Steigen die Arbeitslosenzahlen weiter?

Die Bundesagentur für Arbeit hat für August erneut steigende Arbeitslosenzahlen gemeldet. Im August waren 2.872.000 Menschen in Deutschland arbeitslos, das sind 176.000 mehr als vor einem Jahr und 63.000 mehr als noch im Juli. Saisonbereinigt war die Arbeitslosigkeit zuletzt im Herbst 2020 während der Pandemie so hoch. Wir sprechen zu dieser Entwicklung mit Professor Dr. Oliver Holtemöller, Vize-Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und dort Leiter der Abteilung Makroökonomik.

Herr Professor Holtemöller, haben Sie die erneut gestiegenen Arbeitslosenzahlen für August überrascht?

Oliver Holtemöller: Nein. Wir haben bereits im Juni prognostiziert, dass die Arbeitslosenzahlen im Moment eher steigen als fallen werden. Der Grund liegt in der breiten Schwäche der deutschen Wirtschaft, die sich durch alle Sektoren zieht. Es fehlen aktuell wirtschaftliche Impulse und positive Aussichten. In einer solchen Situation steigen die Arbeitslosenzahlen eher.

Bedeutet das, dass Sie auch für die kommenden Monate von steigenden Arbeitslosenzahlen ausgehen?

Ich gehe davon aus, dass sich der Anstieg der Arbeitslosenzahlen zunächst fortsetzen wird. Frühindikatoren signalisieren für die Beschäftigungsdynamik noch keine Besserung. Hinzu kommt, dass die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen nach wie vor hoch ist und außerordentlich viele Beschäftigte betroffen sind. Tendenziell kommen dann im Herbst und Winter wieder saisonale Effekte hinzu – in diesen Monaten steigen die Arbeitslosenzahlen regelmäßig. Hauptfrage ist, ob und wann die Konjunktur wieder anzieht. Der Arbeitsmarkt reagiert nur verzögert auf konjunkturelle Schwankungen, und das aktuell fehlende Wachstum wird sich wohl noch stärker in den Beschäftigtenzahlen zeigen. Zum Jahresende könnte es angesichts aktuell steigender Reallöhne zu einer Belebung der Konjunktur kommen, aber die wirtschaftspolitische Unsicherheit ist weiterhin hoch, was Investitionsentscheidungen erschwert.

In welchen Bereichen könnte denn die Wirtschaft in Deutschland derzeit am ehesten wachsen?

Im Ganzen betrachtet befindet sich die deutsche Wirtschaft seit einiger Zeit im Abschwung. Nur bei den öffentlichen Dienstleistern kam es zuletzt noch zu einem substanziellen Stellenzuwachs. 

Stellt die Politik im Moment die richtigen Weichen für mehr Beschäftigung?

Derzeit haben wir eine große wirtschaftspolitische Unsicherheit. Hinzu kommen politische Unwägbarkeiten angesichts der jüngsten Landtagswahlergebnisse. In dieser Konstellation sind insgesamt nur wenige Impulse seitens der Politik für mehr Beschäftigung zu erwarten. Die im Juli auf den Weg gebrachte Wachstumsinitiative der Bundesregierung sollte in Richtung Entlastung der Wirtschaft gehen, hat aber die wichtigsten Engpassfaktoren aus meiner Sicht nicht ausreichend adressiert. Wir brauchen im Moment eine klarere Verbesserung des regulatorischen Umfelds durch eine rationalere und besser vorausberechenbare Politik. Zusätzlich sind öffentliche Investitionen in Infrastruktur und Humankapital, insbesondere Bildung, besonders wichtig für die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Angesichts des Wahlkalenders befürchte ich, dass neue substanzielle Impulse von der Wirtschaftspolitik frühestens in einigen Monaten kommen.

Die Fragen stellte Wolfgang Sender. 

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Zur PersonProf. Dr. Oliver Holtemöller

Prof. Dr. Oliver Holtemöller

Prof. Dr. Oliver Holtemöller ist Vize-Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und dort Leiter der Abteilung Makroökonomik.


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