachstumsfördernde Verwendungen gelenkt worden. In Zukunft sollte bei der Auswahl von Projekten zusätzlich darauf geachtet werden, ob von ihnen ein Beitrag zur Stärkung des Arbeitskräftepotenzials ausgeht. Die Verfügbarkeit von Arbeitskräften ist in den Regionen des Fördergebiets nach wie vor ein Wachstumshemmnis. Die Maßnahmen sollten dabei die ganze Breite möglicher Ansatzpunkte abdecken, also von der Verbesserung der (vor)schulischen Ausbildung, über die berufliche Bildung hin zur Verbesserung der Standortbedingungen für hochqualifizierte Beschäftigte. Hierunter fallen auch Maßnahmen zur Verbesserung der physischen Erreichbarkeit der Gebiete, um ein größeres Bevölkerungspotenzial zu erschließen sowie Maßnahmen zur Hebung bislang ungenutzter Erwerbspersonenpotenziale. Ein weiter zu forcierendes Thema ist zugleich die Notwendigkeit einer verstärkten Fachkräftezuwanderung aus dem Ausland. Insbesondere letzteres erfordert eine „Willkommenskultur“ in den Fördergebieten.
(9) Schließlich zeigt sich in regionaler Hinsicht, dass die Fördermittel des Investitionsgesetzes in einigen Gebieten konzentriert zum Einsatz kommen. Da es sich bei diesem Programm in weiten Teilen um ein nachfragegetriebenes Förderinstrument handelt, ist dieser Befund nicht unerwartet. Die Mittel fließen also in Gebiete, die über eine entsprechende Absorptionsfähigkeit verfügen. Eine Gleichverteilung des Budgets auf das gesamte Fördergebiet wäre nicht sinnvoll – vielmehr sollten die Fördermittel dort zum Einsatz gelangen, wo die höchsten Wirkungen auf die Zielgrößen zu erwarten sind.
(10) Um die Wirkungen der Maßnahmen des Investitionsgesetzes Kohleregionen zu ermitteln, muss die Frage beantwortet werden, was geschehen wäre, wenn es die Förderung nicht gegeben hätte. Aus dem Vergleich der tatsächlichen Entwicklung des Fördergebiets mit diesem kontrafaktischen Szenario lassen sich Rückschlüsse ziehen, ob ein ursächlicher Zusammenhang besteht zwischen dem Einsatz von Mitteln im Rahmen des Investitionsgesetzes Kohleregionen und dem Erreichen bestimmter wirtschaftspolitischer Zielgrößen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den Regionen (neben allgemeinen makroökonomischen Trends) durch zwei für die Kohleregionen spezifische gegen-läufige Trends getrieben wird, einen negativen Schock durch den Kohleausstieg und einen positiven Schock durch die Kompensationsmaßnahmen im Rahmen des InvKG. Mit Hilfe eines makroökonomischen Modells ließen sich erste Hinweise auf die Wirkungen des Kohleausstiegs (negativer Schock) quantifizieren. Im Fokus der Analysen stehen die direkten Auswirkungen des Braunkohleausstiegs auf die ökonomischen Zielgrößen Beschäftigung, Bruttowertschöpfung und Investitionen. Die Analyse zeigt, dass die Bedeutung des Braunkohlesektors im Laufe der Zeit abnimmt, jedoch weiterhin vor allem im Lausitzer Revier vergleichsweise stark ist. Mit Blick auf die Beschäftigung liefern die Analysen Anhaltspunkte für direkte negative Effekte auf die Erwerbstätigenquote, wobei diese im Lausitzer Revier um über einen Prozentpunkt, im Rheinischen Revier um 0,5 Prozentpunkte und im Mitteldeutschen Revier um 0,1 Prozentpunkte jährlich bis zum Jahr 2040 sinken könnte gegenüber dem Basisszenario ohne Kohleausstieg.
(11) Mit Blick auf die Entwicklung der Beschäftigung zeigt sich, dass es bisher keinen Unterschied zwischen den Kreisen gibt, die zum Fördergebiet des Investitionsgesetzes Kohleregionen gehören, und Kreisen mit ähnlichen wirtschaftsstrukturellen Merkmalen, d. h. ähnlicher Strukturschwäche. Positiv formuliert ist bislang der befürchtete Abbau von Beschäftigung ausgeblieben, obwohl ex-ante Simulationen Hinweise auf (leicht) negative Effekte des Kohleausstiegs auf die Beschäftigung liefern. Aus den Befunden der Kontrollgruppenanalysen lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine Ursache-Wirkungs-Beziehungen ableiten. Der Kohleausstieg (negativer Schock) und die Maßnahmen des Investitionsgesetzes Kohleregionen (positiver Schock) laufen parallel. Zukünftige Analysen müssen versuchen, diese beiden Effekte voneinander zu isolieren, um verlässliche Aussagen zu den Wirkungen des Förderprogramms zu erhalten. Eine abschließende Beurteilung zu den Wirkungen des Förderprogramms kann daher – auch und insbesondere vor dem Hintergrund des immer noch sehr geringen Abflusses an Fördermitteln – zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vorliegen.
(12) Transformation bedeutet für alle Akteure große Herausforderungen – vor allem wenn sich der Veränderungsbedarf, d. h. der Ausstieg aus der thermischen Verwertung der (Braun)Kohle, aus wirtschaftspolitischen Erwägungen ergibt, von denen die Bevölkerung ungleich betroffen ist. Die lokale Bevölkerung muss spüren, dass es mit den Kompensationsmaßnahmen im Rahmen des Investitionsgesetzes Kohleregionen gerecht zugeht, ihnen das Förderprogramm wirklich hilft und sich Chancen für einen Wandel eröffnen. Umso wichtiger erscheint es, den Förderprozess, die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen (Stichwörter: Arbeitskräftemobilisierung, Zuwanderung) und die tatsächlichen Wirkungen des Programms klar und transparent zu benennen und realistische Erwartungen zu wecken. Wichtig ist in diesem Kontext auch, dass die (Zwischen)Ergebnisse der begleitenden wissenschaftlichen Evaluierung und die zugrundeliegenden Daten zeitnah veröffentlicht werden.