Folgen von Arbeitsplatzverlusten: Vor allem aus Großbetrieben entlassene Arbeitnehmer müssen deutliche Lohneinbußen hinnehmen
Schließungen und Massenentlassungen großer Unternehmen stoßen aufgrund der damit verbundenen Folgen für betroffene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer meist auf breites öffentliches Interesse. Tatsächlich zeigt sich, dass die Verdienstausfälle betroffener Arbeitnehmer – bestehend aus Lohneinbußen bei späterer Wiederbeschäftigung und Beschäftigungsausfällen – deutlich mit der Größe des entlassenden Betriebs zunehmen. Dies liegt vor allem daran, dass aus Großbetrieben entlassene Arbeitnehmer im Gegensatz zu denen, die einen Arbeitsplatz in kleinen Betrieben verlieren, deutliche Lohneinbußen hinnehmen müssen, weil sie danach oft in kleineren und schlechter bezahlenden Betrieben beschäftigt sind. Zwar erleiden auch aus Kleinbetrieben entlassene Arbeitnehmer deutliche Verdienstausfälle, ihre Lohneinbußen sind aber geringer. Sie können sich bei der Entlohnung sogar verbessern, sofern sie das Glück haben, eine Anstellung in einem Großbetrieb zu finden.
21. September 2018
Inhalt
Seite 1
Folgen von ArbeitsplatzverlustenSeite 2
Verdienstausfälle und BeschäftigungsverlusteSeite 3
FazitSeite 4
Endnoten Auf einer Seite lesenBetriebsschließungen und Beschäftigungsabbau sind ökonomisch oft notwendig, haben aber meist negative Folgen für betroffene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dabei ist die Aufmerksamkeit von Politik und Medien bei Massenentlassungen, Werksschließungen oder Insolvenzen großer Unternehmen in der Regel besonders hoch. Prominente Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind die diskutierten Werksschließungen von Siemens in Görlitz und Leipzig oder die Insolvenz der Fluggesellschaft Air Berlin. Wenn dagegen kleine Betriebe schließen müssen (und das kommt weitaus häufiger vor), geschieht dies meist ohne größere öffentliche Anteilnahme. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Konzentration der öffentlichen und politischen Aufmerksamkeit auf die großen Betriebe gerechtfertigt ist. Leiden Arbeitnehmer, die von Schließungen und Massenentlassungen großer Betriebe betroffen sind, stärker darunter als die Opfer kleinbetrieblicher Schließungen – zum Beispiel, weil sie mehr zu verlieren haben?
Eine mittlerweile recht umfangreiche Literatur zeigt, dass große Betriebe deutlich höhere Löhne bezahlen als kleine. Zwar beschäftigen große Betriebe im Durchschnitt auch höher qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, doch auch für Personen mit identischen Qualifikationen und Fähigkeiten fällt die Entlohnung in Großbetrieben höher aus.1 Dafür gibt es verschiedene Gründe. Falls große Betriebe etwa aufgrund von Marktmacht höhere Gewinne erzielen als kleine, können sie diese aus Fairnesserwägungen heraus in Form höherer Löhne mit den Beschäftigten teilen. Zudem gibt es in großen Unternehmen häufiger Betriebsräte, und sie sind häufiger tarifgebunden, was der Belegschaft in Großbetrieben eine höhere Verhandlungsmacht bei der Lohnsetzung verleiht. In großen Betrieben ist es tendenziell auch schwieriger, die Leistung der Beschäftigten zu überwachen, daher werden über höhere Löhne Leistungsanreize geschaffen. Eine weitere Erklärung besteht darin, dass Unternehmen, die ein hohes Beschäftigungsniveau aufrechterhalten wollen, dies auf Dauer nur durch höhere Löhne erreichen können, da durch eine höhere Entlohnung mehr Bewerberinnen und Bewerber angezogen werden und die Fluktuation reduziert wird.
Diese Erklärungsansätze sowie die empirische Evidenz lassen somit erwarten, dass auch die Lohnverluste höher ausfallen, wenn Jobs in großen Betrieben verlorengehen. Im Folgenden wird daher untersucht, ob und inwieweit sich die Lohnverluste infolge von Arbeitsplatzverlusten nach der Betriebsgröße unterscheiden. Dies geschieht anhand von Sozialversicherungsdaten, die mit neu verfügbaren Insolvenzdaten verknüpft werden. Um ein vollständigeres Bild der Folgen von Arbeitsplatzverlusten zu liefern, werden neben den Lohnverlusten auch die gesamten Verdienstausfälle sowie die Beschäftigungsverluste betroffener Arbeitnehmer betrachtet.2
Datenbasis: Sozialversicherungsdaten und neu verfügbare Insolvenzdaten
Sozialversicherungsdaten haben gegenüber Umfragedaten den entscheidenden Vorteil, dass sie sehr genau und verlässlich sind, da die Arbeitgeber zu Meldungen an die Sozialversicherungsträger gesetzlich verpflichtet sind. Daher lassen sich die Erwerbsverläufe von Arbeitnehmern über lange Zeiträume hinweg genau nachverfolgen. Ein Nachteil besteht jedoch darin, dass die Gründe für einen Arbeitsplatzwechsel nicht erfasst werden. Betriebe können in den Daten anhand einer eindeutigen Betriebsnummer identifiziert und über die Zeit hinweg verfolgt werden. Wenn eine Betriebsnummer verschwindet (also im Folgejahr nicht mehr in den Daten enthalten ist), kann eine Betriebsschließung vermutet werden. Da aber z. B. auch ein Wandel in der Rechtsform oder ein Eigentümerwechsel zu einer Änderung der Betriebsnummer führen können, implizieren verschwindende Betriebsnummern nicht notwendigerweise auch Schließungen. Bei größeren Betrieben können für eine genauere Identifikation Beschäftigtenströme verwendet werden: Sind die Beschäftigten eines Betriebs, dessen Betriebsnummer aus den Daten verschwindet, im nächsten Jahr auf viele verschiedene Betriebe verteilt, so kann man davon ausgehen, dass es sich um eine echte Schließung handelt. Sind die meisten von ihnen dagegen im gleichen Nachfolgebetrieb beschäftigt, so handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit lediglich um eine Änderung der Betriebsnummer. Da solche Beschäftigtenströme bei Betrieben mit nur sehr wenigen Beschäftigten nicht sinnvoll interpretiert werden können, wird auch die Analyse kleinbetrieblicher Schließungen erschwert. Dieses Problem kann allerdings anhand von Insolvenzdaten gelöst werden: Liegt zu einer verschwindenden Betriebsnummer zusätzlich eine Insolvenzmeldung vor, so ist davon auszugehen, dass der betroffene Betrieb auch tatsächlich geschlossen wurde.3 Somit lassen sich anhand von Insolvenzdaten auch Schließungen kleiner Betriebe eindeutig identifizieren und mit denen größerer Betriebe vergleichen.
Messung des Effekts von Arbeitsplatzverlusten
Um die Folgen von Arbeitsplatzverlusten für betroffene Arbeitnehmer zu untersuchen, weisen wir zunächst jedem Arbeitnehmer, der seinen Arbeitsplatz in den Jahren 2007 bis 2009 aufgrund einer Insolvenz verloren hat, einen „statistischen Zwilling“ aus einer Kontrollgruppe von Arbeitnehmern zu, die im jeweiligen Jahr nicht von Betriebsschließungen oder Massenentlassungen betroffen waren.4 Dabei kommt ein so genanntes propensity score matching zum Einsatz, das sicherstellt, dass sich die Personen in beiden Gruppen bezüglich ihrer Erwerbsbiographien, persönlicher sowie betrieblicher Merkmale möglichst ähnlich sind.
Danach werden anhand so genannter Fixed-Effects-Schätzungen die Einkommens-, Beschäftigungs- und Lohnverläufe über die Zeit hinweg zwischen beiden Gruppen verglichen,5 wobei unbeobachtbare zeitinvariante Merkmale herausgerechnet werden. Durch diese Vorgehensweise wird sichergestellt, dass eventuelle Verdienstausfälle auch tatsächlich durch den Arbeitsplatzverlust verursacht sind und nicht auf andere zeitliche Einflüsse oder Unterschiede in persönlichen Merkmalen zurückzuführen sind.