Inhalt
Seite 1
WeltwirtschaftSeite 2
Deutsche Wirtschaft stagniert vorübergehend Auf einer Seite lesenDeutsche Wirtschaft stagniert vorübergehend
In Deutschland nahm die gesamtwirtschaftliche Produktion im Jahr 2018 um 1,4% zu. Allerdings hat sie in den letzten drei Monaten des Jahres lediglich stagniert, nach einem Rückgang um 0,2% im Quartal zuvor.
Zu der schwachen Entwicklung im zweiten Halbjahr 2018 haben zwei Sondereffekte beigetragen: Für das ab September 2018 in vielen Ländern eingeführte Abgas-Prüfverfahren hatten deutsche Autoproduzenten einen Teil ihrer Angebotspalette nicht rechtzeitig zertifiziert. Ein erheblicher Teil der produzierten Fahrzeuge konnte nicht verkauft werden, was sich gesamtwirtschaftlich in einem beträchtlichen Lageraufbau im dritten Quartal niederschlug. Aber auch die Produktion von Autos musste erheblich reduziert werden. Erst im Dezember haben Produktion und Exporte von Kraftfahrzeugen wieder deutlich zugelegt. Zudem haben von August bis Anfang Dezember Transportprobleme wegen des niedrigen Wasserstands des Rheins die Produktion vor allem in der westdeutschen Chemieindustrie beeinträchtigt. Beide Effekte zusammen dürften die Wertschöpfung im dritten Quartal um etwa einen halben Prozentpunkt reduziert haben, sie erklären die erhebliche Abschwächung der Konjunktur also nur zum Teil. Wichtiger ist, dass sich die im Jahr 2017 noch sehr kräftige Auslandsnachfrage, vor allem aus den EU-Partnerländern, schon bald nach dem Jahreswechsel 2017/2018 deutlich verlangsamt hat. Die Stimmung in den Unternehmen, wie sie etwa das ifo Geschäftsklima misst, kühlt seit dieser Zeit ab, und die Investitionen in Ausrüstungen werden nicht mehr so stark ausgeweitet. Dagegen hält die starke Baukonjunktur weiter an. Im vierten Quartal lagen die Wohnungsbauinvestitionen um 4,1% höher als ein Jahr zuvor, die gesamten Bauinvestitionen um 3,7%. Nominal übertrafen die Bauinvestitionen ihr Vorjahresniveau sogar um 9,1%. Über die Hälfte der nominalen Nachfrageexpansion schlug sich hier also in höheren Preisen statt in mehr Produktion nieder. Am Bau, aber auch in einigen anderen Wirtschaftszweigen, wird nahe an den Kapazitätsgrenzen gearbeitet, was ein weiterer wichtiger Grund für die Abnahme der Produktionszuwächse ist.
Gründe für die starke Baukonjunktur sind neben den sehr günstigen Finanzierungsbedingungen und der deutlichen Bevölkerungszunahme die recht kräftige Expansion der Einkommen. So stiegen die Bruttolöhne und -gehälter je Beschäftigten im Jahr 2018 um 3,2% und damit deutlich schneller als die Verbraucherpreise (1,8%), und weil auch die Beschäftigung kräftig expandierte, nahm die Summe der Löhne und Gehälter gar um 4,8% zu. Gemessen an der deutlichen Zunahme der verfügbaren Einkommen insgesamt (um 3,3%) und auch an dem in Umfragen gemessenen hohen Konsumentenvertrauen ist die Dynamik des privaten Konsums schon seit Mitte 2017 nur mäßig. Der Dieselskandal und zuletzt die Zertifizierungsprobleme der Automobilindustrie dürften den privaten Konsum gedämpft haben.
Bemerkenswert ist, dass der Beschäftigungsaufbau im zweiten Halbjahr 2018 auch im Verarbeitenden Gewerbe ungeachtet des dortigen Produktionsrückgangs angehalten hat. Gesamtwirtschaftlich nahm die Zahl der Erwerbstätigen im vierten Quartal 2018 um 110 000 Personen bzw. 0,2% gegenüber dem Vorquartal zu. Getragen wurde der Beschäftigungsaufbau erneut von der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Viele Unternehmen schätzen die gegenwärtige Schwächephase offensichtlich als vorübergehend ein, den Mangel an Fachkräften dagegen als langfristiges Problem, dem durch stetigen Personalaufbau zu begegnen ist. Die Folge ist allerdings ein gesamtwirtschaftlicher Anstieg der Lohnstückkosten, der im zweiten Halbjahr 2018 mit 3% gegenüber dem Vorjahreszeitraum deutlich höher ausfiel als der gesamtwirtschaftliche Preisanstieg um 1,9% (gemessen am Deflator für das Bruttoinlandsprodukt). Die hohe Divergenz zwischen dem Anstieg der Lohnstückkosten und dem der Preise wird sich auf Dauer so nicht fortsetzen, denn sie bedeutet für die Unternehmen einen Rückgang ihrer Rentabilität. Dass ein deutliches Anziehen des Absatzes die Lohnstückkosten wieder drückt, damit ist allerdings für die nächste Zeit nicht zu rechnen. So deutet der IWH-Flash-Indikator auf wenig mehr als Stagnation im ersten Halbjahr 2019 (vgl. Abbildung 3). Für eine weiter schwache Nachfrageentwicklung sprechen auch die Verunsicherung aufgrund der Brexit-Risiken und der Handelskonflikte sowie die jüngsten sehr schwachen Konjunkturdaten aus Asien. Die Exporte dürften deshalb im Jahr 2019 nur verhalten expandieren. In diesem Umfeld werden die Unternehmen ihre Investitionen nur moderat und die Beschäftigung deutlich schwächer ausweiten als im Jahr 2018. Trotzdem kommt der Beschäftigungsaufbau wohl nicht zum Erliegen, denn er vollzieht sich zum Großteil in Wirtschaftszweigen wie den öffentlichen Dienstleistern, die nicht direkt von Nachfrageschwankungen betroffen sind. Auch werden die Reallöhne weiter spürbar zunehmen. Der private Konsum dürfte deshalb robust expandieren.
Zudem stützt die Wirtschaftspolitik. So wird die EZB im Jahr 2019 ihren Refinanzierungssatz bei null belassen. Entsprechend ist zu erwarten, dass die Finanzierungskonditionen günstig bleiben. Auch schwenkt die Finanzpolitik auf einen expansiven Kurs ein: Die diskretionären finanzpolitischen Maßnahmen belaufen sich im Jahr 2019 auf 0,7% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Aus diesen Gründen ist zu erwarten, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion in der zweiten Jahreshälfte 2019 etwas rascher als das Produktionspotenzial expandiert. Alles in allem steigt nach vorliegender Prognose das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland im Jahr 2019 um 0,5%. Im Jahr 2020 dürfte der Zuwachs bei 2,0% liegen. Bereinigt um die Mehrzahl an Arbeitstagen, die kalenderbedingt 2020 anfallen, ergibt sich eine Rate von 1,6%. Für das Jahr 2019 reicht das 68%-Prognoseintervall für den Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes von –0,1% bis 1,1%, für das Jahr 2020 von 0,2% bis 3,7%. (vgl. Abbildung 4) .
Der Finanzierungssaldo des Staates wird, ausgehend von einem gesamtstaatlichen Haushaltsüberschuss von 58 Mrd. Euro im Jahr 2018, im laufenden Jahr deutlich zurückgehen. Dies geht zum einen auf die expansiv ausgerichtete Finanzpolitik, zum anderen auf die spürbare konjunkturelle Abkühlung zurück. So werden die Steuereinnahmen mit einer verlangsamt expandierenden Lohnsumme und rückläufigen Unternehmensgewinnen deutlich schwächer zulegen als in den Jahren zuvor. Bei der Einkommensteuer wirken zudem die Verschiebung der Tarifeckwerte und die Erhöhung des Grund- und Kinderfreibetrags einnahmemindernd. Alles in allem nehmen die gesamtstaatlichen Einnahmen im Jahr 2019 nur noch um 2,6% zu, nach 4,7% im Vorjahr. Die Ausgaben des Staates werden im Jahr 2019 mit 4,4% beschleunigt zulegen. Insbesondere die monetären Sozialleistungen werden mit knapp 6% stärker ausgeweitet als im Rezessionsjahr 2009. Ausschlaggebend hierfür sind insbesondere die Leistungsausweitungen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Mit dem allmählichen Anlaufen investiver Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag dürften sich auch die Vorleistungen und die öffentlichen Investitionen dynamisch entwickeln. Der gesamtstaatliche Finanzierungssaldo verringert sich auf 33 Mrd. Euro bzw. 1,0% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Im Jahr 2020 wird der Überschuss der öffentlichen Haushalte mit dem Wiederanziehen der Konjunktur in etwa konstant bleiben. Der strukturelle Primärsaldo verringert sich aufgrund der expansiv ausgerichteten Finanzpolitik von 2,4% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2018 auf 1,6% im Jahr 2020.
In Ostdeutschland dürfte die Wirtschaft im Jahr 2018 mit 1,4% in etwa so rasch wie in Gesamtdeutschland expandiert haben. Zwar nahmen die ostdeutschen Ausfuhren nur schwach zu. Der Osten hat aber wohl in besonderem Maß von der robusten Binnenkonjunktur profitiert. Das trifft besonders auf die dienstleistungsorientierte Berliner Wirtschaft zu, welche an der ostdeutschen Wirtschaftsleistung einen Anteil von 28% hat. Zudem geht im Osten die Arbeitslosigkeit, wenn auch von einem nach wie vor höheren Niveau, weiterhin schneller zurück als im Westen, und die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung expandiert trotz der deutlich schwächeren demographischen Dynamik mit etwas unter 2% nur wenig langsamer. Auch deshalb ist wohl das ifo Geschäftsklima im Einzelhandel im Osten ein Stück weit freundlicher als in Westdeutschland. Im Jahr 2019 dürfte die ostdeutsche Produktion mit 0,7% zwar nur wenig, aber etwas stärker als in Gesamtdeutschland zulegen. Denn der starke Dämpfer aufgrund der schwachen Auslandsnachfrage trifft vor allem exportorientierte westdeutsche Regionen. Wenn nach vorliegender Prognose die deutschen Exporte im Jahr 2020 wieder stärker anziehen, wird davon auch die ostdeutsche Wirtschaft profitieren, die Expansion wird mit 1,7% aber hinter dem gesamtdeutschen Zuwachs von 2% zurückbleiben. Die Arbeitslosenquote nach der Definition der Bundesagentur für Arbeit dürfte von 6,9% im Jahr 2018 auf 6,4% im Jahr 2019 und 6,3% im Jahr 2020 zurückgehen.
Die vorliegende Prognose ist unter der Annahme hergeleitet, dass sich die im Abschnitt zur internationalen Konjunktur angesprochenen weltwirtschaftlichen Risiken nicht realisieren. Sowohl ein ungeregelter Austritt Großbritanniens aus der EU als auch erhebliche Zollerhöhungen vonseiten der USA würden die deutsche Wirtschaft stark schädigen, denn sie ist mit der britischen eng verflochten und zudem wegen der großen Bedeutung der exportorientierten Investitionsgüterindustrien besonders stark von Schwankungen des internationalen Handels betroffen.