IWH-Flash-Indikator III. Quartal und IV. Quartal 2022
Im zweiten Quartal 2022 stagnierte die Wirtschaftsleistung in Deutschland, nachdem sie im ersten Quartal noch um 0,8% zugelegt hatte. Die Sorge um die hohe Inflation hat dabei die Zurückhaltung bedingt durch die Corona‐Krise als dämpfenden Faktor abgelöst. Die bisherigen und zusätzlich ab Oktober geplanten Preissteigerungen für private und gewerbliche Erdgasverbraucher belasten die deutsche Wirtschaft schwer. Auch die Lieferkettenprobleme konnten nach wie vor nicht abgebaut werden. Hinzu kommt, dass die Auftragseingänge kontinuierlich zurückgehen. Neben dem Krieg in der Ukraine haben sich zudem die Spannungen im Konflikt um Taiwan verstärkt, sodass sich insgesamt die Rahmenbedingungen sowohl in Deutschland als auch weltweit deutlich eingetrübt haben. Dies alles dürfte dazu führen, dass das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Halbjahr schrumpfen wird und Deutschland damit in eine Rezession rutscht. Insgesamt wird die Wirtschaftsleistung laut IWH‐Flash‐Indikator im dritten und vierten Quartal 2022 jeweils um 0,2% zurückgehen (vgl. Abbildung 1).
09. August 2022
Nachdem im ersten Quartal 2022 die deutsche Wirtschaft noch um 0,8% zulegen konnte, stagnierte sie im zweiten Quartal. Insbesondere der Außenhandel dämpfte die Wirtschaftsleistung. Private und staatliche Konsumausgaben konnten dies im zweiten Quartal noch kompensieren. Allerdings gab es beim Einzelhandel zuletzt deutliche Umsatzrückgänge aufgrund der stark gestiegenen Verbraucherpreise. So sind neben den Lebensmittelpreisen auch die Erdgaspreise infolge der verminderten Gaslieferungen aus Russland und teurer Ersatzbeschaffungen drastisch gestiegen. Ab dem vierten Quartal dürften weitere Preissteigerungen infolge einer geplanten Erdgasumlage sowohl auf die Industrie als auch die privaten Haushalte zukommen. Zuvor laufen die Steuerermäßigung für Diesel und Benzin sowie das 9‐Euro‐Ticket aus, was für sich genommen die Inflationsrate im Herbst noch erhöht. Auch die ab Oktober geplante Erhöhung des Mindestlohns dürfte die Verbraucherpreise weiter steigen lassen. „Selbst wenn der Staat über Zuschüsse die privaten Haushalte entlastet, dürften in den nächsten Monaten bei vielen finanzielle Engpässe entstehen. Dies könnte zu sozialen Verwerfungen führen. Vor allem die gestiegenen Lebensmittel‐ und Energiepreise dürften die Sorgen der privaten Haushalte verstärken,“ sagt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident des Leibniz‐Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).
So ist auch die Stimmung der privaten Konsumenten laut GfK‐Konsumklimaumfrage im Juli auf ein Allzeittief gerutscht. Insbesondere die Einkommenserwartungen verschlechterten sich dramatisch. Im Sog dessen sanken die Geschäftserwartungen im Einzel‐ und im Großhandel laut ifo‐Konjunkturumfrage im Juli 2022 nochmals außerordentlich kräftig. Im Verarbeitenden Gewerbe ist die Stimmung der Unternehmen ebenfalls deutlich pessimistischer, wenngleich hier die Kapazitätsauslastung nach wie vor sehr hoch ist. Jedoch sinken seit einigen Monaten die Auftragseingänge. Die sich verschlechternde Auftragslage führte auch beim S&P Global/BME‐ Einkaufsmanager‐Index (EMI) im Juli erstmals seit Beginn der Corona‐Krise wieder zu einer Unterschreitung des Schwellenwerts, der einen Rückgang der Konjunktur signalisiert. Diesen Pessimismus teilen auch die vom ZEW befragten Finanzmarktexperten. „Aktuell deuten alle wichtigen umfragegestützten Indikatoren darauf hin, dass die Zeichen auf Rezession stehen. Die Stimmung ist derzeit ausgesprochen schlecht“, meint Oliver Holtemöller. Auch der Early‐Bird‐Indikator der Commerzbank zeigt kaum noch Wachstumsaussichten.
Mittlerweile deutet sich ein weltweiter Abschwung an: Belastende Faktoren sind der russische Krieg in der Ukraine, die hohen Risiken für die Versorgung Europas mit Energie und ärmerer Weltregionen mit Lebensmitteln, die sehr hohen Inflationsraten in den USA, Europa und vielen anderen Ländern, die scharfe Wende in der Geldpolitik in den USA und in Europa sowie das permanente Lockdown‐Risiko in China. So ist die Produktion in den USA im ersten und zweiten Quartal dieses Jahres leicht zurückgegangen und der Einkaufsmanagerindex (Flash) ist sowohl für die USA als auch für den Euroraum im Juli auf den niedrigsten Wert seit über zwei Jahren gefallen. In China waren die Einkaufsmanagerindizes schon im Frühjahr infolge des Lockdowns in Shanghai abgestürzt, mit Eindämmung des dortigen Pandemieausbruchs haben sie sich aber wieder ein Stück weit erholt. Der Einbruch der chinesischen Produktion im zweiten Quartal (um 2,6% gegenüber dem Vorquartal) dürfte zumindest zum Teil im dritten Quartal wieder wettgemacht werden. Erholt haben sich etwa die chinesischen Exporte im Mai und im Juni. Ansonsten waren die Welthandelsströme bis in den Frühsommer stabil. Die Inflationsraten sind bis zum Juli sehr hoch geblieben (mit 9% für die Verbraucherpreise in den USA (letzter Wert Juni) und 8,9% im Euroraum). Die Weltmarktpreise für Energie, Industrie‐ und Agrarrohstoffe haben allerdings seit dem Frühsommer wieder ein Stück weit nachgegeben, IWH-Flash-Indikator 3/2022 Seite 3 wohl auch aufgrund pessimistischerer Konjunkturerwartungen. Eine Ausnahme macht der europäische Erdgaspreis, der aufgrund der stockenden russischen Lieferungen noch einmal gestiegen ist.
Der IWH‐Flash‐Indikator basiert auf einer Vielzahl an Einzelindikatoren, die realwirtschaftliche Indikatoren, Finanzmarktindikatoren, Umfragedaten, Preise und internationale Indikatoren umfassen. Abbildung 2 zeigt die Verteilung all dieser auf jeweils einem Indikator basierenden Prognosen für die Wachstumsrate des Bruttoinlands‐ produkts im dritten und vierten Quartal 2022. Alles in allem signalisiert der IWH‐ Flash‐Indikator einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts sowohl im dritten als auch im vierten Quartal 2022 um jeweils 0,2%. Damit wäre die deutsche Wirtschaft im zweiten Halbjahr 2022 in einer Rezession.
[Die Zeitreihe mit den historischen Daten des Flash-Indikators sowie eine Beschreibung der Methodik finden Sie im Download-Bereich.]