Warum gibt es Widerstand gegen Betriebsräte?
Die jüngere ökonomische Forschung stellt der betrieblichen Mitbestimmung z. B. im Hinblick auf ihre Effekte auf Produktivität, Löhne und Gewinne insgesamt ein positives Zeugnis aus. Dies macht den Widerstand von Arbeitgebern gegen Betriebsräte erklärungsbedürftig. Da Mitbestimmung die unternehmerische Freiheit einschränkt, wird vielfach vermutet, dass Arbeitgeber bereit sein könnten, positive Effekte der Mitbestimmung im Gegenzug für größere Handlungsspielräume zu opfern. Unser Beitrag zeigt auf Basis einer Literaturauswertung, dass, jenseits der durchschnittlich positiven Beurteilung durch die Forschung, Mitbestimmung in vielen Betrieben keine positiven ökonomischen Folgen hat. Da das Gewicht solcher Betriebe in den Arbeitgeberverbänden stark ist, kann die ablehnende Haltung der Arbeitgeberverbände auch aus profitmaximierendem Kalkül seiner Mitglieder erklärt werden.
18. Mai 2018
Vielfältiger Widerstand gegen Betriebsräte
Die betriebliche Mitbestimmung in Deutschland ist im Betriebsverfassungsgesetz geregelt. Das Gesetz räumt Belegschaften von Betrieben mit mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Beschäftigten das Recht ein, einen Betriebsrat zu wählen. Der Betriebsrat hat zahlreiche Informations-, Konsultations- und Mitbestimmungsrechte, die mit der Betriebsgröße ansteigen. Allerdings: Weniger als 10% aller betriebsratsfähigen Betriebe in Deutschland haben einen Betriebsrat. Zwar stehen hinter diesen Betrieben immerhin mehr als 40% der Beschäftigten, auf der betrieblichen Ebene weist dieser Befund gleichwohl auf einen großen Bereich hin, in dem die betriebliche Mitbestimmung zwar möglich wäre, aber nicht umgesetzt wird. Es wäre jedoch ein Fehler anzunehmen, dass in all diesen Betrieben kein angemessener Ausgleich von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen stattfindet. Gerade bei kleineren Betrieben wird immer wieder darauf verwiesen, dass der direkte, individuelle Austausch zwischen Beschäftigten und der Geschäftsführung keine Notwendigkeit für die Errichtung eines Betriebsrats entstehen lassen muss und die „betriebsratsfreie Zone“ keineswegs eine völlig partizipationsfreie Zone darstellt. Unter den Betrieben, die keinen Betriebsrat haben, lassen sich aber auch Betriebe finden, in denen die Errichtung eines Betriebsrats am aktiven Widerstand der Geschäftsführung scheitert. Schlecker, Lidl und Aldi sind in dieser Hinsicht wohl nur besonders bekannte Fälle. Wie häufig allerdings solch ein Widerstand der Geschäftsführung gegen neue wie auch gegen bereits bestehende Betriebsräte vorkommt und welche Intensität der Widerstand aufweist, ist trotz vereinzelter empirischer Analysen unbekannt.
Dass Arbeitgeber eher häufig Bedenken gegen die betriebliche Mitbestimmung haben, kann jedoch aus dem Handeln und den Positionen der organisierten Vertretung von Unternehmensinteressen geschlossen werden. So plädiert die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) trotz eines grundsätzlichen Bekenntnisses zur Mitbestimmung für umfängliche Modifikationen. Hierunter fällt z. B. die Forderung, bei der Bestimmung der Mitarbeitendenzahl, ab welcher ein Betriebsrat errichtet werden kann, nicht mehr auf Köpfe, sondern auf Vollzeitäquivalente abzustellen, was einer Anhebung des derzeitigen Schwellenwerts von fünf Mitarbeitenden entspricht. Bei der Wahl des Betriebsrats wird zudem ein Mindestquorum in Höhe von einem Drittel der wahlberechtigten Beschäftigten verlangt, was ebenfalls – unabhängig von der Bewertung dieser Maßnahme – zu einer erschwerten Einrichtung des Gremiums beitragen dürfte. Weiter wird auch auf Basis der mit der Mitbestimmung verbundenen Kosten argumentiert und gefordert, dass das Gremium selbst personell verkleinert werden muss und dass die Zahl der freigestellten Betriebsratsangehörigen zu reduzieren sei.
Begründungsansätze: Angst vor Machtverlust oder doch rein ökonomisches Kalkül?
Wie lässt sich diese negative Haltung begründen? Die klassische nichtökonomische Erklärung zielt darauf ab, dass Manager und Eigentümer Widerstand gegen die Formierung von Betriebsräten zeigen, weil Mitbestimmung den Nutzen verringert, der daraus gezogen wird, der alleinige Geschäftsführer der Unternehmung zu sein („Herr-im-Hause-Mentalität“). Sobald diese Nutzensenkung eine etwaige Nutzensteigerung durch positive ökonomische Effekte der Mitbestimmung übersteigt, werden nutzenmaximierende Unternehmer (im Gegensatz zu gewinnmaximierenden) Mitbestimmung ablehnen. Ziel dieses Beitrags ist zu überprüfen, ob Widerstand gegen die betriebliche Mitbestimmung auch auf Basis gewinnmaximierenden Verhaltens ökonomisch erklärt werden kann. Die öffentliche Argumentation der Arbeitgeberverbände beruht in der Tat auf (tatsächlichen oder antizipierten) ökonomischen Nachteilen von Betriebsräten, steht dabei jedoch im Widerspruch zur empirischen ökonomischen Literatur zu den Effekten von Mitbestimmung, in der sich in jüngerer Zeit ein positiver Gesamteindruck bezüglich der ökonomischen Auswirkungen von Betriebsräten verfestigt. Jenseits der durchschnittlich positiven Beurteilung durch die Forschung hat Mitbestimmung in vielen – vor allem kleineren – Betrieben keine positiven ökonomischen Folgen. Da das Gewicht solcher Betriebe in den Spitzenverbänden groß ist, wird in der Folge argumentiert, dass die ablehnende Haltung der Arbeitgeberverbände trotz der im Mittel positiven ökonomischen Effekte der Mitbestimmung auf gewinnmaximierendem Verhalten ihrer Mitglieder beruhen kann.
Forschung findet positive ökonomische Effekte der Mitbestimmung
Betriebsräte können positiv auf die Produktivität wirken, weil i) ihre Informationsrechte bestehende Informationsasymmetrien zwischen Belegschaft und Geschäftsleitung abbauen und ii) ihre Mitbestimmungsrechte zu geringerer Personalfluktuation führen können. Informationsasymmetrien können in beide Richtungen bestehen, die klassische Theorie der collective voice geht aber davon aus, dass die Möglichkeit, die eigenen Präferenzen über den Betriebsrat artikulieren zu können, anstatt explizit oder implizit zu kündigen, zum einen wertvolle Informationen für die Geschäftsleitung beinhaltet und zum anderen zu einer motivierten und dem Betrieb dauerhaft verbundenen Belegschaft führt. Lange Verweildauern im Betrieb erhöhen die Anreize für produktivitätssteigernde Humankapitalinvestitionen. Ebenfalls direkt die Fluktuation senkend sind auch die Mitbestimmungsrechte bei geplanten Entlassungen, die letztere verzögern und verteuern können. Allerdings: Sowohl aufgrund von Beratungsbedarf verzögerte Entscheidungen als auch die erschwerte Entlassung unproduktiver Beschäftigter können die Produktivität senken. Zudem begünstigen sowohl eine höhere Arbeitsproduktivität als auch eine durch den verschärften Kündigungsschutz gestiegene Verhandlungsmacht der Belegschaft höhere Löhne.
Die empirisch-ökonomische Forschung zu den Folgen betrieblicher Mitbestimmung hat eine Vielzahl von Fragestellungen untersucht, z. B. Effekte auf Arbeitszufriedenheit, Personalfluktuation und Umweltschutzinvestitionen. Zentral für die Frage des Arbeitgeberwiderstands sind jedoch die Effekte auf Produktivität, Löhne und Gewinne. Die methodische Vorgehensweise besteht nahezu ausschließlich aus multivariaten Regressionen, bei denen die zu vergleichenden Betriebe mit und ohne Betriebsrat entlang zahlreicher anderer relevanter Dimensionen vergleichbar gemacht werden. Das Ziel dabei ist, Unterschiede in den Ergebnisgrößen (Produktivität, Lohn, Gewinn) ausschließlich auf den Unterschied in der Betriebsratsexistenz zurückzuführen. Seit den 1990er Jahren kann die Forschung auf umfangreiche Paneldatensätze zurückgreifen und findet auf dieser Basis durchgehend nichtnegative Effekte auf die Produktivität. Positive Produktivitätseffekte sind dabei insbesondere bei größeren (mehr als 100 Beschäftigte) und tarifgebundenen Unternehmen vielfach gezeigt worden, während bei kleineren und tariflich ungebundenen Betrieben oft keine Effekte nachgewiesen wurden. Es ist wichtig festzustellen, dass die wenigsten Studien eine kausale Interpretierbarkeit der Ergebnisse zulassen und dass positiven Produktivitätseffekten innerhalb bestehender Betriebe durchaus negative aggregierte Produktivitätseffekte gegenüberstehen können, da Betriebsräte durch ihre de facto Verteuerung von Entlassungen die produktivitätsmaximierende Allokation von Arbeit über Betriebe hinweg behindern könnten.
Die Mehrheit der Studien findet zudem positive Lohneffekte, und da Betriebsräte Produktivität und Löhne somit in die gleiche Richtung beeinflussen, ist der Effekt auf die Profitabilität theoretisch offen. Zwar dokumentieren Studien, die die subjektive Einschätzung der Ertragslage durch die Geschäftsleitung untersuchen, einen negativen Effekt von Betriebsräten. Bei Verwendung tatsächlich gemessener Erträge dreht sich dieses Bild jedoch um, und es kann gezeigt werden, dass die durch die Produktivitätssteigerung hervorgerufene Ertragssteigerung nicht vollständig durch höhere Löhne absorbiert wird, sondern dass tarifgebundene Arbeitgeber in Form höherer Gewinne profitieren.
Dominanz kleiner Betriebe in Arbeitgeberverbänden
Die genannten empirischen Befunde stellen Durchschnittsbetrachtungen für die deutsche Volkswirtschaft dar. Sie stehen nicht im Widerspruch zu einzelbetrieblichem Widerstand gegen Mitbestimmung, da eine Vielzahl von individuellen Gegebenheiten zu negativen Effekten auf einzelbetrieblicher Ebene führen kann (z. B. begründet in den Persönlichkeiten der handelnden Personen etc.). Dass aber auch die aggregierten Arbeitgeberinteressen die betriebliche Mitbestimmung in ihrer derzeitigen Gestalt nicht akzeptieren, mag angesichts der im Großen und Ganzen positiven Befunde zunächst verwundern. Etwas erklärlicher wird dies aber, wenn man die Entwicklung des Systems der industriellen Beziehungen der letzten rund 20 Jahre in Deutschland berücksichtigt. Nicht nur wird dabei eine „äußere Erosion“, also ein Rückgang des Anteils tarifgebundener Unternehmen, konstatiert, sondern auch auf eine mögliche „innere Erosion“ der Arbeitgeberverbände verwiesen, die insbesondere auf den Austritt oder Nicht-Eintritt kleinerer Unternehmen zurückgeführt wird. Auf diesen Prozess reagierten die Arbeitergeberverbände einerseits mit einer tarifpolitischen und andererseits mit einer organisationsstrukturellen Veränderung.
Letztere Änderung zeichnet sich durch die seit Mitte der 1990er Jahre zunehmende Verbreitung von Mitgliedschaften ohne Tarifbindung (OT) in Arbeitgeberverbänden aus. Gegenwärtig wird geschätzt, dass mittlerweile gut die Hälfte aller Verbände eine Abwahl der Tarifbindung ermöglicht, sodass die entsprechenden Betriebe dennoch Mitglied des Verbands bleiben können, Mitgliedsbeiträge entrichten und am Verbandsgeschehen teilnehmen. Kleine und mittlere Unternehmen (bis 100 Beschäftigte) profitieren ökonomisch nicht von betrieblicher Mitbestimmung (keine positiven Produktivitätseffekte, aber Kosten, z. B. Dokumentationspflichten, Zeit für Treffen mit Betriebsrat, ggf. höhere Kosten bei Entlassungen), stellen aber in den meisten Arbeitgeberverbänden die Mehrheit; bei Gesamtmetall machen sie beispielsweise 70% der Mitglieder aus. Da in den meisten Verbänden bei Abstimmungen jedes Mitglied unabhängig von seiner Größe dasselbe Stimmrecht hat, kann es daher für den Medianwähler in Arbeitgeberverbänden aus gewinnmaximierendem Kalkül heraus optimal sein, sich gegen Mitbestimmung zu positionieren.
Implikationen für die Wirtschaftspolitik
Der Rückzug der industriellen Beziehungen, bestehend aus Mitbestimmung und Tarifbindung, in Deutschland und vielen anderen entwickelten Volkswirtschaften wird vor dem Hintergrund gestiegener Lohnungleichheit und prekärer Beschäftigungsverhältnisse auf gesellschaftlicher und politischer Bühne kontrovers diskutiert. Ein Grund für den Rückzug der Mitbestimmung dürfte im Widerstand der Arbeitgeber liegen. Dieser Beitrag macht deutlich, dass betriebliche Mitbestimmung für viele kleinere Unternehmen nicht mit ökonomischen Vorteilen verbunden ist und dass diese Betriebe die Mehrheit in den Arbeitgeberverbänden stellen. Dies löst den Widerspruch zwischen positiven Durchschnittseffekten der Mitbestimmung auf Produktivität und Gewinne auf der einen Seite und Ablehnung durch die die aggregierten Unternehmensinteressen vertretenden Verbände auf der anderen Seite auf: Selbst Arbeitgeberverbände, die rein gewinnmaximierende Unternehmen repräsentieren, können aufgrund ihrer internen Machtstruktur gegen eine insgesamt effizienzsteigernde Arbeitsmarktinstitution stimmen. Der Widerstand der Arbeitgeberverbände muss somit – trotz anderslautender Verlautbarungen der Verbände – nicht als Argument für vermeintliche negative ökonomische Effekte der Mitbestimmung auf die deutsche Volkswirtschaft als Ganzes interpretiert werden.