Miese Luft bei bester Oper
Gleichwertige Lebensverhältnisse? Wird es in Deutschland niemals geben. Die Städte und Gemeinden sollten etwas Besseres anstreben als Gleichmacherei.
13. Dezember 2018
Man hört sie immer wieder, die Forderung nach „gleichwertigen Lebensverhältnissen“ im ganzen Land. Solche sieht das Raumordnungsgesetz vor, und mit einer neuen Kommission will die aktuelle Bundesregierung diesem Ziel näherkommen – erreichen wird sie es ebenso wenig wie alle künftigen Regierungen. Denn so gut gemeint die Idee klingen mag, so aktuell und versöhnlich sie wirkt in einer Zeit, da der Gesellschaft eine Spaltung droht: Gleichwertige Lebensverhältnisse wird es in Deutschland nie geben. Und das ist gut so. Nur sollte man aus den vorhandenen Unterschieden die richtigen Schlüsse ziehen.
Wie stellt sich das Problem aus ökonomischer Sicht dar? Schon 1956 präsentierte der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Charles Tiebout sein Modell für den fiskalischen Wettbewerb unter Gemeinden. Es beschreibt so einfach wie plausibel, dass alle Gemeinden ein Paket von Leistungen anbieten. Dazu gehören etwa Straßen und Schulen, Polizei und Krankenhäuser, Theater und Schwimmbäder. Es ist klar, dass es nicht überall dieselben Leistungen geben kann. Die Menschen stimmen mit den Füßen ab, wenn sie in die Gemeinde ziehen, wo ihnen das Paket an Leistungen am meisten zusagt. Der Wettbewerb um Einwohner führt dazu, dass Steuergelder lokal optimal eingesetzt werden. Weder bieten Gemeinden zu viele Leistungen an, die die Bürger gar nicht wollen, noch wird dort zu wenig investiert, wo wirklich Bedarf besteht.
Was bedeutet es im Lichte dieser Theorie, wenn sich Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse auf die Fahne schreibt? Die meisten verstehen es so, dass die Infrastruktur überall auf dem Land ungefähr so sein sollte wie in der Stadt. Wenn sich eine Kommune diese Infrastruktur nicht aus eigenen Mitteln leisten kann, muss eben subventioniert werden. Diese Gleichmacherei ist falsch.
Im Geiste Tiebouts sollte man stattdessen die Lebensverhältnisse an einem Ort als Bündel verschiedener Faktoren verstehen. Zum Beispiel beinhaltet das Bündel „München“ hohe Löhne, ein exzellentes Kulturangebot, hervorragende Restaurants und viele Einkaufsmöglichkeiten. Allerdings beinhaltet das Bündel auch extrem hohe Mieten, tägliche Verkehrsstaus, Lärm und Luftverschmutzung. Im Gegensatz zu München sieht das Bündel „Harz“ ganz anders aus: niedrige Löhne, ein kleineres Kulturangebot, wenig Restaurants und Geschäfte, aber eben auch niedrige Mieten, keine Staus, gute Luft und eine schöne Landschaft.
Wenn jetzt die Politik den Breitbandausbau auf dem Land oder andere Subventionen an die Kommunen mit „gleichwertigen Lebensverhältnissen“ begründet, wird damit der Versuch unternommen, Unterschiede krampfhaft auszugleichen. So ein Ansatz muss scheitern. Sieht man sich dazu noch die Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung an, dann wird schnell klar, dass für manche Kommunen ein ultraschnelles Internet je Einwohner unverhältnismäßig teuer würde. Das Subventionsgeld fürs Land fehlt an anderer Stelle, zum Beispiel für Investitionen in städtische Infrastruktur oder in Spitzenforschung.
Welche vernünftigen Ziele sollten Städte und Gemeinden erfolgen? Charles Tiebout würde sagen, ganz bestimmt nicht alle die gleichen und sicher auch nicht solche, die Landesregierungen oder gar der Bund vorgeben. Es braucht keine zentral gesteuerte Gesamtstrategie für ländliche Räume, wie sie derzeit in Berlin diskutiert wird. Stattdessen sollte der Bund die Gemeinden im Rahmen eines Wettbewerbs fragen: Wo wollt ihr in zehn Jahren stehen? Die Zukunftskonzepte, die dabei am meisten überzeugen, werden langfristig gefördert.
Jede Gemeinde sollte sich auf ihre Vorzüge besinnen. Sie sollte ihre Stärken strategisch stärken und bekanntmachen. Solche Stärken gibt es überall, selbst in Regionen, die beim Pro-Kopf-Einkommen weit hinten liegen. Und gerade dort ist eine gemeindespezifische Strategie von entscheidender Bedeutung. Das Ziel muss es sein, attraktiv für bestimmte Zielgruppen zu werden. Kommunen sollten so unterschiedlich sein wollen, wie die Menschen es sind. Die Gießkanne der Gleichmacherei kann man dann getrost beiseitestellen.
Die längere Originalfassung dieses Textes erschien am 26.11.2018 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.