Im Lichte neuer Daten: Ostdeutschland absolut „reicher“, beim Wachstumspotenzial jedoch relativ „ärmer“
Die amtliche Statistik hat die Angaben zum Bruttoinlandsprodukt der ostdeutschen Flächenländer für die Jahre seit 2000 um jährlich rund 3% erhöht. In dieser Korrektur kommen auch konzeptionelle Erweiterungen des gesamtwirtschaftlichen Rechnungswesens zum Tragen. Insbesondere betrifft das Forschungs- und Entwicklungsleistungen, die jetzt wie eine Investition in ein Vermögensgut behandelt werden. Es zeigt sich, dass der Osten in diesem Zukunftsbereich gegenüber dem Westen stärker zurückliegt, als bisher beziffert worden ist.
30. Juni 2015
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Die Ermittlung des Bruttoinlandsprodukts und seiner KomponentenSeite 2
Quantitative Folgen: Wertschöpfung in forschungsintensiven Bereichen erhöht, Rückstand des Ostens vergrößert Auf einer Seite lesenDie Ermittlung des Bruttoinlandsprodukts und seiner Komponenten
Das Statistische Bundesamt hat die Einführung des neuen Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG 2010) zum Anlass genommen, die Ermittlung des Bruttoinlandsprodukts und seiner Komponenten einer Generalrevision zu unterziehen. Über die sonst üblichen daten- und methodenbedingten Anpassungen hinausgehend bedeutete dies Neuberechnungen, die sich aus konzeptionellen Änderungen des Gesamtrechnungssystems ergaben. Unter ihnen zog die Umdeutung von Forschung und Entwicklung (FuE) als Vermögensgut die größten quantitativen Änderungen nach sich. Das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands erhöhte sich allein aus diesem Grunde im Durchschnitt der vergangenen Jahre um reichlich 2%, bei gut 3% insgesamt.
Bislang galten Forschungs- und Entwicklungsleistungen als Verbrauchsgüter, die im Wirtschaftskreislauf in den Vorleistungen des Nutzers oder im Konsum des Endverbrauchers verschwinden. Jetzt zählen sie als Vermögensgut, das akkumuliert wird und als geistiges Eigentum wiederholt im Produktionsprozess eingesetzt werden kann. Forschung und Entwicklung erweitern den Anlagenbestand einer Volkswirtschaft um eine weitere nichtmaterielle Komponente. Erste Schritte in diese Richtung waren bereits im Vorläufer des jetzt geltenden Systems, dem ESVG 1995, umgesetzt worden. So galt beispielsweise die Entwicklung von Software schon seit längerer Zeit als Produktion eines Vermögensgutes.
Bei der jetzt vollzogenen Aufnahme von FuE in den Kreis der Vermögensgüter handelt es sich nicht nur um eine rein quantitative Erweiterung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, sondern um den Einbezug eines das Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft bestimmenden Faktors. Sie verdient deshalb besondere Aufmerksamkeit, da hier die Zukunftsaussichten der Wirtschaft mitbestimmt werden.
Für Deutschland insgesamt hat das Statistische Bundesamt im vergangenen Jahr rückwirkend bis 1991 die quantitativen Auswirkungen aller Änderungen im Rahmen der Generalrevision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen auf das Produktionsniveau berechnet und detailliert veröffentlicht. Ende April dieses Jahres hat auch der zuständige Arbeitskreis der Landesstatistiker erste Neuberechnungen für die wirtschaftliche Leistung der Länder vorgelegt. Anders als im Zuge der Datenrevision im Jahr 2011, als für die ostdeutschen und einige westdeutsche Länder die Höhe des Bruttoinlandsprodukts aus Datengründen abgesenkt wurde, ist jetzt das Bruttoinlandsprodukt für alle Länder angehoben worden.
Abbildung 1 zeigt für den Zeitraum von 2000 bis 2013 die Auswirkung der Gesamtheit der Änderungen auf die Höhe des Bruttoinlandsprodukts der ostdeutschen Flächenländer. Es wurde mit knapp 3% über die Jahre angehoben. Zwischen den Ländern reicht die Bandbreite von Sachsen-Anhalt mit reichlich 1% über Mecklenburg-Vorpommern mit reichlich 2% bis Brandenburg, Sachsen und Thüringen mit reichlich 3%. Zum Vergleich: Berlin kommt auf gut 4%. Da das Bruttoinlandsprodukt im Westen prozentual in etwa gleichem Maße größer wurde wie im Osten, hat sich der Abstand des Ostens in der Pro-Kopf-Produktion nur marginal verändert. Er liegt nach wie vor bei rund einem Drittel. Eine Aufgliederung, in welchem Maße sich die einzelnen Elemente der Revision auf die Gesamtkorrektur auswirken, wurde jedoch auf Länderebene bislang nicht veröffentlicht, so auch nicht zum Einfluss der Konzeptänderung bezüglich FuE. Er kann jedoch näherungsweise auf indirektem Wege aus den Daten herausgefiltert werden, indem die einschlägigen früheren mit den neuen Werten verglichen werden. Deshalb wird hier zunächst die methodische Umsetzung der Konzeptänderung kurz erläutert; darauf aufbauend werden dann die wahrscheinlichen Auswirkungen der Behandlung von FuE als Vermögensgut auf die Neuberechnung des Bruttoinlandsprodukts der Länder umrissen.
FuE als Investition in ein Vermögensgut heißt: mehr Wertschöpfung!
Hinter dem geistigen Eigentum an Forschungs- und Entwicklungs-leistungen verbirgt sich ein Vorrat an Wissen, der über einen längeren Zeitraum akkumuliert worden ist und wiederholt im jährlichen Produktionsprozess eingesetzt werden kann. Diese Erweiterung des Produktivvermögens impliziert eine Anhebung von Produktion und Wertschöpfung, da nur etwas im Wirtschaftskreislauf eingesetzt werden kann, das auch produziert bzw. erworben worden ist. Bislang sind FuE-Leistungen nur insoweit wertschöpfend in die Berechnung der laufenden Transaktionen eingeflossen, wie sie von Markt-produzenten mit dem Schwerpunkt FuE oder von Nichtmarkt-produzenten aus dem Bereich der öffentlichen Forschung erbracht wurden. Für die am Markt verkauften FuE-Leistungen wurde ein Preis erzielt, und der entsprechende Umsatz bildete die Grundlage für die Berechnung des Produktionswerts, von dem die Wertschöpfung abgeleitet werden konnte. Im Falle von Nichtmarktproduzenten, wie z. B. außeruniversitären Forschungsinstituten, Universitäten und Hochschulen, für deren FuE kein Marktpreis existiert, wurde der Produktionswert anhand der laufenden Kosten berechnet. Diese enthielten neben den Ausgaben für Vorleistungen und Personal die Abschreibungen auf den eingesetzten Kapitalstock, nicht aber auf das akkumulierte geistige Anlagevermögen in Gestalt von FuE.
Keine Beachtung im bisherigen Rechnungsschema fand die Tatsache, dass ein nicht unerheblicher Teil von FuE in der Wirtschaft als Nebenproduktion der Unternehmen für die eigene Verwendung erbracht wird. Zwar gingen die Ausgaben für Vorleistungen und Personal in die Kostenrechnung ein, das Produkt dieser Aktivitäten fand jedoch in diesem Fall keine ökonomische Bewertung. Der Produktionswert der Aktivitäten dieser Unternehmen wurde ohne diese Größe und damit zu niedrig ausgewiesen. Im ESVG 2010 wird diese FuE-Leistung jetzt wie eine selbsterstellte Anlage behandelt, deren Produktionswert „über die Addition der Kosten, ergänzt um einen Zuschlag für den Betriebsüberschuss“ ermittelt wird. Da die Anhebung direkt auch Komponenten der Wertschöpfung betrifft, erhöht sich nicht nur der Produktionswert selbst, sondern ebenso die Wertschöpfung. Auch die FuE-Leistung von Nichtmarktproduzenten erfährt eine Aufwertung, da die laufenden Kosten um die Abschreibungen auf den Bestand an geistigem Eigentum erhöht werden.