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IWH-Transfertagung „Europas Finanzmarkt: Zwangsehe oder lose Bekanntschaft?“

Ein Jahrzehnt nach der weltweiten Finanzkrise steht das Finanzsystem noch immer vor enormen Herausforderungen. Wie diese in Europa gemeistert werden können, war Thema einer hochkarätig besetzten Tagung, die am 26. Februar 2020 am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) stattfand.

02. Juni 2020

Autoren Sithara Thies

Zur Eröffnung der Konferenz1 sprach Claudia M. Buch, Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank, zum Thema „Transformation und Finanzmärkte: Die Rolle evidenz­basierter Politik“. Am Beispiel Ostdeutschlands analysierte sie, ob evidenzbasierte Politik in Transformationsprozessen Anwendung finden kann, da Erstere sich an der Vergangenheit orientiert, Transformationsprozesse aber auf die Zukunft gerichtet sind. Durch die (steuer­liche) Förderung des Bausektors in Ostdeutschland nach der Wende entstanden signifikante realwirtschaftliche Effekte und letztendlich auch eine Immobilienblase. Evaluierungen sind somit sehr wichtig, um Wirkungsprozesse zu verstehen und – neben dem Einfluss vieler anderer Faktoren – auch die Effekte der Förderung auswerten zu können. Dies wiederum ermöglicht zielgerichtetes politisches Handeln.

Moritz Schularick, Professor an der Universität Bonn, begann seinen Vortrag mit einem Zitat von Mark Twain: „What gets us into trouble is not what we don’t know. It’s what we know for sure that just ain’t so.“ Sein Vortrag „Kreditzyklen und Finanzstabilität“ erörterte, was wir bisher über Finanzkrisen wissen, was wir glauben zu wissen, aber nicht stimmt, und was wichtig ist, wir jedoch noch nicht verstehen. Der Fokus lag dabei auf Anreizsystemen, die vermeintlich zu der letzten Finanzkrise geführt haben, und auf verhaltensökonomischen Einsichten, insbesondere im Hinblick auf fehlerhafte Erwartungen.

Der Präsident der European School of Management and Technology (ESMT Berlin), Jörg Rocholl, beschäftigte sich im dritten Vortrag des Vormittags mit der „Integration der Finanzmärkte in der Europäischen Union“. Er stellte zwei Narrative zu diesem Thema vor: ein pessimistisches und ein optimistisches. Ersteres machte er an unterschiedlichsten Beispielen fest, etwa der Tatsache, dass Apples Marktkapitalisierung die aller Dax-30-Unternehmen zusammen übersteigt, oder daran, dass ein einziger Jahresgewinn der Bank of America ausreichen würde, um die Deutsche Bank aufzukaufen. Auf der anderen Seite wurde Deutschland von Bloomberg zum innovationsstärksten Land gekürt. Wie das zusammenpasst und was getan werden muss, damit Europa nicht abgehängt wird, erläuterte der verbleibende Teil des Vortrags.

Michael Koetter, Leiter der Abteilung Finanzmärkte am IWH und Professor an der Otto-von-Guericke- Universität Magdeburg, präsentierte zum Thema „Ertragsschwäche und (zu träge) Konsolidierung im Bankwesen“ und stellte die Frage, ob politische Friktionen eine notwendige Konsolidierung blockieren. Der Hintergrund, warum deutsche Banken im Gegensatz zu amerikanischen für Investoren unattraktiv sind, zeigt sich im niedrigen return on equity, da zu viele Banken im System sind. Kausaleffekte konnten mit Hilfe eines Quasi-Experiments herausgefiltert werden und zeigten, dass mit weniger Barrieren konsolidierte Banken profitabler sind.

Im Anschluss stellte Lena Tonzer, Leiterin der IWH- Forschungsgruppe „Regulierung internationaler Finanzmärkte und Banken“ und Juniorprofessorin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, das Thema „Der Abwicklungsmechanismus der Europäischen Bankenunion: Wer trägt die Kosten?“ vor. Der einheitliche Abwicklungsmechanismus soll verhindern, dass Banken im Krisenfall zu Lasten des Steuerzahlers gerettet werden. Allerdings kann es auch sein, dass die regulatorischen Kosten von den Banken an ihre Kunden weitergegeben werden und sich somit wiederum auf die Realwirtschaft auswirken. Die Analyse zeigt, dass sich die Finanzierungskosten der Banken verändern. Die Richtung dieser Veränderung ist jedoch standortabhängig, da nur Banken in den Kernländern der EU eine höhere Risikoprämie zeigen.

Den Abschluss der Konferenz bildete eine Podiumsdiskussion am Nachmittag zum Thema „Europäische Finanzmarktunion: Zu viel des Guten, nicht gut genug oder genug Gutes?“. Es diskutierten Sabine Lautenschläger, ehemalige Exekutivdirektorin der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Vizepräsidentin der Bundesbank und Direktorin der Europäischen Zentralbank, Sven Giegold, Grünen-Abgeordneter im Europaparlament, Axel Kunde, Leiter der Abteilung „Resolution Planning and Execution“ des Single Resolution Board (SRB) in Brüssel und Reint E. Gropp, Präsident des IWH und Professor an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Die Podiumsgäste waren sich einig, dass die Finanzmarktunion noch nicht gut genug sei, auch wenn schon viel Gutes erreicht wurde. Es wurden unter anderem die Themen der Effektivität des Abwicklungsregimes und der Ziele der Bankenunion versus der Kapitalmarktunion angesprochen. Einige Unstimmigkeiten bestanden in der Frage, wer in der Verantwortung steht, die weitere Integration voranzutreiben: Sollten die einzelnen Nationalstaaten mehr tun bei der Umsetzung nationaler Gesetze oder sollte die EU zuerst einheitliche Gesetze verabschieden? Außerdem wurden verschiedene Krisenphänomene wie der Brexit und der Klimawandel benannt, denen auch in der Zukunft nur durch ein Mehr an Finanzmarktintegration zu begegnen sei.

1 Das Programm der Konferenz und der Eröffnungsvortrag von Claudia M. Buch stehen auf der Konferenz-Website zum Download zur Verfügung.

 

 

Außerdem in diesem Heft

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Kommentar: Das Corona-Dilemma

Reint E. Gropp

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2020

Abstract

Die Politik steht zurzeit vor einem scheinbar unlösbaren Dilemma. Einerseits sollen die Infektionszahlen niedrig gehalten werden: um die medizinische Infrastruktur nicht zu überfordern, und weil in Abwesenheit einer wirkungsvollen Behandlung Menschenleben gerettet werden sollen. Andererseits wäre aber die Ansteckung großer Teile der Bevölkerung (jünger als 60 Jahre und ohne Vorerkrankungen) vielleicht sogar erstrebenswert, weil die Symptome bei dieser Gruppe ohnehin kaum bis gar nicht wahrnehmbar sind und durch sie eine Herdenimmunität entstehen würde, die systematisch Infektionsketten unterbrechen könnte.

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Aktuelle Trends: Entwicklung der Firmengründungen in Deutschland

André Diegmann

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2020

Abstract

Das Produktivitätswachstum in entwickelten Volkswirtschaften hat sich in den letzten Jahren deutlich verlangsamt. Ein Indikator für die wirtschaftliche Dynamik in einer Volkswirtschaft ist die Firmengründungsaktivität. Wenn neue Ideen entstehen, kann dies in eine zunehmende Gründungsaktivität münden und so positiv auf die Produktivitätsentwicklung wirken.

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Zu den betrieblichen Effekten der Investitionsförderung im Rahmen der deutschen Regionalpolitik

Matthias Brachert Eva Dettmann Mirko Titze

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2020

Abstract

Die Wirtschaft in den Industrieländern unterliegt einem ständigen Anpassungsdruck. Wichtige aktuelle Treiber des Strukturwandels sind vor allem die Globalisierung, der technologische Fortschritt (insbesondere durch Digitalisierung und Automatisierung), die Demographie (durch Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung) und der Klimawandel. Von diesem Anpassungsdruck sind jedoch die Regionen in Deutschland sehr unterschiedlich betroffen. Regionalpolitik verfolgt das Ziel, Regionen bei der Bewältigung des Strukturwandels zu unterstützen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Regionen, die ohnehin durch Strukturschwächen gekennzeichnet sind. Die aktuelle Regionalförderung in Deutschland basiert im Wesentlichen auf der Förderung von Investitionen von Betrieben und Kommunen. Die Evaluierung dieser Programme muss integraler Bestandteil der Regionalpolitik sein – schließlich stellt sich immer die Frage nach einer alternativen Verwendung knapper öffentlicher Mittel. Eine Pilotstudie für Sachsen-Anhalt zeigt, dass die im Rahmen der Regionalpolitik gewährten Investitionszuschüsse einen positiven Effekt auf Beschäftigung und Investitionen der geförderten Betriebe haben; bei den Investitionen allerdings nur für die Dauer des Projekts. Effekte der Förderung auf Umsatz und Produktivität von Betrieben in Sachsen-Anhalt waren nicht nachweisbar. 

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