Inhalt
Seite 1
Messung von Gasverbrauch und Umsatz auf Produktebene
Seite 2
Kritikpunkte und Grenzen der Interpretierbarkeit
Seite 3
Gasverbrauch konzentriert sich auf wenige Produkte, die teilweise durch Importe ersetzbar sind
Seite 4
Endnoten Auf einer Seite lesen

Die heimische Produktion wird somit insbesondere für solche Produkte ökonomisch unattraktiver, die sowohl eine hohe Gasintensität als auch eine hohe Importsubstituierbarkeit aufweisen. Die vollständige Einstellung der Produktion der Produkte, die sowohl über dem Median der Gasintensität als auch über dem Median der Importsubstituierbarkeit liegen, würde bezogen auf den Gasverbrauch der Industrie ein Viertel einsparen und bezogen auf die Bruttowertschöpfung der deutschen Industrie weniger als 2% kosten. Es ließen sich also im Vergleich zur Situation vor dem Krieg sehr hohe Gaseinsparungen bei sehr geringen ökonomischen Verlusten erzielen. Diese Modellrechnung kann beliebig angepasst werden. Würde statt eines Produktionsstopps lediglich eine Drosselung der Produktion um 50% angenommen, würden die Gaseinsparungen und die Verluste entsprechend nur bei der Hälfte liegen. Zu beachten ist, dass die Folgen eines Produktionsstopps dieser Güter für nachgelagerte Produzenten in Deutschland gering sein dürften, da diese die nun nicht mehr in Deutschland produzierten Vorleistungsgüter im Ausland vergleichsweise günstig kaufen können. Ein Zusammenbrechen der Wertschöpfungsketten ist hier somit unwahrscheinlich. In einer vorherigen Ausgabe dieser Zeitschrift zeigen meine Kollegen auf Branchenebene, dass die gasintensiven Wirtschaftszweige, zu denen neben der Chemischen Industrie etwa die Herstellung von Holz- und Papierwaren zählt, ihre Umsätze gegenüber dem Vorjahr überwiegend deutlich ausweiten konnten, zugleich aber die Produktion erheblich reduziert haben.10 Eine mögliche Ursache dieser Divergenz, die sich mit der Analyse in unserer Kurzexpertise gut vereinbaren lässt, ist, dass die Unternehmen gasintensive Vorprodukte aus dem Ausland beziehen statt sie selbst zu produzieren und die höheren Beschaffungskosten auf die Preise überwälzen können.

Gaspreisanstieg ist nicht das Ende des Industriestandorts Deutschland

Infolge des russischen Lieferstopps sind die Preise für Erdgas stark gestiegen, und Verbraucher, aber auch die Industrie, müssen etwa 20% Gas gegenüber den Vorjahren einsparen, um eine Gasmangellage zur vermeiden. Unsere Studie erlaubt erstmals ein fein aufgelöstes Bild der Lage, weil wir die Situation auf der Ebene einzelner Produkte untersuchen. Wir zeigen, dass die Gasverbräuche innerhalb von Industrien sehr ungleich über die Produkte verteilt sind. Die Produkte mit dem größten Gasverbrauch erzielen nur sehr wenig Umsatz und Wertschöpfung und sind oft leicht zu importieren. Eben deshalb sind zu erwartende Produktionsausfälle weit weniger schädlich für den Industriestandort Deutschland als von manchen zunächst befürchtet. Allerdings treffen die Preissteigerungen einige Branchen hart; allen voran die chemische Grundstoffindustrie. Erhebliche Anstrengungen werden von Nöten sein, wenn sich die Chemieindustrie weiterhin von Deutschland aus im Weltmarkt behaupten will.

Hauptergebnisse

Grundlage für die nachfolgenden Ergebnisse sind die 300 Produkte mit dem höchsten absoluten Gasverbrauch.8 Während die Daten zum Gasverbrauch vollständig sind, fehlen für 14 Produkte die Umsätze, und für 40 Produkte fehlen die Außenhandelsdaten. Vollständige Informationen liegen für 249 der 300 Produkte vor. Die Studie zeigt deskriptiv, wo vor dem Ukrainekrieg Gas verbraucht wurde und wie viel Umsatz und Wertschöpfung damit erwirtschaftet wurden. Sie quantifiziert keine allgemeinen Gleichgewichtseffekte, die sich im Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage oder etwa aus Kaufkraftverlusten ergeben. Die zentralen Ergebnisse unserer Studie sind, dass:

  • die 300 Produkte mit dem höchsten Gasverbrauch innerhalb der deutschen Industrie für knapp 90% des Gasverbrauchs der Industrie stehen,
  • Produkte mit besonders hohem Gasverbrauch wenig Umsatz und Wertschöpfung pro kWh Gas erzeugen,
  • bei Gaspreiserhöhungen um das Vierfache gegenüber den Jahren 2015 bis 2017 die Kosten für das durchschnittliche Produkt rechnerisch um 12 Cent pro Euro Umsatz steigen,
  • ein Produktionsstopp der Produkte, die sowohl überdurchschnittlich gasintensiv sind als auch überdurchschnittlich leicht durch Importe substituiert werden können, ein Viertel des Gesamtgasverbrauchs der Industrie einspart, aber nur 2% der Bruttowertschöpfung der Industrie kostet.

Der Gesamtgasverbrauch der 300 Produkte beträgt jährlich 310 Terrawattstunden. Bei einem jährlichen Gesamtgasverbrauch der Industrie von ca. 350 TWh in den Jahren 2015 bis 2017 ist dies ein Anteil von 89%. Das bedeutet, dass der Gasverbrauch in der deutschen Industrie sehr stark auf ein paar wenige Produkte konzentriert ist. Umsatzzahlen liegen für 286 Produkte vor, und insgesamt wird mit diesen Produkten ein Umsatz von etwa 771 Mrd. Euro erzielt. Dies entspricht etwa 45% des Gesamtumsatzes im Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland im Berichtszeitraum.

Eine zentrale Kenngröße ist die Gasintensität, gemessen als Gasverbrauch in kWh pro Euro Umsatz. Je höher die Kennzahl, umso weniger Erlös wird pro eingesetzter Gasmenge erzielt. Regressionsergebnisse zeigen, dass Produkte mit um 10% niedrigerem Gasverbrauch etwa 5% weniger Umsatz erzielen und dass Produkte mit einer um 10% niedrigeren Gasintensität einen etwa 8% höheren Umsatz erzielen. Anders ausgedrückt: Wird die Produktion von Gütern mit hoher Gasintensität gedrosselt, sinkt der Gasverbrauch der deutschen Industrie sehr viel stärker als ihr Umsatz. Die Gasintensität liegt für das durchschnittliche Produkt bei 1,5 kWh/Euro. In den Jahren 2015 bis 2017 lag der Gaspreis für industrielle Abnehmer in Deutschland bei etwa 2,7 Cent pro kWh und stieg bis Juli 2022 um das Vierfache an.9 Die Gaskosten pro Euro Umsatz erhöhten sich im (ungewichteten) Mittel über alle Produkte somit von etwa 4,1 Cent auf 16,2 Cent. Die Gaspreiserhöhungen steigern die Produktionskosten also um 12 Cent pro Euro Umsatz, und eine vollständige Umwälzung dieser Kostensteigerung auf die Kunden (bei gleicher Produktion) würde eine Preiserhöhung um 12% erforderlich machen.

Die Betroffenheit einzelner Produzenten durch steigende Gaspreise wird maßgeblich von der Fähigkeit der Produzenten beeinflusst, die steigenden Gaspreise an die Konsumenten weiterzugeben. Eine hohe Importsubstituierbarkeit der Produkte begrenzt jedoch die Möglichkeit zur Weitergabe höherer Gaspreise an die Kunden, da hierdurch Konsumenten leichter auf alternative Anbieter des Produkts ausweichen können. Eine hohe Importsubstituierbarkeit macht somit eine Drosselung der Produktion im Inland und den Bezug der Güter aus dem Ausland ökonomisch attraktiver. Ein Maß für die (inverse) Importsubstituierbarkeit eines Produkts ist dessen inländische Verwendung im Verhältnis zum Welthandelsvolumen. Je geringer dieses Verhältnis, desto eher kann der inländische Markt durch Importe bedient werden, ohne dass dadurch die Preise der Importe deutlich anziehen. Da der Gasmarkt in der Europäischen Union (EU) insgesamt sehr angespannt ist, besteht die Gefahr, dass andere EU-Volkswirtschaften ebenfalls nicht mehr wie gewohnt exportieren und somit das auf dem Weltmarkt gehandelte Volumen zu hoch geschätzt wird. Daher berechnen wir das Welt- handelsvolumen abzüglich der Exporte aus der EU. Die inländische Verwendung wird mit unseren Daten als Summe aus der heimischen Produktion und der Importe abzüglich der Exporte angenähert.

Empfohlene Publikationen

Wirtschaftliche Folgen des Gaspreisanstiegs für die deutsche Industrie

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in: Sachverständigenrat Wirtschaft, Nr. 4, 2022

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Diese Analyse nutzt amtliche Mikrodaten für die deutsche Industrie. Auf Ebene fein untergliederter Produkte werden der Verbrauch an Erdgas und der heimische Produktumsatz mit Daten der Vereinten Nationen zu Exporten und Importen verknüpft. Es zeigt sich, dass die 300 Produkte mit dem höchsten Gasverbrauch innerhalb der deutschen Industrie für knapp 90% des Gasverbrauchs der Industrie stehen, dass bei Gaspreiserhöhungen um das Vierfache gegenüber den Jahren 2015-2017 die Kosten für das durchschnittliche Produkt um 12 Cent pro Euro Umsatz steigen und dass ein Produktionsstopp der Produkte, die sowohl überdurchschnittlich gasintensiv sind als auch überdurchschnittlich leicht durch Importe substituiert werden können, 26% des Gesamtgasverbrauchs der Industrie einspart, aber weniger als 3% des Umsatzes der Industrie kostet.

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Wirtschaftliche Folgen des Gaspreisanstiegs für die deutsche Industrie

Matthias Mertens Steffen Müller

in: IWH Policy Notes, Nr. 2, 2022

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Diese Analyse nutzt amtliche Mikrodaten für die deutsche Industrie. Auf Ebene fein untergliederter Produkte werden der Verbrauch an Erdgas und der heimische Produktumsatz mit Daten der Vereinten Nationen zu Exporten und Importen verknüpft. Es zeigt sich, dass die 300 Produkte mit dem höchsten Gasverbrauch innerhalb der deutschen Industrie für knapp 90% des Gasverbrauchs der Industrie stehen, dass bei Gaspreiserhöhungen um das Vierfache gegenüber den Jahren 2015-2017 die Kosten für das durchschnittliche Produkt um 12 Cent pro Euro Umsatz steigen und dass ein Produktionsstopp der Produkte, die sowohl überdurchschnittlich gasintensiv sind als auch überdurchschnittlich leicht durch Importe substituiert werden können, 26% des Gesamtgasverbrauchs der Industrie einspart, aber weniger als 3% des Umsatzes der Industrie kostet.

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Kommentar: Subventionen für Halbleiter?

Reint E. Gropp

in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2023

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Mit dem „European Chips Act“ will die EU mehr als 40 Mrd. Euro ausgeben, um bei systemwichtigen Technologien unabhängiger von China zu werden und im Subventionswettlauf mit den USA nicht zurückzufallen. Doch sowohl das geostrategische Argument als auch die Effizienz und Nachhaltigkeit der Subventionen sind fragwürdig.

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Aktuelle Trends: Wirtschaftswachstum und sinkende CO2-Emissionen schließen sich nicht aus

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Erneuerbare Energiequellen und energiesparender technischer Fortschritt ermöglichen es, den CO2-Ausstoß einer Volkswirtschaft bei steigendem Bruttoinlandsprodukt zu senken. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen diese Anstrengungen aber noch deutlich verstärkt werden

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Die Schließung von Polizeiposten führt zu einem Anstieg der Diebstahlkriminalität

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in: Wirtschaft im Wandel, Nr. 1, 2023

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Die Zusammenlegung von Polizeikräften durch die Schließung von Polizeiposten ist ein vielbeobachtetes Phänomen in entwickelten Volkswirtschaften. Polizeiposten stellen einen bedeutenden und sichtbaren Teil der öffentlichen Infrastruktur dar. Als Ergebnis der vorliegenden Studie zeigt sich, dass die Schließung von Polizeiposten zu einem Anstieg von Autodiebstählen und Wohnungseinbrüchen führt. Diese Resultate können nicht durch Verdrängungseffekte in andere Regionen, veränderte Einsatzstrategien der Polizeieinheiten oder eine geringere Inhaftierung von Kriminellen erklärt werden. Vielmehr sind sie konsistent mit einer veränderten Wahrnehmung der Aufklärungswahrscheinlichkeit. Somit zeigt sich, dass die Sichtbarkeit von lokalen Polizeiposten zur Abschreckung und demnach zur Kriminalitätsbekämpfung beiträgt.

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