Konjunktur aktuell: Energiekrise in Deutschland
Im Spätsommer 2022 ist die Weltwirtschaft im Abschwung. Anhaltend hohe Inflationsraten haben die US-Notenbank und viele weitere Zentralbanken veranlasst, mit einer Straffung ihrer Geldpolitik zu beginnen. Ein Auslöser der Teuerung war, dass die Wirtschaftspolitik auf Beschränkungen des Güterangebots aufgrund der Pandemie weltweit mit massiven Konjunkturpaketen zur Stimulierung der Nachfrage reagiert hatte. Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs ist Energie knapper und teurer geworden. Europa, wo die versiegenden Gaslieferungen aus Russland nur zu einem kleinen Teil ersetzt werden können, hat mit einer Energiekrise zu kämpfen. Im Euroraum dürfte der drastische Anstieg der Importpreise im kommenden Winter insbesondere über den Verlust von Realeinkommen der privaten Haushalte eine Rezession auslösen. Mit China ist auch das neben den USA und Europa dritte weltwirtschaftliche Zentrum im Abschwung. Denn zum einen zwingt die strikte Null-COVID-Strategie des Landes immer wieder dazu, wirtschaftliche Aktivitäten durch Lockdowns zu unterbinden, zum anderen schwelt in China eine Immobilienkrise, die Bausektor und Finanzsystem des Landes belastet.
Die deutsche Wirtschaft steht vor einer Rezession. Grund ist der enorme Anstieg der Preise für fossile Energieträger. Der Großhandelspreis für Erdgas ist in Europa zurzeit etwa fünfmal so hoch wie vor einem Jahr. Es ist zu erwarten, dass sich die Preise, die deutsche Importeure und private Haushalte zahlen, mit der Erneuerung alter Lieferverträge in den kommenden Monaten den Großhandelspreisen annähern. Während die Kosten für den Nettoimport von Erdgas nach Deutschland relativ zum Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr etwa ¾% betrugen, dürften auf die deutsche Volkswirtschaft in diesem und im nächsten Jahr mit dem Erdgas-Preisanstieg Kosten zukommen, welche die der beiden Ölkrisen in den 1970er Jahren von etwa 2% relativ zum Bruttoinlandsprodukt eher noch übertreffen.
„Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes verlieren damit an internationaler Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident des IWH. Das Gros der Belastung wird aber als Heiz- und Stromkostenerhöhung bei den privaten Haushalten anfallen, auch wenn die Politik versucht, besonders schwer getroffene Bevölkerungsgruppen finanziell zu unterstützen. „Die privaten Haushalte werden gezwungen sein, ihre sonstigen Konsumausgaben zu verringern, was einen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion zur Folge haben wird“, so Holtemöller.
Während sich der Aufbau der Erwerbstätigenzahl deutlich verlangsamt fortsetzt, geht die Arbeitszeit je Beschäftigten im kommenden Winterhalbjahr zurück, und es gibt wieder mehr Kurzarbeit. Die hohen Energie- und Rohstoffpreise lassen den deutschen Leistungsbilanzsaldo deutlich von 7,4% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2021 auf 1,1% im Jahr 2023 sinken. Das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit dürfte sich von 3,7% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2021 über 2,1% in diesem Jahr auf 1,1% im Jahr 2023 verringern, weil sich Steuer- und Beitragseinnahmen mit dem kräftigen Zuwachs des nominalen Bruttoinlandsprodukts erneut spürbar erhöhen und Pandemiehilfen und ein Teil der Maßnahmen aus den Entlastungspaketen bereits wieder entfallen.
Die Langfassung der Prognose enthält zwei Kästen:
Kasten 1: Rahmenbedingungen für die Prognose
Kasten 2: Zur Schätzung des Produktionspotenzials
Langfassung: Drygalla, Andrej; Exß, Franziska; Heinisch, Katja; Holtemöller, Oliver; Kämpfe, Martina; Kozyrev, Boris; Lindner, Axel; Müller, Isabella; Sardone, Alessandro; Scherer, Jan-Christopher; Schult, Christoph; Schultz, Birgit; Staffa, Ruben; Zeddies, Götz: Konjunktur aktuell: Energiekrise in Deutschland. IWH, Konjunktur aktuell, Jg. 10 (3), 2022. Halle (Saale) 2022.
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Zugehörige Publikationen
Konjunktur aktuell: Energiekrise in Deutschland
in: Konjunktur aktuell, 3, 2022
Abstract
Im Spätsommer 2022 ist die Weltwirtschaft im Abschwung. Die US-Notenbank und weitere Zentralbanken haben aufgrund der hohen Inflation mit der Straffung ihrer Geldpolitik begonnen, die chinesische Konjunktur schwächelt, und Europa kämpft mit einer Energiekrise. Die deutsche Wirtschaft steht aufgrund der stark steigenden Energiekosten vor einer Rezession. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt wird im Jahr 2022 um 1,1% zunehmen und im Jahr 2023 um 1,4% sinken. Die Verbraucherpreise steigen im Jahr 2022 um 7,9% und im Jahr 2023 um 9,5%.