Kommentar: Immobilienbesitz in Inflationszeiten: Ein Damoklesschwert über der Finanzstabilität?
Zu Beginn meines Studiums bot sich mir überall das gleiche Schauspiel: lange Warteschlangen anderer „Frischlinge“ vor dem neu renovierten WG-Zimmer samt modernstem 56k-Modem, fußläufig zu Uni und Lieblings-Café gelegen, mit happiger Miete zwar, aber irgendwie noch im finanziellen Lösungsraum. Eifrig bereitete ich tolle Argumente vor, warum gerade ich der optimale WG-Zuwachs sei, bevor ich mich einreihte. Schade, dass es dann meist jemand anderes wurde, aber nur kein Neid! Schade aber auch, dass die Suche nach einem Dach über dem Kopf für viele Menschen auch später frustrierend bleibt. Ein bezahlbares Zuhause zu suchen bleibt vielerorts ein von der Spaßsteuer befreites Unterfangen, ob nun für Berufseinsteiger oder die vierköpfige Familie, ob nun in Leipzig oder Köln.
04. Oktober 2022
Ganz so wie in der Sage des Höflings Damokles wird ein kleines bisschen neidvoll auf die Freunde geschaut, die es schaffen, eine tolle Wohnung zu mieten oder ein Eigenheim zu erwerben. Aber wie schon der Tyrann Dionysios wusste, geht jedes Privileg mit Gefahren einher. Im Falle des Wohnungsmarkts schwebt aus meiner Sicht das Schwert der Finanzierungskosten über vielen Haushalten, deren Spielräume sich in Zeiten hoher Inflation und unsicherer Arbeitsverhältnisse bisweilen dramatisch verengt haben.
Das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung steuert in Teilen der Gefahr entgegen, dass sich insbesondere Geringverdienende Wohnen nicht mehr leisten können. Ab dem 1. Januar 2023 sollen mehr Menschen höheres Wohngeld und Energiekostenzuschüsse erhalten, auch Studierende sowie Rentnerinnen und Rentner werden entlastet. Allein, diese Maßnahmen zielen vornehmlich auf die etwa 58% der deutschen Haushalte ab, die zur Miete wohnen. Es sind jedoch die anderen 42% der Haushalte in „Eigen“heimen, über denen das wesentlich schärfere Schwert stark steigender Refinanzierungskosten schwebt.
Diese Gefahr ist real. Die durchschnittliche Fremdkapitalquote zur Finanzierung von Eigenheimen beträgt zurzeit etwa 81%, das durchschnittliche Verhältnis von Wohnungsbaukreditvolumen zu Immobilienwert ist laut der Deutschen Bundesbank von etwa 74% im Jahr 2010 auf über 82% zum Ende des Jahres 2019 angestiegen. Zugleich sind die Immobilienpreise im Zeitraum von 2015 bis 2019 jährlich um etwa 7% gestiegen und zeitigen in Großstädten Überbewertungen bis zu 30%. Laut der Europäischen Zentralbank (EZB) ist hierfür das seit 2016 herrschende Nullzinsumfeld ein wichtiger Grund – Kredite waren einfach und preiswert zu haben, was entsprechend die Preise für die Objekte der Begierde trieb. Der eine oder die andere Damokles wird da also zugegriffen haben, auch wenn es finanziell eng war.
Steigende Zinsen zur Bekämpfung der Inflation und ein veritables Rückschlagpotenzial in der Bewertung beliehener Immobilien stellen dann ein unerquickliches Szenario dar. Jene Haushalte, die im gegenwärtigen Zinsumfeld eine Refinanzierung ihres Wohnungsbaukredits vornehmen müssen, sind mit signifikant höheren monatlichen Lasten konfrontiert. Gleichzeitig würde eine stärker als erwartete Eintrübung der wirtschaftlichen Lage, zum Beispiel wegen einer weiteren Eskalation des Angriffskriegs Russlands in der Ukraine, einer aggressiven Virusvariante im Herbst oder am Ende gar doch noch einer Insolvenzwelle, die Gefahr eines plötzlichen Einbruchs der Immobilienpreise weiter verschärfen. Ein solches Szenario würde das verfügbare Einkommen und das (Immobilien-)Vermögen vieler Haushalte verringern, mit wichtigen Konsequenzen für das Finanzsystem.
Denn wie Joachim Wuermeling aus dem Vorstand der Bundesbank schon Mitte 2020 anmerkte: Immobilienkredite machen 70% der gesamten Kreditvergabe aus. Verglichen mit Unternehmens- und Konsumentenkrediten stiegen sie bis in die Pandemie am stärksten. Eine plötzliche Korrektur der Werthaltigkeit dieser Kredite hat somit das Potenzial, nicht nur einzelne Banken in Schieflage zu bringen, sondern das gesamte Finanzsystem unter Stress zu setzen. Angesichts eines bereits angespannten Umfelds für das Bankwesen bleibt also zu hoffen, dass das Rosshaar, welches das Damoklesschwert hält, robust ist. Das ist sicherlich eher dann der Fall, wenn eine aufmerksame Bankenaufsicht auch unliebsame Instrumente wie Kapitalpuffer und Beleihungsgrenzen frühzeitig aktiviert und nicht zu früh deaktiviert.
Gleichzeitig sollten wir uns für den Fall wappnen, dass der Faden dennoch reißt. Aus meiner Sicht wäre es nicht ratsam, dann ein viertes Entlastungspaket mit Hilfen für überschuldete Wohnungseigentümer und gestresste Banken aufzulegen. Vielmehr sollten wir uns frühzeitig und im Vorhinein darüber klarwerden, dass das Privileg Eigentum eben auch mit Gefahren einhergeht, die letztlich ein jeder eigenverantwortlich zu tragen bereit sein muss. Ich denke, dass die Politik eine solche Haltung klar artikulieren sollte, bevor das Rosshaar reist. Wer weiß, vielleicht wird dann der eine Immobilieninteressent oder die andere Bank dem Beispiel des Damokles folgen und auf die Privilegien des riskanten Luxus verzichten.