Kommentar: Der Europäische Gerichtshof und der Grexit
Die Europäische Zentralbank hat vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) grünes Licht für den Ankauf von Staatsanleihen bekommen. Wie der EuGH ent-schied, dürfen die Zentralbanker unter Einhaltung bestimmter Bedingungen Staatsanleihen der Euroländer aufkaufen. Die Richter billigen damit ein Programm, das auf eine Entscheidung des EZB-Rats im September 2012 zurückgeht: Die Notenbank werde notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euroländern kaufen, um die Währung zu stützen, hatte damals EZB-Präsident Mario Draghi verkündet. Allerdings darf die Zentralbank nur tätig werden, wenn das betroffene Land bestimmten Qualitätsansprüchen genügt oder unter den Euro-Rettungsschirm geschlüpft ist und folglich strenge Reformvorgaben erfüllen muss. Die Richter argumentieren, dass das Programm die währungspolitischen Befugnisse der EZB nicht überschreite. Es verstoße nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten, sondern es handele sich dabei um ein Programm, das dem Bereich der Währungspolitik zuzuordnen sei und zu dem Ziel der EZB beitrage, die Preisstabilität in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Die Entscheidung gibt der EZB auch Rückendeckung beim aktuell laufenden Anleihekaufprogramm (quantitative easing) vom Frühjahr dieses Jahres. Dieses hat zum Ziel, bis Ende September 2016 Staatsanleihen und Anleihen anderer staatlicher Einheiten aller Eurostaaten im Wert von bis zu einer Billion Euro anzukaufen. Damit soll Deflations-tendenzen entgegengewirkt werden.
30. Juni 2015
Das Urteil ist aus mindestens zwei Gründen zu begrüßen. Erstens gehören Käufe und Verkäufe von Staatsanleihen zum Standardrepertoire jeder Zentralbank. Es wäre unverantwortlich, der EZB diesen Pfeil im Köcher der Inflationskontrolle zu verwehren. Auch so ist die Aufgabe der EZB vor dem Hintergrund stark divergierender Wachstums- und Inflationsraten innerhalb der Eurozone schon schwierig genug. Die Argumente der Kritiker greifen nicht. Es wird zum Beispiel eingewandt, dass durch den Anleihekauf Verluste für die Zentralbank entstehen könnten. Mit diesem Argument könnte man eine Zentralbank zur völligen Untätigkeit verurteilen, da aus fast allen ihren Aktivitäten Verluste entstehen können. Zum Beispiel führt eine Zinserhöhung generell zu einer Aufwertung des Wechselkurses, was wiederum den Wert der Zentralbankreserven reduziert. Auch das führt zu Verlusten, die am Ende bei den nationalen Haushalten auflaufen, da die EZB ihre Gewinne an diese weiterleitet. Zudem tätigt die EZB solche Ankäufe auf Rechnung der nationalen Notenbanken, das heißt, jede nationale Notenbank haftet für ihren eigenen Staat. Weiterhin kann natürlich von einer Monetisierung der Staatsschulden nicht die Rede sein: Die Inflationsrate und die Inflationserwartungen liegen deutlich unter der Zielvorgabe von 2%, nicht darüber. Gerade deswegen ist es richtig, der EZB die Option der Ausweitung ihrer Bilanz über Anleihekäufe nicht zu verwehren.
Neben diesen grundsätzlichen Erwägungen hat das Urteil endlich für Bewegung in den stockenden Verhandlungen mit Griechenland über eine Weiterführung des Troika-Programms gesorgt. Aus griechischer Sicht kam das Urteil zur Unzeit. Bisher konnte Griechenland der Eurozone mit einem Dominoeffekt auf andere wirtschaftlich schwache Euroländer „drohen“, sollte es aus der Gemeinschaftswährung ausscheiden. Mit dem Luxemburger Urteil kann die EZB nach einem möglichen Grexit auf den Anleihemärkten aktiv werden und ganz gezielt Staatsanleihen aufkaufen, die auf einen Grexit mit Renditeaufschlägen reagieren. Sie kann also die Märkte beruhigen und Dominoeffekte verhindern oder zumindest eindämmen. Damit ist das größte Ass auf der Hand der pokernden Griechen – die Drohung, dass eine Pleite die gesamte Eurozone erschüttern könnte – längst nicht mehr so beängstigend. Das bedeutet, dass sich die Verhandlungsposition Griechenlands gegenüber den Institutionen deutlich verschlechtert hat. Für die EU ist es somit leichter, glaubwürdig auf Reformen zu dringen. Die Balance zwischen den beiden anscheinend noch verbleibenden Alternativen – ohne echte Reformen weiteres Geld an Griechenland zu zahlen oder Griechenland aus der Währungsunion ausscheiden zu lassen – hatte sich damit ein entscheidendes Stück weiter in Richtung Ausscheiden verschoben, mit dem bekannten Ergebnis.