Konjunktur deutlich abgekühlt – Politische Risiken hoch: Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2019
Die Konjunktur in Deutschland hat sich seit Mitte des Jahres 2018 merklich abgekühlt. Der langjährige Aufschwung ist damit offenbar zu einem Ende gekommen. Die schwächere Dynamik wurde sowohl vom internationalen Umfeld als auch von branchenspezifischen Ereignissen ausgelöst. Die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich – auch aufgrund politischer Risiken – eingetrübt, und das Verarbeitende Gewerbe hat mit Produktionshemmnissen zu kämpfen. Die deutsche Wirtschaft durchläuft nunmehr eine Abkühlungsphase, in der die gesamtwirtschaftliche Überauslastung zurückgeht. Die Institute erwarten für das Jahr 2019 nur noch ein Wirtschaftswachstum von 0,8% und damit mehr als einen Prozentpunkt weniger als noch im Herbst 2018. Die Gefahr einer ausgeprägten Rezession mit negativen Veränderungsraten des Bruttoinlandsprodukts über mehrere Quartale halten die Institute jedoch bislang für gering, jedenfalls solange sich die politischen Risiken nicht weiter zuspitzen. Für das Jahr 2020 bestätigen die Institute ihre Prognose aus dem vergangenen Herbst: Das Bruttoinlandsprodukt dürfte im Jahr 2020 um 1,8% zunehmen.
04. April 2019
Anfang des Jahres 2019 durchläuft die internationale Konjunktur eine Schwächephase, und der kräftige Aufschwung der vergangenen Jahre ist erst einmal zu Ende. Eine Abkühlung hatte sich bereits länger angekündigt, denn schon seit dem Frühjahr 2018 sind Stimmungsindikatoren für Unternehmen rückläufig. Im zweiten Halbjahr 2018 expandierte die weltweite Produktion dann deutlich langsamer als zuvor, und im Schlussquartal ist der Welthandel sogar zurückgegangen. Zu Beginn dieses Jahres scheint die Weltkonjunktur weiterhin schwach zu sein. Gegen eine weitere Verlangsamung spricht allerdings, dass in jüngster Zeit einige der Frühindikatoren ein etwas helleres Bild zeichnen.
Dabei ist die konjunkturelle Lage regional recht differenziert: Der Aufschwung in den USA hat sich nur verlangsamt, im Euroraum ist er dagegen im zweiten Halbjahr 2018 zum Erliegen gekommen, vor allem wegen einer ausgeprägten Schwäche der deutschen und der italienischen Industrie. In China deutete sich eine konjunkturelle Verlangsamung schon früh im vergangenen Jahr an, aber erst die sehr schwachen Importe im Schlussquartal 2018 lassen auf einen Abschwung in China schließen.
Zum Teil ist die Abkühlung der Weltkonjunktur im Lauf des Jahres 2018 wohl eher als eine Normalisierung nach dem ausgesprochen starken Aufschwungsjahr 2017 zu verstehen. Darüber hinaus ist sie aber auch Folge der hohen wirtschaftspolitischen Risiken. Denn nach wie vor ist unklar, wie es mit den Handelsstreitigkeiten zwischen den USA auf der einen und China bzw. der Europäischen Union (EU) auf der anderen Seite weitergeht. In Europa kommt als zweite Unsicherheit der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union hinzu. Es ist unklar, ob dieser vertraglich geregelt oder ungeregelt erfolgt oder ob und wenn, für wie lange er verschoben wird.
Gegenwind für die internationale Konjunktur kam zudem von der amerikanischen Geldpolitik. Die US-Notenbank hat ihren Leitzins im Jahr 2018 um insgesamt einen Prozentpunkt auf 2,25–2,5% erhöht, und in der Folge verschlechterten sich die Finanzierungsbedingungen in vielen Schwellenländern zeitweise deutlich. Dazu kamen als dämpfende Sondereffekte im dritten Quartal 2018 Naturkatastrophen in Japan sowie ein vielerorts schwacher Kfz-Absatz, der zum Teil auf Schwierigkeiten bei der Umstellung auf ein neues Abgasprüfsystem in der EU und in anderen Ländern zurückgeht.
Nicht nur im Automobilsektor, sondern generell im Verarbeitenden Gewerbe hat sich die Konjunktur stark abgekühlt. Dabei mag eine Rolle spielen, dass Zölle oder Risiken von Zollerhöhungen in der Regel den Handel mit Waren betreffen, nicht aber den mit Dienstleistungen. Jedenfalls hat sich die Stimmung in den Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes in nahezu allen Ländern deutlich stärker verschlechtert als bei den Dienstleistern, und die Weltindustrieproduktion hat deutlicher als die Gesamtwirtschaft an Schwung verloren. Nicht zuletzt, weil die Dienstleistungskonjunktur nach wie vor intakt ist, wurde die Beschäftigung in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften bis zuletzt ausgeweitet, wenn auch verlangsamt, und der Lohnanstieg hat sich bei vielfach sehr niedriger Arbeitslosigkeit tendenziell beschleunigt. Die Verbraucherpreisinflation ist dagegen – abgesehen von ölpreisbedingten Schwankungen – im Allgemeinen weiter niedrig (wie im Euroraum und insbesondere in Japan) oder moderat (wie in den USA).
Vor diesem Hintergrund hat die Geldpolitik vielerorts auf die konjunkturelle Abkühlung reagiert und den zuvor eingeschlagenen Straffungskurs ausgesetzt oder gelockert. Die US-Notenbank hat ihren Kurswechsel im Januar 2019, die Europäische Zentralbank (EZB) im März kommuniziert. Die Akteure an den Finanzmärkten hatten allerdings schon Ende des Jahres 2018 nicht mehr mit baldigen Leitzinserhöhungen in den USA gerechnet, und die Kapitalmarktrenditen gehen seitdem in der Tendenz zurück. Von wieder günstigeren Finanzierungsbedingungen profitieren besonders Schwellenländer, die auf Zufluss ausländischen Kapitals angewiesen sind.
Die Finanzpolitik ist regional unterschiedlich ausgerichtet. In den USA wirkt sie weniger expansiv, die Impulse der Ende 2017 beschlossenen Steuerreform und der Ausgabenprogramme laufen im Prognosezeitraum aus. In Japan soll im Herbst 2019 die Mehrwertsteuer erhöht werden, was einen restriktiven Impuls bedeutet. Dagegen wechselt im Euroraum die Finanzpolitik in diesem Jahr von einer in etwa neutralen zu einer leicht expansiven Ausrichtung, vor allem aufgrund der Maßnahmen in Deutschland und Italien. Schließlich hat die chinesische Regierung kräftige Steuersenkungen für Konsumenten und Unternehmen beschlossen, um die Konjunktur zu stabilisieren.
Von der Wirtschaftspolitik gehen im Prognosezeitraum also gegenläufige Impulse aus: Einerseits stützen Geld- und Finanzpolitik die internationale Konjunktur. Andererseits belastet die hohe Unsicherheit über den Fortgang der Handelsstreitigkeiten und den EU-Austritt Großbritanniens weiterhin die Weltwirtschaft. So zeichnen Frühindikatoren kein klares Bild von der internationalen Konjunktur im ersten Halbjahr 2019: Die Stimmung in der Industrie ist bis zuletzt gesunken, ebenso wie die Auftragseingänge. Zudem dürfte die US-Produktion im ersten Quartal von der Haushaltssperre im Januar und großer Kälte im Februar deutlich gedämpft worden sein. Allerdings deuten andere Indikatoren auch darauf hin, dass der Tiefpunkt der Konjunktur bereits erreicht sein könnte: Aktienkurse sowie die Preise für viele Industrierohstoffe sind zu Jahresanfang wieder gestiegen, und Risikoprämien – gemessen an der Renditedifferenz zwischen ansonsten vergleichbaren Anleihen unterschiedlich riskanter Emittenten – sind gesunken. Zudem ist das Konsumentenvertrauen in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften im Allgemeinen weiterhin hoch. Für eine im weiteren Verlauf dieses Jahres wieder etwas stärkere Produktionsausweitung spricht auch, dass der Aufschwung in den USA trotz temporär dämpfender Effekte wohl noch eine Weile andauert und in China die wirtschaftspolitischen Maßnahmen allmählich wirken dürften. Des Weiteren ist zu erwarten, dass die Wirtschaft in einigen Schwellenländern, deren Konjunktur im Jahr 2018 deutlich gebremst wurde, im laufenden Jahr wieder anzieht.
Im Jahr 2020 expandieren die Produktion in den USA und die im Euroraum nahe an ihren Potenzialraten, während sich der Trend zu etwas niedrigerem Wachstum in China fortsetzt. Alles in allem ist zu erwarten, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion in dem hier betrachteten Länderkreis in den Jahren 2019 und 2020 wechselkursgewichtet mit jeweils 2,7% und damit deutlich langsamer als im Jahr 2018 zunimmt. Im Vergleich zur Gemeinschaftsdiagnose vom Herbst 2018 bedeutet dies eine Abwärtsrevision um 0,3 bzw. 0,2 Prozentpunkte. Noch etwas ausgeprägter ist die Verlangsamung aus deutscher Sicht (Weltproduktion gewichtet mit den Anteilen an den deutschen Exporten). Der Welthandel dürfte im Jahr 2019 nur um 1,6% höher liegen als im Vorjahr, sich im Verlauf aber wieder spürbar beleben.
Die Konjunktur in Deutschland hat sich seit Mitte des Jahres 2018 merklich abgekühlt. Die Wirtschaftsleistung stagnierte in der zweiten Hälfte des Jahres 2018. Der langjährige Aufschwung ist damit offenbar zu einem Ende gekommen. Die schwächere Dynamik wurde sowohl vom internationalen Umfeld als auch von branchenspezifischen Ereignissen ausgelöst. Die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich – auch aufgrund politischer Risiken – eingetrübt; dies beeinträchtigt die deutsche Exportwirtschaft. Dass die Abschwächung im zweiten Halbjahr 2018 jedoch so deutlich ausfiel, hängt in erster Linie mit Problemen in der Automobilbranche und dem Niedrigwasser im Rhein zusammen. Allerdings hatte sich ein schwächeres Expansionstempo aufgrund von produktionsseitigen Engpässen ohnehin abgezeichnet; der Anteil der Unternehmen, die über Produktionsbehinderungen infolge von Fachkräftemangel und Lieferengpässen berichten, war zur Mitte des vergangenen Jahres auf historischen Höchstwerten angekommen.
Die deutsche Wirtschaft durchläuft derzeit eine Abkühlungsphase, in der die gesamtwirtschaftliche Überauslastung zurückgeht. Die Institute haben bereits in ihrem Herbstgutachten 2018 darauf hingewiesen, dass der Aufschwung aufgrund des raueren weltwirtschaftlichen Klimas an Fahrt verliere, aber sowohl das Ausmaß der inländischen Produktionshemmnisse als auch die Abkühlung der Weltkonjunktur wurden unterschätzt. Insgesamt ergibt sich eine deutliche Prognosekorrektur nach unten – die Institute erwarten nun für das Jahr 2019 nur noch ein Wirtschaftswachstum von 0,8% und damit mehr als einen Prozentpunkt weniger als noch im Herbst 2018. Die Gefahr einer ausgeprägten Rezession mit negativen Veränderungsraten des Bruttoinlandsprodukts über mehrere Quartale halten die Institute jedoch bislang für gering, jedenfalls solange sich die politischen Risiken nicht weiter zuspitzen. Das 68%-Prognoseintervall reicht im Jahr 2019 von 0,1% bis 1,5%.
Im Jahr 2019 wird sich die Konjunktur wohl stabilisieren, ohne dabei jedoch wieder die hohe Dynamik der Vorjahre zu erreichen. Die Produktionsbehinderungen durch das Niedrigwasser bestehen nicht mehr, und die Probleme mit der Umstellung auf den WLTP-Standard in der Automobilindustrie sollten bald überwunden sein. Dies würde für sich genommen für einen kräftigen Anstieg der Produktion im Verarbeitenden Gewerbe sprechen. Allerdings erholt sich die Produktion im Fahrzeugbau bislang nur schleppend. Dazu beigetragen hat, dass bei Herstellern und Händlern offenbar große Lager aufgebaut wurden, sodass die Produktion nur mit Verzögerung auf die wieder höheren Absatzzahlen reagierte. Darüber hinaus hat sich die Industriekonjunktur insgesamt spürbar abgeschwächt, vor allem da sich die Absatzmöglichkeiten auf den Auslandsmärkten mittlerweile schwächer darstellen. Dies zeigt sich in den verhaltenen Auftragseingängen und den deutlich eingetrübten Unternehmenserwartungen im Verarbeitenden Gewerbe. Die Institute rechnen damit, dass sich die Produktion dort nach einem weiteren Rückgang im ersten Quartal 2019 nur leicht erholt. Im Baugewerbe dürfte die Expansion weiterhin durch Kapazitätsengpässe begrenzt werden. Gestützt wird die Konjunktur durch die konsumnahen Dienstleistungsbereiche, die von den deutlich steigenden verfügbaren Einkommen profitieren. Alles in allem dürfte damit der Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts im ersten Quartal mit 0,2% noch verhalten bleiben. Im weiteren Jahresverlauf dürfte das Expansionstempo mit der dann wieder aufwärtsgerichteten Industrieproduktion etwas höher ausfallen.
Die schwache Dynamik zum Jahreswechsel bedingt die niedrige Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2019. Der konjunkturelle Ausblick ist allerdings nicht so düster, wie diese Rate vermuten lassen könnte. Die Verlaufsrate, die die Veränderung des Bruttoinlandsprodukts in den vier Quartalen des Jahres 2019 abbildet, veranschlagen die Institute bei 1,4% und damit in der Nähe der Potenzialwachstumsrate der deutschen Wirtschaft. Für das Jahr 2020 halten die Institute an ihrer Prognose für das Bruttoinlandsprodukt fest. Von der erwarteten Zunahme um 1,8% gehen 0,4 Prozentpunkte darauf zurück, dass im Jahr 2020 mehr Arbeitstage zur Verfügung stehen als im Jahr 2019.
Der Beschäftigungsaufbau wird voraussichtlich an Fahrt verlieren. Zwar zeichnet sich für das erste Quartal 2019 abermals ein kräftiger Stellenaufbau ab, danach dürfte er sich aber deutlich verlangsamen. Denn in etlichen Wirtschaftszweigen sind Arbeitskräfte weiterhin sehr knapp, während an anderer Stelle, insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe, die konjunkturelle Abschwächung auf die Beschäftigung durchschlagen wird. Die Institute erwarten für die Jahre 2019 und 2020 ein Plus von 430 000 bzw. 265 000 Erwerbstätigen, nach einem Anstieg um 570 000 im Jahr 2018. Die Arbeitslosenquote sinkt von 5,2% im vergangenen Jahr auf 4,8% (2019) und 4,6% (2020). Angesichts der vielfach fortdauernden Anspannung am Arbeitsmarkt dürften die effektiven Stundenverdienste mit 2,8% in diesem und 2,4% im nächsten Jahr trotz schwacher Produktivitätsentwicklung weiter deutlich zulegen.
Die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte steigen im Pro-gnosezeitraum ähnlich kräftig wie in den zurückliegenden beiden Jahren. Zwar schwächt sich der Anstieg der Bruttolöhne angesichts der nachlassenden Beschäftigungsdynamik ab; im laufenden Jahr führen die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherungsbeiträge und steuerliche Entlas¬tungen aber dazu, dass die Nettolöhne mit 4,6% ähnlich stark zulegen wie im Vorjahr. Erst im kommenden Jahr dürfte der Zuwachs trotz weiterer Entlastungen mit 3,4% merklich niedriger ausfallen. Vor allem infolge höherer Rentenzahlungen nehmen die monetären Sozialleistungen im laufenden Jahr kräftig um 4,5% zu (nach 2,6% im Jahr 2018). Auch hier schwächt sich der Zuwachs im nächsten Jahr etwas ab. Demgegenüber dürften die Unternehmens- und Vermögenseinkommen nach einem Rückgang in diesem Jahr im kommenden Jahr wieder deutlich anziehen. Insgesamt werden die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte mit 3,1% in diesem und 3,3% im nächsten Jahr deutlich zunehmen. Der Anstieg der Verbraucherpreise wird mit 1,5% im Jahr 2019 und 1,8% im Jahr 2020 moderat sein. Insgesamt verbleibt den privaten Haushalten ein Kaufkraftplus von 1,5% (2019) und 1,6% (2020). Bei nahezu unveränderter Sparquote werden die privaten Konsumausgaben somit im Verlauf des Prognosezeitraums voraussichtlich kräftig zulegen und damit spürbar zur gesamtwirtschaftlichen Expansion beitragen.
Die Anlageinvestitionen werden zwar weniger dynamisch expandieren als zuletzt, jedoch rechnen die Institute nicht mit einem Einbruch der Investitionstätigkeit, wie er in früheren Abschwungphasen meist zu beobachten war. Ein Grund dafür ist, dass die Investitionstätigkeit im vorangegangenen Aufschwung nur moderat ausgeweitet wurde, sodass die für Boomphasen an sich typischen Übertreibungen im Kapazitätsaufbau diesmal wohl weniger stark ausgeprägt gewesen sind. Der Wohnungsbau ist weiterhin eine Stütze der Bauinvestitionen, auch weil die Finanzierungskosten niedrig bleiben. Die üppigen Auftragsbestände und die kräftige Preisentwicklung deuten darauf hin, dass die Ausweitung der Bautätigkeit vor allem durch Kapazitätsengpässe in der Bauwirtschaft begrenzt wird.
Die Finanzpolitik setzt im Jahr 2019 einen recht kräftigen Impuls von 0,7% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Dieser wirkt vor allem über Entlastungen bei der Einkommensteuer und durch Mehrleistungen der Rentenversicherung. Auch die Investitionsausgaben der öffentlichen Hand expandieren weiter, wenn auch nicht so kräftig wie im Jahr 2018, in dem die Budgets für Baumaßnahmen nominal um über 10% aufgestockt worden waren. Im Jahr 2020 fällt der finanzpolitische Impuls mit 0,4% deutlich geringer aus. Der gesamtstaatliche Finanzierungssaldo sinkt in Relation zum Bruttoinlandsprodukt von 1,7% im vergangenen Jahr auf 1,2% (2019) und 1,0% (2020). Bereinigt um Konjunktur- und Einmaleffekte ergeben sich gemäß modifizierter EU-Methode Finanzierungssalden in Relation zum Produktionspotenzial von 1,1% (2019) und 0,8% (2020), nach 1,3% im Jahr 2018.
Die konjunkturelle Abkühlung wirft die Frage nach den finanzpolitischen Konsequenzen auf. In der öffentlichen Debatte steht bislang die „Schwarze Null“ für den Saldo des Bundeshaushalts im Vordergrund. Zudem wird die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse erneut kontrovers diskutiert. Beide Konzepte sollten klar auseinandergehalten werden, weil bei der Schuldenbremse der strukturelle Finanzierungssaldo und nicht – wie bei der „Schwarzen Null“ – der nominale Finanzierungssaldo maßgeblich ist. Die Politik sollte die automatischen Stabilisatoren wirken lassen und nicht um der „Schwarzen Null“ willen der Konjunktur hinterhersparen. Konjunkturbedingte Defizite lassen die deutsche Schuldenbremse und das europäische fiskalpolitische Regelwerk ausdrücklich zu.
Zwar werden sich die Überschüsse der öffentlichen Haushalte konjunkturbedingt verringern, die strukturellen Überschüsse bleiben jedoch zunächst beträchtlich. Allerdings hat die Politik in den zurückliegenden „fetten“ Jahren rentenpolitische Leistungsausweitungen beschlossen, die die strukturellen Haushaltsüberschüsse bei geltendem Recht mittelfristig aufzehren werden. Damit schafft die deutsche Wirtschaftspolitik Risiken, indem sie die langfristige Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung durch Leistungsausweitungen erheblich belastet, die aus dem Beitragsaufkommen nicht zu finanzieren sein werden. Dies lässt Steuererhöhungen erwarten, die den Investitionsstandort Deutschland beeinträchtigen. Zugleich verringern die Leistungsausweitungen den Spielraum an anderer Stelle. So sind Investitionen in Forschung, Bildung und Infrastruktur angesichts des schärfer werdenden internationalen Standortwettbewerbs dringender denn je. Zudem erfordert der demographische Wandel umso mehr eine Politik, die bei sozialpolitischen Maßnahmen auch ihre Wirkung auf die Arbeitsanreize in den Blick nimmt.
Wesentliche Risiken für die deutsche Konjunktur kommen schon seit einiger Zeit aus dem internationalen Umfeld: Die von den USA ausgehenden Handelskonflikte könnten in nächster Zeit wieder eskalieren, und es könnte zu einem vertraglich nicht geregelten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union kommen. In beiden Fällen würden politische Entscheidungen die internationale wirtschaftliche Integration beschädigen. Die deutsche Wirtschaft wäre davon besonders betroffen, denn die USA und Großbritannien gehören zu ihren wichtigsten Partnerländern. Hinzu kommt, dass die Einschätzung der Konjunktur in China, dem nach den USA und Frankreich wichtigsten Abnehmerland für deutsche Warenexporte, gegenwärtig besonders unsicher ist.
Die internationalen Konjunkturrisiken treffen in besonderem Maß die Automobilwirtschaft. Zum einen träfen die angedrohten Zollerhöhungen der USA die deutschen Autoexporte erheblich. Zum anderen haben sowohl der britische als auch der chinesische Absatzmarkt eine große Bedeutung für die deutschen Hersteller. Es kommen aber noch weitere Risiken für den Wirtschaftszweig hinzu: Dass sich dessen Produktion nach dem Einbruch infolge der WLTP-Einführung nur schleppend erholt, könnte darauf hindeuten, dass die Automobilindustrie nicht nur mit kurzfristigen Absatzproblemen zu kämpfen hat. Hier mögen die Kontroversen um die Umweltfreundlichkeit konventioneller Fahrzeuge eine Rolle spielen. Sie könnten sich in einem Attentismus der Kunden niederschlagen und auch Umstellungen in Produktionsprozessen er¬zwingen, die nicht reibungslos verlaufen dürften. Aufgrund der Bedeutung des Automobilbaus für die deutsche Wirtschaft ist dieses Risiko nicht nur branchenspezifisch, sondern hat gesamtwirtschaftlich Gewicht.
Ein Aufwärtsrisiko für die Prognose ergibt sich daraus, dass die Institute das Ausmaß der Erholung im Verarbeitenden Gewerbe unterschätzen könnten, denn die Sonderfaktoren erschweren die Diagnose der konjunkturellen Grundtendenz. Sollten die Produktionseinbrüche rascher aufgeholt werden, so dürfte das Bruttoinlandsprodukt vorübergehend mit deutlich höheren Raten expandieren als von den Instituten erwartet.
Eine geringere wirtschaftliche Dynamik könnte sich ergeben, falls die Produktion aufgrund von Fachkräftemangel und Lieferengpässen stärker als von den Instituten erwartet behindert wird. Umfragen zufolge haben sich diese Produktionsbehinderungen seit Mitte des vergangenen Jahres zwar deutlich zurückgebildet. Allerdings ist der Anteil der Unternehmen, die von Fachkräftemangel und Lieferengpässen berichten, nach wie vor auf ungewöhnlich hohem Niveau.