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Ein neues Instrument für die Prognose der Wirtschaftsaktivität in Deutschland: der PRIMA-Indikator

Umfragen zur Einschätzung der wirtschaftlichen Lage sind wichtige Instrumente für die Erstellung von Konjunkturprognosen. Denn ein großer Teil des Wissens über den Zustand einer Wirtschaft liegt nicht gebündelt vor, sondern verteilt sich auf eine Vielzahl von Unternehmen und Haushalten. Allerdings werden die Antworten auf Umfragen auch von öffentlich verfügbaren Informationen beeinflusst, welche Prognostiker besser kennen und beurteilen können als private Haushalte. Im Folgenden wird ein Verfahren vorgeschlagen, mit dessen Hilfe die Einflüsse öffentlicher Informationen aus den privaten Umfrageergebnissen herausgefiltert werden können. Die Ergebnisse zeigen, dass Prognosen der deutschen Konjunktur mit Hilfe eines so erstellten Frühindikators verbessert werden können.

23. December 2022

Authors Katja Heinisch Axel Lindner

Krieg in der Ukraine, Energiekrise, hohe Inflation und steigende Zinsen: Ende des Jahres 2022 sind die Aussichten für die deutsche Konjunktur im Winter düster. Um das zu sehen, muss man nicht Volkswirtschaft studiert haben: Ein auf der Grundlage von Umfragen unter privaten Haushalten berechneter Indikator der Europäischen Kommission für das Verbrauchervertrauen in Deutschland ist auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Erhebung. Auch deshalb sagen die Konjunktur-Prognostiker voraus, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Winter in eine Rezession rutschen wird.1

Der Zweck von Umfragen unter ökonomischen Laien

Aber warum fließen Umfragen unter Laien überhaupt in professionell erstellte Prognosen ein? Es leuchtet zwar ein, dass die gegenwärtig schlechte Stimmung unter Konsumenten die private Nachfrage und damit auch die gegenwärtige Wirtschaftsleistung drückt. Wenn es aber um künftige Entwicklungen geht, sollten die Prognose-Profis dann nicht über wertvollere Informationsquellen verfügen und ein besseres Urteilsvermögen haben als der Mann oder die Frau auf der Straße?

Eine Antwort darauf ist, dass jeder als Experte für sein unmittelbares Umfeld gelten darf. Das ist auch der Grund dafür, dass in einem marktwirtschaftlichen System viele wirtschaftliche Entscheidungen den Menschen selbst überlassen werden. Einem Zentralplaner würden in der Regel „all die Kenntnisse, die ursprünglich auf viele verschiedene Personen verteilt sind",2 entgehen. Diese Kenntnisse beziehen sich auch darauf, wie gut oder schlecht sich die wirtschaftlichen Zukunftsaussichten im unmittelbaren Umfeld der Menschen gegenwärtig darstellen. Prognostiker versuchen, dieses verstreute Wissen mittels Umfragen unter der breiten Bevölkerung einzufangen.

Allerdings werden die Einschätzungen der privaten Haushalte auch wesentlich von Informationen beeinflusst, die öffentlich vorliegen, etwa über Inflationsraten, Zinsen und Wechselkurse, über die eine professionelle Prognostikerin viel besser Bescheid weiß und zu denen sie einen besseren Informationszugang hat. Umfragen unter privaten Haushalten würden deshalb für diese Prognostikerin an Wert gewinnen, wenn aus den Antworten das Aggregat der breit gestreuten, privaten Information herausdestilliert werden könnte. Im Folgenden wird gezeigt, wie dies möglich ist, wenn auf eine bestimmte Kombination von Fragen an die privaten Haushalte zurückgegriffen werden kann.

Vertrauensindikatoren der Europäischen Kommission

Eine solche Kombination findet sich in den Umfragen, welche die Europäische Kommission monatlich zur Einschätzung der wirtschaftlichen Lage in allen Mitgliedsländern durchführen lässt.3 Auf der Grundlage der Antworten berechnet die Kommission Vertrauensindikatoren für einzelne Wirtschaftszweige wie Industrie, Einzelhandel und Baugewerbe, für Konsumenten und mit dem Economic Sentiment Indicator für die gesamte Volkswirtschaft. Die Indikatoren werden von vielen Prognostikern insbesondere für die Bestimmung der aktuellen wirtschaftlichen Lage benutzt, auch weil Daten zur gesamtwirtschaftlichen Produktion erst mit einiger Verzögerung verfügbar sind. In den Indikator für das Konsumentenvertrauen fließen europaweit Antworten auf folgende Fragen ein:

  • Wie wird sich Ihrer Ansicht nach die finanzielle Lage Ihres Haushaltes in den kommenden zwölf Monaten entwickeln?
  • Wie wird sich Ihrer Ansicht nach die allgemeine Wirtschaftslage in Deutschland in den kommenden zwölf Monaten entwickeln?
  • Wie wird sich Ihrer Ansicht nach die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland in den kommenden zwölf Monaten entwickeln?
  • Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie in den kommenden zwölf Monaten Geld sparen werden?

Für jede der vier Fragen wird ein eigener Indikator berechnet, indem von der Zahl der positiven Antworten die der negativen abgezogen und das Ergebnis durch die Gesamtzahl der Antworten dividiert wird.4 Den Indikator des Konsumentenvertrauens ermittelt die Kommission als saisonbereinigten Durchschnitt der vier Einzelindikatoren. Es lohnt sich, die auf den ersten beiden Fragen basierenden Indikatoren näher zu betrachten.5 In Abbildung 1 sind die aus ihnen abgeleiteten Indikatoren für den Zeitraum von 1995 bis heute in standardisierter Form abgebildet. Bis etwa zum Jahr 2003 laufen sie fast parallel, danach gibt es allerdings erhebliche Abweichungen. Wie ist zu erklären, dass der Indikator für die Einschätzung der Haushalte hinsichtlich der gesamtwirtschaftlichen Aussichten in den vergangenen 20 Jahren viel deutlicher schwankte als der Indikator, der sich auf die eigenen wirtschaftlichen Aussichten bezieht?

Private und öffentliche Information dürften für die Antworten je nach Fragestellung unterschiedlich wichtig sein

Den Unterschied dürfte die private Information ausmachen. Es scheint plausibel, dass diese für die Erwartungen hinsichtlich der eigenen wirtschaftlichen Zukunft wichtiger ist als hinsichtlich der gesamtwirtschaftlichen Zukunft. Wenn sich also aus Frage 1 ein stabilerer Indikator als aus Frage 2 ableiten lässt, deutet das darauf hin, dass private Informationen aus dem unmittelbaren Umfeld im Schnitt der befragten Haushalte im Zeitverlauf stabiler sind als die öffentlich zugängliche Information über die Gesamtwirtschaft. So verschlechterte sich in Deutschland der Indikator für die privaten Aussichten in der weltweiten Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 viel weniger als der für die gesamtwirtschaftlichen Aussichten (vgl. Abbildung 2a und 2b). Zu dieser Zeit gingen von den meisten öffentlich verfügbaren Daten, etwa von Aktienkursen, stark negative Signale aus. Vermutlich waren die Signale, die die Menschen in Deutschland aus ihrem privaten Umfeld bekamen, etwa in den Unternehmen, wo sie arbeiteten, deutlich günstiger. Tatsächlich war die gesamtwirtschaftliche Erholung ab dem Sommer 2009 auch viel kräftiger, als die allermeisten Prognosen beinhaltet hatten.

Der PRIMA-Indikator

Allgemein formuliert kann die Differenz zwischen dem Indikator der Frage 1 und dem der Frage 2 als Indikator für das Aggregat an privater Information bezüglich der makroökonomischen Entwicklung verwendet werden. Er wird im Folgenden als PRIMA- Indikator bezeichnet (Private Information Macroeconomic Indicator). Während sich die beiden Einzelindikatoren nur zur Einschätzung der gegenwärtigen Wirtschaftslage eignen (siehe Abbildung 2a und 2b), weist der PRIMA-Indikator einen recht hohen Gleichlauf mit dem Zuwachs des deutschen Bruttoinlandsprodukts in den – vom Zeitpunkt der Umfrage aus gesehen – kommenden eineinhalb Jahren auf (Abbildung 2c und 3). Für einen so langen Zeithorizont besitzen geläufige Indikatoren wie die ifo-Geschäftserwartungen keine Prognosekraft mehr.

Was sagt der PRIMA-Indikator zur aktuellen Konjunktur? In Abbildung 3 ist der Verlauf des PRIMA- Indikators um eineinhalb Jahre in die Zukunft verschoben. Deutlich zu sehen ist seine positive Korrelation mit dem Zuwachs der Produktion bis zu deren unerwartetem Einbruch aufgrund der Corona-Pandemie in der ersten Jahreshälfte 2020. Die Erholung bis zum ersten Halbjahr 2022 hat der Indikator wieder recht gut vorweggenommen. Für die kommenden Quartale stürzt er stark ab. Die Haushalte haben ihre Erwartungen bezüglich der eigenen finanziellen Lage deutlich stärker gesenkt als für die Gesamtwirtschaft, wohl, weil sie sich von Inflation und Energie- krise unmittelbar betroffen sehen. Der PRIMA- Indikator verheißt im Herbst 2022 für die deutsche Konjunktur im Jahr 2023 nichts Gutes. 

Im Rahmen eines formalen Modells wird gezeigt, dass der Indikator die in den Umfragen eingefangenen privaten Informationen unter bestimmten Annahmen sogar vollständig widerspiegelt und dass eine Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung, die auf Basis öffentlicher Information (etwa des ifo-Geschäftsklimas) vorgenommen wird, durch die zusätzliche Berücksichtigung des PRIMA-Indikators verbessert werden kann.6

Eine wichtige Annahme dabei ist, dass die Befragten mit ihrer finanziellen Lage ihr Haushaltseinkommen verbinden, denn die Summe aller Haushaltseinkommen ist mit dem Bruttoinlandsprodukt eng korreliert. Wenn allerdings auch Erwartungen über das eigene Vermögen die Antworten bestimmen, dürfte der PRIMA-Indikator an Prognosekraft verlieren. Das ist etwa dort der Fall, wo ein erheblicher Anteil der Haushalte Eigentümer von hypothekenbelasteten Häusern ist, etwa in den Niederlanden und den skandinavischen Ländern. Dort spielen Zinsen und Häuserpreise eine erhebliche Rolle für die Einschätzung der eigenen finanziellen Lage. Dies sind aber Größen, die viel weniger mit dem Bruttoinlandsprodukt korrelieren als die Haushaltseinkommen.

Endnoten

1 Dieser Beitrag basiert auf Heinisch, K.; Lindner, A.: Economic Sentiment: Disentangling Private Information from Public Knowledge. IWH Discussion Paper 15/2021.

2 Vgl. Hayek, F.: The Use of Knowledge in Society, in: American Economic Review, Vol. 35 (4), 1945, 519-530.

3 Eine Darstellung der Umfragen findet sich in European Commission: The Joint Harmonised EU Programme of Business and Consumer Surveys. Luxemburg 2006.

4 Positive Werte bedeuten, dass sich die angesprochene Größe verbessern wird, und negative, dass sie sich verschlechtern wird (Frage 1 und 2). Positive (negative) Antworten auf Frage 3 bedeuten, dass die Zahl der Arbeitslosen fallen (steigen) wird, positive (negative) Antworten auf Frage 4, dass der Haushalt wahrscheinlich (wahrscheinlich nicht) sparen wird.

5 Im Fragenkatalog der Europäischen Kommission handelt es sich um die Fragen Q2 und Q4.

6 Vgl. Heinisch, K.; Lindner, A., a. a. O., 3-6.

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