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Chinesische Massenimporte und Wahlverhalten in Europa: Kann der Aufstieg der politischen Ränder durch Importschocks erklärt werden?

Wir untersuchen die kurz- und langfristigen Auswirkungen eines starken Anstiegs chinesischer Importe auf Wahlergebnisse in Europa. Populistische sowie links- und rechtsextreme Parteien gewannen erst viele Jahre nach dem Höhepunkt des China-Schocks bedeutenden Zuwachs an Wählerstimmen. Wir zeigen, dass die Auswirkungen von Importschocks überwiegend zugunsten populistischer Parteien ausfallen. In geringerem Maße profitieren in der kurzen Frist zudem linksextreme Parteien, langfristig hingegen rechtsextreme Parteien. Die Effekte auf das Wahlverhalten sind jedoch moderat und wir schlussfolgern, dass Importschocks den Aufstieg der politischen Ränder nur in begrenztem Maße erklären können.

23. December 2024

Authors Annika Backes Steffen Müller

Contents
Page 1
Globalisierung und Wahlverhalten
Page 2
Daten, Definitionen und Methodik
Page 3
Ergebnisse: Kurz- und Langfristeffekte sind verschieden
Page 4
Endnoten All on one page

Globalisierung und Wahlverhalten

Die Exporte aus China stiegen seit den frühen 1990er Jahren erheblich an und explodierten um den Zeitpunkt des WTO-Beitritts des Landes im Jahr 2001. Westliche Volkswirtschaften sahen sich plötzlich einem stark steigenden Importwettbewerb ausgesetzt, der später als „China-Schock“ bezeichnet wurde. Er konzentrierte sich auf bestimmte verarbeitende Industrien, die oft regional konzentriert waren. In den letzten Jahrzehnten gab es zudem in Europa einen anhaltenden Anstieg der Unterstützung für Parteien an den Rändern des politischen Spektrums, begleitet von einem Rückgang der Zustimmung für traditionelle Parteien wie Sozialdemokraten und Konservative. Die jüngsten Wahlergebnisse bei den Europawahlen sowie Wahlen in Schweden, Italien, Finnland, Spanien, Deutschland und Österreich belegen, dass der Aufstieg populistischer Parteien in Europa weiterhin anhält und die Suche nach Erklärungsansätzen nach wie vor von großer Relevanz ist.1

Ökonomen gehen allgemein davon aus, dass gesteigerter Handel neben Gewinnern auch Verlierer produziert. (Autor et al., 2014;2 Dauth et al., 2014;3 Yi et al., 20244). Während die Gewinner weiterhin Parteien der Mitte wählen, begünstigen diese nachteiligen Effekte auf Arbeitnehmer, so die Vermutung, die politischen Ränder und den Populismus (Autor et al., 20205; Colantone und Stanig, 20186; Dippel et al., 20227).

Theoretischer Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Globalisierung und Populismus

Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Globalisierung und Populismus wird typischerweise im Rahmen der Theorie des embedded liberalism (eingebetteter Liberalismus) diskutiert. Die Grundidee ist, dass die wirtschaftliche Globalisierung den Wohlstand steigert, aber auch wirtschaftliche Unsicherheit verursacht und Gewinner sowie Verlierer hervorbringt. Ein gängiger wirtschaftspolitischer Kompromiss nach dem Zweiten Weltkrieg bestand darin, die Vorteile offenen Handels mit einer Reihe erweiterter sozialpolitischer Maßnahmen zu kombinieren, die darauf abzielen, negative ökonomische Schocks und Einkommensunsicherheiten abzufedern. Individuelle Krisen können zwar bis zu einem gewissen Grad durch den Wohlfahrtsstaat gemildert werden, doch die Kapazitäten des Wohlfahrtsstaates sind begrenzt. Daher können erhebliche und anhaltende Zunahmen der wirtschaftlichen Globalisierung die Grundlagen des embedded liberalism untergraben und Zweifel daran aufkommen lassen, ob das Konzept der Umverteilung aufrechterhalten werden kann. Das Problem wird dadurch verschärft, dass Kapital mobil ist, was die Möglichkeiten der Regierungen einschränkt, soziale Sicherungen durch Kapitalbesteuerung zu finanzieren. Vor dem Hintergrund des China-Schocks, der stark ansteigenden Ungleichheit und dem Niedergang traditioneller Industrieregionen, so das Argument, gewannen politische Akteure an Boden, die protektionistische Maßnahmen versprachen, um Beschäftigte vor der Globalisierung zu schützen.

Bisherige Studien argumentieren anhand der vorangegangenen Annahmen, dass die ungleichen Auswirkungen des Handels auf Arbeitnehmer den economic nationalism (wirtschaftlicher Nationalismus) stärken würden (ein Begriff, der auch von Ruggie 19828 verwendet wurde, um das internationale Regime der 1930er Jahre zu beschreiben), anstatt die traditionellen, auf Umverteilung fokussierten, linken Parteien zu unterstützen (Colantone und Stanig, 2018). Das Argument basiert auf der Vorstellung, dass Wähler das Vertrauen in die Wirksamkeit sozialstaatlicher Politiken zur Abmilderung der durch den Handel verursachten negativen wirtschaftlichen Folgen verlören und stattdessen Zuflucht bei Akteuren suchten, die Schutz vor Importkonkurrenz versprechen. Es ist jedoch nicht unmittelbar ersichtlich, ob die ungleichen Lasten des globalen Wettbewerbs das Wahlverhalten direkt beeinflussen. Die zugrundeliegende Annahme .ist, dass diejenigen, die unter dem globalen Wettbewerb leiden, ihn ablehnen, während diejenigen, die profitieren, ihn unterstützen würden. Es gibt jedoch starke Hinweise, dass Veränderungen der persönlichen wirtschaftlichen Umstände nur geringe Änderungen in den Einstellungen der Wählerschaft hervorrufen (Margalit, 20199).

Bisherige Studien, die die Auswirkungen von Importschocks auf Wahlverhalten untersuchen, konzentrieren sich auf kurzfristige Effekte. Wir stellen darüber hinaus die Frage, ob mögliche Auswirkungen auf das Wahlverhalten mit Verzögerung eintreten. Die theoretischen Konzepte des embedded liberalism und economic nationalism können in gleicher Weise herangezogen werden, um auch die langfristigen Auswirkungen des China-Schocks auf das Wahlverhalten zu erklären. Der China-Schock stellt im Wesentlichen eine etwa ein Jahrzehnt andauernde Phase sehr schnell steigender Importe aus China dar, die sich im Laufe der Zeit akkumulieren und für importkonkurrierende europäische Regionen zu einer dauerhaften Belastung geworden sind. In den ersten Jahren, wenn also die durch Importschocks verursachte Belastung noch nicht vollständig spürbar ist und es noch unklar ist, ob der Schock vorübergehend oder dauerhaft ist, könnten sich die Wähler linken Parteien zuwenden und nach sozialer Absicherung suchen. Diese Sichtweise unterstützt Margalit (2019), der in seinem Literaturüberblick feststellt, dass die Nachfrage nach umverteilenden Maßnahmen nach wirtschaftlichen Schocks tatsächlich zunimmt, dieser Effekt jedoch oft nur kurzfristig anhält. Erst langfristig, wenn deutlich wird, dass die Auswirkungen und das gestiegene Volumen chinesischer Importe von Dauer sind, treten die oben diskutierten theoretischen Argumente für die Auswirkungen des Handels auf das Wahlverhalten in Kraft. Das heißt, Wähler könnten das Vertrauen in die Umverteilung verlieren und sich Vertretern des economic nationalism zuwenden, um sich vor den Folgen der Globalisierung zu schützen, jedoch erst dann, wenn die dauerhafte Natur der Veränderung erkannt wird. Zwar können sich betroffene Regionen bis zu einem gewissen Maße an die geänderten ökonomischen Rahmenbedingungen anpassen. Allerdings zeigt sich, dass betroffene Arbeitnehmer nicht direkt in weniger betroffene Industrien wechseln und stattdessen zum Teil längere Arbeitslosigkeitsperioden hinnehmen müssen.10

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Daten, Definitionen und Methodik

Suggested Reading

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Import Shocks and Voting Behavior in Europe Revisited

Annika Backes Steffen Müller

in: IWH Discussion Papers, No. 8, 2024
published in: European Journal of Political Economy

Abstract

We provide first evidence for the long-run causal impact that Chinese imports to European regions had on voting outcomes and revisit earlier estimates of the short-run impact for a methodological reason. The fringes of the political spectrum gained ground many years after the China shock plateaued and, unlike an earlier study by Colantone and Stanig (2018b), we do not find any robust evidence for a short-run effect on far-right votes. Instead, far-left and populist parties gained in the short run. We identify persistent long-run effects of import shocks on voting. These effects are biased towards populism and, to a lesser extent, to the far-right.

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Also in this issue

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Ist der Solidaritätszuschlag verfassungswidrig?

Reint E. Gropp

in: Wirtschaft im Wandel, No. 4, 2024

Abstract

<p>Am 12. November 2024 hörte das Bundesverfassungsgericht Argumente zu einer Klage einiger FDP-Abgeordneter gegen den Solidaritätszuschlag. IWH-Präsident Reint Gropp war als Sachverständiger geladen und gibt in diesem Beitrag seine Einschätzung zur Thematik wieder.</p>

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Aktuelle Trends: Die Bedeutung von Banken zur Verteilung von Subventionen

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in: Wirtschaft im Wandel, No. 4, 2024

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Wie Arbeitsplatzzusagen die Unternehmensdynamiken beeinflussen

Ufuk Akcigit Harun Alp André Diegmann Nicolas Serrano-Velarde

in: Wirtschaft im Wandel, No. 4, 2024

Abstract

<p>Arbeitsplatzzusagen stellen eine häufig genutzte industriepolitische Maßnahme dar. Die zugrundeliegende Studie evaluiert die Wirkungen von Arbeitsplatzzusagen zum Zeitpunkt der Privatisierung der Unternehmen in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung. Diese industriepolitische Maßnahme verlangte von den neuen Eigentümern der Unternehmen, sich zu Beschäftigungszielen zu verpflichten, wobei Strafen für Nichteinhaltung vertraglich vereinbart waren. Die Studie zeigt, dass Arbeitsplatzzusagen zu einer Polarisierung und Fehlallokation führen. Während Unternehmen mit geringer Produktivität aus dem Markt gedrängt werden, führt das industriepolitische Instrument zu Verzerrungen in der Unternehmensgröße. Um diese Verzerrungen abzubauen, haben Unternehmen einen Anreiz, in Produktivität zu investieren. Im Vergleich mit produktivitätssteigernden Subventionen zeigen sich Arbeitsplatzzusagen langfristig als weniger nachhaltig und generieren geringere Beschäftigungseffekte.</p>

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Interview: Promovieren in Wirtschaftswissenschaften am IWH

Michael Koetter

in: Wirtschaft im Wandel, No. 4, 2024

Abstract

<p>Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) bietet ein Doctoral Programme in Economics (DPE). Diese Promotionsstellen in Wirtschaftswissenschaften bieten Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit, ihre Forschung unter exzellenten Bedingungen durchzuführen und sich während ihrer Promotion in Wirtschaftswissenschaften in einem internationalen Netzwerk zu verankern. Wir sprechen mit dem Leiter des Programms, Professor Michael Koetter, Ph.D.</p>

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