Staatliche Nachfrage als Treiber privater Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten
Der Staat fragt Produkte und Dienstleistungen mit ganz unterschiedlichem technologischen Niveau nach – von Büroklammern bis zu Forschungssatelliten. Dieser Beitrag zeigt zunächst in einem theoretischen Modell, dass der Staat durch die technologische Intensität seiner Nachfrage den Markt für technologieintensive Produkte und Dienstleistungen erweitern kann. Denn eine stärkere staatliche Nachfrage nach innovativen Produkten und Dienstleistungen erlaubt es privaten Unternehmen, die überwiegend fixen Kosten für Forschung und Entwicklung auf größere Absatzmengen umzulegen, lässt die privaten Erträge aus Forschung und Entwicklung ansteigen und generiert somit zusätzliche Anreize, in die Entwicklung neuer Technologien zu investieren. Anhand von Daten aus den USA wird auch empirisch belegt, dass eine – budgetneutrale – Erhöhung der technologischen Intensität der staatlichen Nachfrage die privaten FuE-Ausgaben erhöht. Damit rückt die staatliche Nachfrage erneut in die Diskussion über mögliche Instrumente einer effektiven Wirtschafts- und Innovationspolitik.
18. Juli 2016
Die Bundesregierung hat sich ehrgeizige technologische Ziele gesetzt. Beispielsweise sollen im Jahr 2020 mindestens eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen rollen, bis 2030 sogar sechs Millionen. Doch das Vorhaben gilt als gefährdet: Die deutschen Automobilhersteller zählen nicht zu den führenden im Bereich alternativer Antriebe – vergleichsweise unausgereift sind die Technologien, entsprechend hoch die Preise. Darüber hinaus wird eine weitestgehend fehlende staatliche Unterstützung bei der Markteinführung bemängelt. Die Bundesregierung hat darauf reagiert und im Mai 2016 ein Maßnahmenpaket im Umfang von etwa einer Milliarde Euro beschlossen, das neben einer Kaufprämie für Elektroautos auch die Erhöhung des Anteils von Elektroautos im Fuhrpark des Bundes auf 20% vorsieht. In diesem Beitrag wird untersucht, inwiefern der Staat durch seine Nachfrage private Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten (FuE) stimulieren kann.
Staatliche Beschaffung als innovationspolitisches Instrument
Technologischer Fortschritt durch FuE ist der wichtigste Wachstumsmotor moderner Ökonomien. Allerdings sind die privatwirtschaftlichen Erträge aus FuE-Aktivitäten und somit die privaten Investitionen in FuE aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zu gering. Entsprechend sucht die Politik nach Maßnahmen, private FuE-Aktivitäten zu fördern. Beispielsweise hatten die EU-Mitgliedsländer im Rahmen der Lissabon-Strategie bereits im Jahr 2000 beschlossen, die EU zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Dazu sollten die Investitionen in FuE auf 3% des Bruttoinlandsprodukts angehoben werden. Zwei Drittel der Gesamtinvestitionen in FuE sollten durch die Privatwirtschaft getätigt werden. Dabei sind Subventionen und Steuererleichterungen für private FuE-Aktivitäten wichtige Instrumente der staatlichen Unterstützung. Allerdings zeigt die empirische Evidenz zu den Effekten von FuE-Subventionen und -Steuererleichterungen keine eindeutigen Ergebnisse. Auch der Schlussbericht der Europäischen Kommission stellte fest, dass die Kernziele immer noch nicht erreicht sind.
Aktuell wird in wissenschaftspolitischen Kreisen diskutiert, inwiefern die staatliche Nachfrage als Instrument der FuE- bzw. Innovationsförderung eingesetzt werden kann. Denn Schätzungen zufolge beträgt der Anteil der staatlichen Beschaffung ca. 12% am Bruttoinlandsprodukt im Durchschnitt der OECD-Länder. In den USA wurden Arbeitskreise gegründet, um die Möglichkeiten auszuloten, private FuE mittels staatlicher Nachfrage zu stimulieren. Auch in Europa wird erörtert, wie die staatliche Nachfrage in die Innovationspolitik integriert werden könnte. Australien, Brasilien, China und Südkorea haben ebenfalls Initiativen gestartet, um private FuE durch öffentliche Beschaffung anzuregen. Dabei wird auf die historische Rolle des Staates bei der Entwicklung und Verbreitung von innovativen und FuE-intensiven Technologien und Produkten hingewiesen. Beispielsweise wurden einige heute selbstverständliche Produkte und Technologien wie Halbleiter, große Passagierflugzeuge, das Internet, GPS etc. maßgeblich durch die Nachfrage des Staates in den USA beeinflusst. Auch Beispiele aus Europa wie digitale Telefonie oder Schnellzüge in Schweden und Finnland bezeugen das Potenzial des Staates.
Staatliche Nachfrage und private FuE-Wirkungsmechanismen
Die Rolle der staatlichen Nachfrage für private FuE-Aktivitäten wird zunächst in einem formal-theoretischen Modell analysiert. Das Model basiert auf dem Argument, dass der Staat durch seine Nachfrage den Markt vergrößern und damit zusätzliche FuE-Anreize bei den privatwirtschaftlichen Akteuren induzieren könnte. Ein größerer Markt bedeutet aus der Sicht der Unternehmen eine höhere Ausbringungsmenge, auf die die (Fix-)Kosten der FuE umgelegt werden können. Gleichzeitig erlangt der erfolgreiche Innovator typischerweise eine (temporäre) Monopolstellung, die es ihm erlaubt, Gewinne zu erwirtschaften und FuE-Investitionen zu finanzieren.
Zudem sind die FuE- bzw. Technologieintensität und somit das Wachstumspotenzial in einigen Industrien höher als in anderen, sodass die Effekte einer Marktvergrößerung durch eine Ausdehnung der staatlichen Nachfrage gerade für FuE betreibende Unternehmen besonders stark ausfallen. Entsprechend kann nicht nur das Volumen der staatlichen Nachfrage, d. h., wie viel der Staat insgesamt ausgibt, sondern auch die Art und Zusammensetzung der von ihm nachgefragten Produkte eine Rolle spielen. Insbesondere eine höhere Nachfrage nach innovativen oder technologieintensiven Produkten bzw. in solchen Branchen kann das Volumen an FuE-Investitionen in der Gesamtwirtschaft steigern.
Gesamtwirtschaftlich kann eine steigende staatliche Nachfrage private FuE-Aktivitäten stimulieren, die anderenfalls unterblieben wären. Insbesondere im Falle neuer oder innovativer und technologieintensiver Produkte, bei denen die private Nachfrage nur schwer einschätzbar ist oder zögerlich eintritt, kann der Staat eine wichtige Rolle als Pionierkunde spielen. Der Staat kann durch seine Nachfrage in den frühen Phasen des Lebenszyklus eines Produkts oder einer Technologie so genannte Lerneffekte stimulieren, die den Marktreifeprozess und die Marktdurchdringung beschleunigen. Der Wirkungsmechanismus hier ist wesentlich anders als bei traditionell eingesetzten FuE-Förderinstrumenten, wie FuE-Subventionen oder -Steuererleichterungen, die vor allem die FuE-Kosten senken.
Empirische Evidenz
Die für die Wirtschaftspolitik essenzielle Quantifizierung des Effekts der staatlichen Nachfrage auf private FuE-Investitionen erfolgt am Beispiel von US-amerikanischen Daten für den Zeitraum von 1999 bis 2009, die in hoher Qualität vorliegen und vor allem detaillierte Informationen über die öffentliche Beschaffung enthalten. Konkret wird untersucht, inwiefern die Erhöhung des Anteils der Ausgaben der föderalen Bundesregierung für Produkte in Hightech-Branchen in den einzelnen Bundesstaaten bei gegebenem Gesamtbudget zusätzliche private FuE-Ausgaben in den jeweiligen Staaten stimuliert. Methodisch wird ein multivariater Regressionsansatz angewendet, bei dem weitere mögliche Einflussfaktoren privater FuE berücksichtigt werden, wie z. B. Subventionen, Steuererleichterung, Gesellschafts- und Körperschaftssteuer, FuE-Aufträge des Staates, diverse öffentliche Transfers, Effekte von Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen sowie weitere unbeobachtete, staatsspezifische, zeitinvariate Effekte. Zudem wird ein Instrumentenvariablen-Ansatz verwendet, der weitere zeitvariable und unbeobachtete Einflüsse ausschließt und somit kausale (Ursache-Effekt-)Aussagen ermöglicht. Im Einklang mit den theoretischen Überlegungen zeigt die Abbildung, dass die privaten FuE-Investitionen höher sind in Bundesstaaten mit hoher Nachfrage der föderalen Bundesregierung in Hightech-Branchen. Dieser erste visuelle Eindruck wird von den Ergebnissen der rigorosen ökonometrischen Analyse bestätigt. Eine Erhöhung der öffentlichen Ausgaben in Hightech-Branchen führt zu zusätzlichen privaten FuE-Ausgaben in der Gesamtwirtschaft. Dieses Ergebnis gilt für jedes Niveau der staatlichen Ausgaben in Nicht-Hightech-Branchen sowie für ein gegebenes Gesamtbudget des Staats, was auf die Möglichkeit hindeutet, private FuE budgetneutral, also ohne Steuererhöhung, zu fördern. Zudem erlauben die Ergebnisse des Instrumentenvariablen-Ansatzes eine kausale (Ursache-Wirkung-)Interpretation der Effekte.
Implikationen
Die Ergebnisse der Untersuchung legen nahe, dass eine Innovationspolitik die Effekte der staatlichen Beschaffung nicht per se ignorieren darf, denn die Art der vom Staat beschafften Güter, Dienstleistungen und Technologien kann die Höhe der privaten FuE-Investitionen beeinflussen.
Die staatliche Einkaufspolitik steht dieser Erkenntnis jedoch eher entgegen. Grundsätzlich verzichten staatliche Einkäufer häufig auf innovationspolitisch motivierte Ausschreibungskriterien und ziehen stattdessen den niedrigsten Preis als Vergabekriterium heran. Untersuchungen zum deutschen Beschaffungssystem deuten darauf hin, dass staatliche Einkäufer im Vergleich zum Endkonsumenten eher konservative Produkte und Dienstleistungen bevorzugen. Dabei gilt eine einseitige Fokussierung auf den Einkaufspreis selbst unter rein ökonomischen Aspekten als nicht unumstritten, da der Nutzwert und die gesamten Lebenszykluskosten einer zu beschaffenden Leistung nicht immer oder nicht vollständig in die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung einbezogen werden. Gerade zur Senkung der Lebenszeitkosten, dies zeigt unter anderem eine Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, können innovative Leistungen einen entscheidenden Anstoß liefern.
Allerdings setzt eine Transformation der regelgebundenen und stark preisorientierten staatlichen Einkäufer in „Entrepreneurs“ und die endgültige Aufnahme der öffentlichen Beschaffung in das innovationspolitische Instrumentarium eine Diskussion weiterer wichtiger Aspekte voraus, wie z. B. technologische Lock-ins (falls die staatliche Beschaffung bestimmte Technologien favorisiert), Nichtdiskriminierung bestimmter privater Akteure (d. h. Branchen und Firmen), Anpassungs- und ggf. Lähmungseffekte auf Seiten der begünstigten Unternehmen sowie eine Kosten-Nutzen-Analyse im Vergleich mit anderen FuE-Förderinstrumenten. Allen voraus jedoch darf die Sicherstellung der Primärfunktionen des Staates (Bereitstellung bestimmter öffentlicher Güter und Funktionen in entsprechender Qualität) nicht kompromittiert werden.