Stadtfrust und Landlust? Über regionale Präferenzen von hochqualifizierten Individuen
Die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften ist eine zentrale Voraussetzung für den Erfolg eines Unternehmens. Eine städtische Lohnprämie zieht Beschäftigte an und verstärkt den Urbanisierungstrend. In unserer Studie untersuchen wir, ob nicht nur die Lohnprämie, sondern auch der Unternehmensstandort selbst die Attraktivität eines Arbeitsplatzes beeinflusst. Mittels eines experimentellen Untersuchungsdesigns zeigen wir, dass hochqualifizierte Arbeitnehmer unabhängig vom gezahlten Lohn eine Präferenz für städtische Standorte haben, selbst wenn ländliche Standorte attraktive regionale Eigenschaften aufweisen. Der beobachtete Effekt ist allerdings getrieben von Personen, die in städtischen Gebieten aufgewachsen sind. Personen, die in ländlichen Gebieten aufgewachsen sind, zeigen dagegen keine regionalen Präferenzen, weder für noch gegen städtische Gebiete.
14. July 2023
Neben dem globalen Bevölkerungswachstum, der Alterung der Bevölkerung und der (internationalen) Migration gehört die Urbanisierung zu den vier demographischen Megatrends. Während 1950 nur etwa 30% der Weltbevölkerung in städtischen Gebieten lebten, hat sich dieser Anteil bis 2018 mit 55% fast verdoppelt. In Deutschland geht der Anteil der Stadtbewohner an der Gesamtbevölkerung mit rund 80% im Jahr 2021 sogar weit darüber hinaus.1
Der wichtigste Treiber des wirtschaftlichen Wachstums der Städte ist die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften. Städte mit einem hohen Anteil hochqualifizierter Beschäftigter wachsen schneller, weil sie wirtschaftlich produktiver werden und besser in der Lage sind, sich an wirtschaftliche Schocks anzupassen.2 Die höhere Produktivität resultiert in höheren Löhnen von Beschäftigten in Städten im Vergleich zum ländlichen Raum, was zugleich einen verstärkten Zustrom von (hochqualifizierten) Individuen in diese Regionen bewirkt.3 Doch ist es allein die Lohnprämie, welche Arbeitgeber und Arbeitsplätze attraktiver macht? Eine Meta-Analyse unterstreicht hier die Bedeutung verschiedener Arbeitsplatz- und Arbeitgebermerkmale, wie bspw. Autonomie der Tätigkeitsausübung oder die Sicherheit des Arbeitsplatzes.4 Es bleibt jedoch bisher unklar, inwieweit diese Merkmale Stadt-Land-Unterschieden unterliegen.
Bislang gibt es nur wenige Studien, die ausdrücklich untersuchen, welchen Effekt der Unternehmensstandort auf die Arbeitsplatzattraktivität hat. Eine aktuelle Arbeit betrachtet Ausstattungsunterschiede zwischen Städten und zeigt, dass Individuen bereit sind, für eine bessere städtische (Infrastruktur-)Ausstattung auf einen Teil ihres Lohns zu verzichten.5 Eine andere berichtet erstmals über eine negative Beziehung zwischen ländlichen Standorten und der Attraktivität von Unternehmen. Diese werden mit einer geringeren Lebensqualität, niedrigeren Löhnen und weniger Aufstiegsmöglichkeiten in Verbindung gebracht.6 Ob es eine generelle Präferenz für oder gegen ländliche Standorte gibt oder ob diese durch Unterschiede bei Löhnen oder Infrastruktur erklärbar ist, kann aus dieser Studie aber nicht geschlussfolgert werden. Für politische Entscheidungsträger, die vor der Frage stehen, welche regionalen Maßnahmen zur Anwerbung hochqualifizierter Individuen wirksam sind, ist das Wissen über individuelle Bewertungen bestimmter Standorteigenschaften jedoch von größter Bedeutung. Dies ist die Fragestellung dieser Arbeit.
Studiendesign
Um die Präferenzen hochqualifizierter Individuen für städtische bzw. ländliche Räume sauber von Arbeitsplatz- und Organisationsmerkmalen sowie anderen regionalen Eigenschaften zu isolieren, haben wir in einem experimentellen Untersuchungsdesign Umfragedaten zur Attraktivität von Stellenangeboten erhoben. Dabei wurde den Teilnehmern eine Reihe von hypothetischen Stellenangeboten, so genannte Vignetten, vorgelegt. Auf diese Weise können wir empirisch analysieren, unter welchen Umständen Befragte bereit sind, eine neue Stelle anzunehmen. Zu Beginn des Experiments stellten wir klar, dass aufgrund der Entfernung tägliches Pendeln keine Option darstellt. Die Stellenangebote variierten hinsichtlich des gezahlten Lohns, der Job- und Arbeitsplatzcharakteristika sowie regionaler Merkmale. Zu letzteren gehörten das Vereinsleben und das soziale Engagement der Einwohner in der Region, die Zugangsmöglichkeiten zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, die Verfügbarkeit von Wohnraum und Jobaussichten für den Partner sowie die Entfernung zum nächsten Erholungs- bzw. Ballungsgebiet. Im Anschluss an jedes Stellenangebot wurden die Studienteilnehmer gefragt, ob sie diesen Job annehmen würden. Außerdem sollten sie sich vorstellen, dass sie den Job angenommen hätten, und dann überlegen, ob sie nun umziehen oder einen Zweitwohnsitz etablieren würden. Abschließend erfolgte die Abfrage einiger sozio-demographischer Charakteristika der Befragten.
Die Studienteilnehmer
Die Daten wurden in zwei Wellen in den Jahren 2021 und 2022 über Online-Fragebögen erhoben. Die erste Stichprobe besteht aus 306 Studierenden zweier sachsen-anhaltischer Hochschulen (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und Hochschule Magdeburg- Stendal) aller dort ansässigen Fakultäten. Die zweite Stichprobe umfasst 508 Beschäftigte mit einem akademischen Abschluss im Alter von 30 bis 45 Jahren, die in einem der ostdeutschen Flächenländer leben. Die Kombination beider Stichproben ermöglicht es, bei der Bewertung von Stellenangeboten einen lebensphasenorientierten Ansatz zu verfolgen, der unterschiedliche Entwicklungs- und Karrierestufen berücksichtigt und Rückschlüsse darauf erlaubt, was den Individuen wann wichtig ist. Um nur plausible Antworten zu analysieren, haben wir verschiedene kleinere Bereinigungsschritte an den Daten vorgenommen. Diese können detailliert im zugrunde liegenden Diskussionspapier nachvollzogen werden.7 Nach diesen qualitätsverbessernden Maßnahmen verbleiben 8 080 vollständig bewertete Vignetten.
Eindeutige Präferenz für Stellenangebote aus urbanen Räumen
Bei den Arbeitsplatz- und Arbeitgebereigenschaften brachte das Experiment die erwarteten Ergebnisse. Die Befragten schätzen höhere Löhne, Autonomie und Eigenverantwortung, die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit, regelmäßigen Kontakt mit und Feedback von Vorgesetzten sowie Aufstiegsmöglichkeiten. Darüber hinaus tragen Merkmale wie Arbeitsplatzsicherheit und ein positives Arbeitsklima dazu bei, dass die Befragten ein Jobangebot als attraktiver empfinden. Für die regionalen Eigenschaften stellten wir fest, dass ein vielfältiges soziales Leben und das Engagement der Bürger in der Region sowie die Verfügbarkeit von Naherholungsgebieten (bei städtischen Stellenangeboten) und die Nähe zu urbanen Räumen (bei ländlichen Stellenangeboten) einen positiven Effekt auf die Job-Attraktivität haben.
Unser Hauptinteresse gilt jedoch den Auswirkungen des Unternehmensstandorts. Unsere Daten zeigen deutlich, dass unter sonst gleichen Bedingungen Stellenangebote von Firmen aus ländlichen Regionen als weniger attraktiv wahrgenommen werden. Dies gilt selbst dann, wenn die Stellenangebote mit einer hohen regionalen Attraktivität verbunden sind (wenn bspw. alle regionalen Merkmale in der Vignette positiv ausfallen). Dies bedeutet, dass ein Jobangebot eines Arbeitsgebers aus einer Stadt per se einen positiven Einfluss auf die Bereitschaft hat, den Job anzunehmen. Dieser Effekt zeigt sich für beide Stichproben, wobei die Präferenz für urbane Räume unter den Studierenden noch ein wenig stärker ausgeprägt ist. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Befragten ein Jobangebot annehmen würden, um 4,6 Prozentpunkte für Hochschulabsolventen bzw. 5,4 Prozentpunkte für Studierende, wenn das Jobangebot von einer Firma aus dem städtischen Raum stammt. Zum Vergleich: Dieser Effekt ist in etwa so stark wie der positive Effekt durch das Versprechen einer sehr hohen Jobsicherheit.
Sozio-demographische Charakteristika: Stadtkinder wollen urban bleiben, Familien zieht es aufs Land
Für verschiedene Altersgruppen sowie bei der nach Geschlecht differenzierten Analyse beobachten wir keine signifikanten Unterschiede bei den Effekten eines städtischen Jobangebots. Unterschiede treten jedoch für die Gruppe der Eltern und im Hinblick auf den Partnerschaftsstatus der Befragten auf. Eine Elternschaft wirkt sich negativ auf die Attraktivität einer Arbeit in einem städtischen Umfeld aus, wohingegen Singles eine starke Präferenz für Jobangebote in Städten aufweisen. Die Abbildung bietet eine Übersicht der Präferenz für städtische Jobangebote basierend auf den von uns erhobenen sozio-demographischen Charakteristika.
Des Weiteren haben wir die Rolle der Herkunft und damit der Verwurzelung in städtischen Regionen als Moderatorvariable untersucht. Dabei werden Gemeinden mit weniger als 5 000 Einwohnern als ländliche Herkunftsgemeinden definiert.8 Unsere Ergebnisse weisen hier in eine klare Richtung. Der positive Effekt eines städtischen Jobangebots zeigt sich nur bei Personen, die in Städten aufgewachsen sind. Im Gegensatz dazu zeigen sich bei Personen, die in ländlichen Gebieten aufgewachsen sind, keine Unterschiede zwischen Arbeitsangeboten aus städtischen und ländlichen Gebieten. Interessant ist auch, dass diese Personen es bei einem städtischen Jobangebot vorziehen würden, dort einen Zweitwohnsitz zu errichten, anstatt in die Stadt umzuziehen.
Die Ergebnisse sind über beide untersuchten Stichproben hinweg robust. Daher scheinen Personen, die in städtischen Regionen aufgewachsen sind, auch spezifische Präferenzen für städtische Regionen und städtische Merkmale aufzuweisen. Sie müssen durch bessere Arbeitsplatzeigenschaften motiviert werden, Jobangebote aus ländlichen Regionen anzunehmen. Dies erhöht folglich die Kosten für Unternehmen in ländlichen Räumen, wenn sie Hochqualifizierte für sich gewinnen wollen.
Fazit
Unsere Ergebnisse zeigen, dass Stellenangebote von Firmen aus ländlichen Räumen als weniger attraktiv im Vergleich zu Stellenangeboten von Unternehmen aus Städten wahrgenommen werden, selbst wenn der ländliche Raum viele attraktive regionale Merkmale bereithält. Ein weiteres hervorzuhebendes Ergebnis ist die beobachtete Heterogenität in Bezug auf die Herkunft der Personen. Während Personen, die in einem städtischen Gebiet geboren und aufgewachsen sind, sehr stark städtische Arbeitsplätze bevorzugen, gibt es keinen solchen Effekt bei Personen mit ländlicher Herkunft. Gleiches zeigt sich für Individuen in Partnerschaften bzw. für Familien.
Dies sind wichtige Erkenntnisse für die Praxis. Es wird deutlich, dass die Wahrscheinlichkeit, hochqualifizierte Arbeitnehmer für ländliche Unternehmen zu gewinnen, weiter abnehmen wird, da ein größerer Anteil der Kinder in Städten aufwächst, was die Präferenzen für städtische Gebiete in der Zukunft weiter ansteigen lassen wird. Steigende Urbanisierungsraten beeinflussen folglich die räumliche Verteilung von Hochqualifizierten und somit auch die ökonomische Ungleichheit zwischen Regionen. Zugleich ergeben sich direkte Implikationen für Unternehmen in ländlichen Räumen. Diese könnten beispielsweise ihre Rekrutierungserfolge steigern, wenn sie eine Verbindung zu den urbanen Universitäten herstellen und regelmäßig Angebote für Studierende schaffen, um die Bindung an ländliche Gebiete zu fördern und Vorurteile gegenüber diesen Regionen abzubauen. Alternativ könnten sie versuchen, die bereits im ländlichen Raum verankerten Personen zu hochqualifizierten Beschäftigten weiterzubilden. Gegeben die besondere Rolle der Berufsausbildung in ländlichen Regionen, sollten sie ferner ihre Versuche verstärken, Beschäftigte beim Schritt zum Hochschulstudium zu unterstützen. Es ist belegt, dass nach Abschluss einer Ausbildung die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber hoch und die Fluktuation niedrig ist.
Die deutlichen Präferenzunterschiede innerhalb der Gruppe der Hochqualifizierten können als Anhaltspunkte für zielgruppenspezifische Maßnahmen dienen. Besonders attraktiv sind hier beispielsweise Familien. Während andere Gruppen von Hochqualifizierten einen direkten Ausgleich der Standortnachteile erwarten, können diese explizit mit den Stärken des ländlichen Raums angesprochen werden. Im Hinblick auf künftige Forschungen wäre es auch interessant, die Annahme zu lockern, dass ein Unternehmen entweder in einem städtischen oder in einem ländlichen Gebiet angesiedelt ist. Ähnlich wie komplexere Lebensmodelle könnten auch komplexere Arbeitsmodelle, wie z. B. Coworking Spaces mit Arbeitnehmern aus städtischen Partnerunternehmen, das Bedürfnis des Einzelnen nach städtischen Merkmalen befriedigen und sich damit positiv auf seine Bereitschaft auswirken, Arbeitsangebote von ländlichen Unternehmen anzunehmen.
Endnoten
1 Vgl. Berechnung auf Ebene der Gemeinden gemäß Grad der Verstädterung nach Klassifikation von Eurostat. Die Daten für die Berechnung stammen aus dem Gemeindeverzeichnis mit Stand 31.12.2021.
2 Vgl. Glaeser, E.; Saiz, A.: The Rise of the Skilled City. Brookings-Wharton Papers on Urban Affairs 2004, 47-105.
3 Vgl. Dauth, W.; Findeisen, S.; Moretti, E.; Suedekum, J.: Matching in Cities, in: Journal of the European Economic Association, Vol. 20 (4), 2022, 1478-1521.
4 Vgl. Chapman, D.; Uggerslev, K.; Carroll, S.; Piasentin, K.; Jones, D.: Applicant Attraction to Organizations and Job Choice: A Metaanalytic Review of the Correlates of Recruiting Outcomes, in: Journal of Applied Psychology, Vol. 90 (5), 2005, 928-944.
5 Vgl. Arntz, M.; Brüll, E.; Lipowski, C.: Do Preferences for Urban Amenities Differ by Skill?, in: Journal of Economic Geography, Vol. 23 (3), 2023, 541-576.
6 Vgl. Caprano, J.: Recruiting Generation Y for the Backbone of Economy: Organizational Attractiveness of Small, Family Owned, and Rural Firms, in: Junior Management Science, Vol. 4 (4), 2019, 493-523.
7 Vgl. Jeworrek, S.; Brachert, M.: Where to go? High-skilled Individuals’ Regional Preferences. IWH Discussion Papers 27/2022. Halle (Saale) 2022.
8 Vgl. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR): Laufende Stadtbeobachtung – Raumabgrenzungen. Stadt- und Gemeindetypen in Deutschland. Webseite, Zugriff am 27.10.2022.