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Rent-Sharing und Energiekosten: In welchem Umfang geben Industrieunternehmen Gewinne und Verluste an ihre Beschäftigten weiter?

Diese Studie untersucht, wie die betrieblichen Erträge zwischen deutschen Industrieunternehmen und ihren Beschäftigten aufgeteilt werden. Dafür werden Energiepreisänderungen auf Unternehmensebene und die daraus resultierenden Veränderungen im Unternehmensertrag betrachtet. Wir finden heraus, dass höhere Energiepreise die Löhne drücken und dass ein Rückgang bei den Erträgen um 10% zu einem Rückgang der Löhne um 2% führt. Dieser Zusammenhang ist asymmetrisch, was bedeutet, dass die Löhne nicht von Senkungen der Energiepreise profitieren, aber durch Energiepreiserhöhungen sinken. Kleine Unternehmen geben Schwankungen im Ertrag stärker an die Beschäftigten weiter als Großunternehmen.

19. June 2024

Authors Matthias Mertens Steffen Müller Georg Neuschäffer

Contents
Page 1
Was ist Rent-Sharing?
Page 2
Rent-Sharing in der deutschen Industrie ist bedeutsam und asymmetrisch
Page 3
Arbeitsmarktmacht ist wichtig
Page 4
Endnoten All on one page

Was ist Rent-Sharing und warum ist es interessant?

Lohnungleichheit ist ein zentrales Thema in den Wirtschaftswissenschaften und erfährt auch in anderen Sozialwissenschaften wie der Soziologie oder Politikwissenschaft große Aufmerksamkeit. Die Lohnungleichheit in Deutschland stieg von der Mitte der 1990er Jahre bis 2010 dramatisch an. Aufgrund der zentralen Rolle der Lohnungleichheit und der Tatsache, dass der Lohnsatz einer der wichtigsten Preise in einer Marktwirtschaft ist, wurden das Ausmaß und die Ursachen der Lohnungleichheit in zahlreichen wissenschaftlichen Artikeln untersucht. Die gängige ökonomische Theorie besagt, dass die Lohnungleichheit die Unterschiede in der Produktivität der Beschäftigten widerspiegelte. Eine hohe Lohnungleichheit deute daher auf erhebliche Produktivitätsunterschiede zwischen den Beschäftigten hin. Das Modell des wettbewerbsorientierten Arbeitsmarktes geht davon aus, dass gewinnorientierte Unternehmen den marktüblichen Lohn pro Qualifikationsgruppe zahlen und Personal einstellen, bis der Grenzertrag eines zusätzlichen Arbeitnehmers (d. h. seine Produktivität) diesem Marktlohn entspricht. Daher wird im Lehrbuchfall angenommen, dass Beschäftigte mit ähnlichen Qualifikationen unabhängig von ihrem Arbeitsort ähnliche Löhne erhalten. Auch Ost-West-Lohnunterschiede wären somit ausschließlich die Folge unterschiedlicher Produktivität. 

Zahlreiche internationale Studien dokumentieren jedoch, dass gleich produktive Angestellte von verschiedenen Arbeitgebern unterschiedliche Löhne erhalten (Abowd et al. 1999, Card et al. 2013, Card et al. 2016, Song et al. 2019, Card et al. 2018).1 Solche dauerhaften Lohnunterschiede zwischen Unternehmen für die gleiche Arbeit deuten auf unvollkommene Arbeitsmärkte hin, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Marktmacht im Lohnbildungsprozess besitzen und Beschäftigungsrenditen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber anfallen. Unternehmen sind sehr unterschiedlich produktiv, und die Aufteilung der Beschäftigungsrenditen zwischen Arbeitnehmern und Unternehmen (das Rent-Sharing) bietet eine potenziell wichtige Erklärung für die Lohnunterschiede zwischen Unternehmen für vergleichbare Arbeitnehmer.

Ausmaß und Bestimmungsgründe von Rent-Sharing zu kennen, erlaubt nicht nur wichtige Rückschlüsse auf die Ursachen von Lohnungleichheit. Wird Rent-Sharing nachgewiesen, wird damit auch nachgewiesen, dass der betreffende Arbeitsmarkt nicht vollkommenem Wettbewerb unterworfen ist. Die vorliegende Studie zeigt zudem, wie Energiepreisänderungen auf die betriebliche Produktivität und die Löhne wirken.2 In paralleler Arbeit zeigen wir, dass Gewerkschaften und betriebliche Mitbestimmung wesentlich die relative Marktmacht von Unternehmen und Beschäftigten und somit Rent-Sharing beeinflussen.3

Wie kann man Rent-Sharing messen?

Grundsätzlich misst Rent-Sharing den Zusammenhang zwischen betrieblichen Erträgen und Löhnen. Die theoretische Grundlage bilden Verhandlungsmodelle für unvollkommene Arbeitsmärkte, aus denen sich ableiten lässt, dass der Lohn die Summe aus den Alternativlöhnen (outside options) der Beschäftigten und ihrem Anteil an den betrieblichen Überschüssen ist. Eine erste Herausforderung ist, dass Alternativlöhne nicht beobachtbar sind. Jedoch wird in der Forschung angenommen, dass Beschäftigte den regionalen, branchenüblichen Lohn für die jeweilige Tätigkeit als Alternativlohn betrachten. Liegen Informationen zu Löhnen und Erträgen (in unserer Studie gemessen als die Arbeitsproduktivität) vor, besteht eine zweite Herausforderung darin, Unterschiede beispielsweise in der Belegschaftsstruktur herauszurechnen. Wir lösen beide Probleme, indem wir den Zusammenhang zwischen Veränderungen der Erträge und Veränderungen der Löhne auf Unternehmensebene für Unternehmen im gleichen regionalen Arbeitsmarkt untersuchen und somit sicherstellen, dass zeitkonstante Unterschiede zwischen Unternehmen und Änderungen in den regionalen Alternativlöhnen keinen Einfluss mehr auf unsere Regressionsergebnisse haben können. 

Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass der Zusammenhang zwischen Löhnen und Erträgen in beide Richtungen gehen kann, zum Beispiel, weil höhere Löhne motivierend wirken können und dadurch zu einer höheren Produktivität führen können. Um sicherzustellen, dass wir den kausalen Effekt von Ertragsänderungen auf Lohnänderungen messen, ist es entscheidend, exogene – also nicht durch Unternehmensentscheidungen verursachte – Variationen der betrieblichen Überschüsse auf Unternehmensebene erfassen zu können. Zu diesem Zweck berechnen wir Veränderungen in unternehmensspezifischen Energiepreisen als Kombination aus dem Energieträgermix des Unternehmens in einer Vorperiode und den aktuellen Preisänderungen der Energieträger auf nationaler Ebene. In dem Maße, wie sich Unternehmen in ihrem Energieträgermix unterscheiden, führen einheitliche Preissteigerungen für bestimmte Energieträger zu unterschiedlichen Preiseffekten auf Unternehmensebene. Steigt zum Beispiel der Erdgaspreis an, sind vor allem Unternehmen betroffen, die in starkem Maße Erdgas nutzen. 

Die so berechneten unternehmensspezifischen Energiepreisänderungen dienen als Instrumentvariablen für die betrieblichen Erträge. Anders ausgedrückt: Für die finale Schätzung des Zusammenhangs zwischen Lohn- und Ertragsänderungen auf Firmenebene wird ausschließlich die Variation in den Ertragsänderungen genutzt, die durch nicht von einzelnen Unternehmen beeinflussbare Schwankungen der Energiepreise verursacht wird.

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Rent-Sharing in der deutschen Industrie ist bedeutsam und asymmetrisch

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Identifying Rent-sharing Using Firms‘ Energy Input Mix

Matthias Mertens Steffen Müller Georg Neuschäffer

in: IWH Discussion Papers, No. 19, 2022

Abstract

We present causal evidence on the rent-sharing elasticity of German manufacturing firms. We develop a new firm-level Bartik instrument for firm rents that combines the firms‘ predetermined energy input mix with national energy carrier price changes. Reduced-form evidence shows that higher energy prices depress wages. Instrumental variable estimation yields a rent-sharing elasticity of approximately 0.20. Rent-sharing induced by energy price variation is asymmetric and driven by energy price increases, implying that workers do not benefit from energy price reductions but are harmed by price increases. The rent-sharing elasticity is substantially larger in small (0.26) than in large (0.17) firms.

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Effiziente grüne Transformation

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in: Wirtschaft im Wandel, No. 2, 2024

Abstract

<p>Der deutschen Klimapolitik fehlt die große strategische Linie. Die Menschen werden sich nur dann für mehr Klimaschutz einsetzen und bereit sein, dafür finanzielle Opfer zu bringen, wenn die Lasten des Strukturwandels gerecht verteilt sind. Gerecht heißt, dass dort klimaschädliche Gase eingespart werden, wo es am kostengünstigsten ist. Ohne Märkte und die richtigen Preisanreize geht das nicht.</p>

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Aktuelle Trends: Rückgang der Treibhausgasemissionen im Jahr 2023 etwa zur Hälfte durch Produktionsrückgang bedingt

Oliver Holtemöller

in: Wirtschaft im Wandel, No. 2, 2024

Abstract

<p>Die Treibhausgasemissionen sind im Jahr 2023 in Deutschland um 76 Mio. Tonnen von 750 Mio. Tonnen im Jahr zuvor auf 674 Mio. Tonnen zurückgegangen.<sup>1</sup> Der Rückgang fiel damit deutlich stärker aus als in den Jahren zuvor.</p>

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Drehtüren in den Vorstandsetagen der Finanzaufsicht: Sind Banker oder Bürokraten die besseren Aufseher?

Michael Koetter Noel Nietzold

in: Wirtschaft im Wandel, No. 2, 2024

Abstract

<p>Der „umgekehrte Drehtüreffekt“ beschreibt das Phänomen, wenn ehemalige Bankerinnen und Banker Vorstandspositionen in nationalen Aufsichtsbehörden (National Supervisory Agency, NSA) bekleiden. Ein neu erhobener Datensatz zeigt, dass etwa ein Drittel der Vorstandsmitglieder in europäischen NSA vorher in der Finanzindustrie tätig war. Die Bestellung ehemaliger Banker in NSA-Vorstände geht mit positiven Börsenreaktionen einher, was auf eine „Näheprämie“ in der Bewertung beaufsichtigter Banken hindeutet. Im Gegensatz dazu ruft die Berufung von Bürokraten ohne praktische Vorkenntnisse in der Bankenwelt negative Börsenreaktionen hervor. Bis zur Einführung des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) in Europa korreliert die Präsenz ehemaliger Banker in NSA-Vorständen mit einer geringeren regulatorischen Kapitalquote, was auf einen nachsichtigeren Aufsichtsstil schließen lässt.</p>

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