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Risiken eines fragilen BankensystemsSeite 2
USA: von 100 000 auf 250 000 US-Dollar Auf einer Seite lesenUSA: von 100 000 auf 250 000 US-Dollar
Eine der ersten Maßnahmen der amerikanischen Regierung in Reaktion auf die sich abzeichnenden destabilisierenden Effekte nach der Insolvenz von Lehman Brothers im September 2008 bestand darin, die Höhe der versicherten Einlagen von 100 000 auf 250 000 US-Dollar anzuheben, was die Gesamtsumme an versicherten Einlagen im amerikanischen Finanzsystem von 4 800 Mrd. auf 5 300 Mrd. US-Dollar ansteigen ließ. Dies erfolgte im Rahmen des „Economic Stabilization Act“. Die Erhöhung war ursprünglich für einen begrenzten Zeitraum bis Ende 2009 vorgesehen, wurde dann aber bis zum Jahr 2014 verlängert und endgültig durch das Dodd-Frank-Gesetz aus dem Jahr 2010 entfristet. Welche Auswirkungen diese Erhöhung auf die Risikobereitschaft amerikanischer Banken hat, zeigt ein aktueller Forschungsbeitrag von Claudia Lambert, Felix Noth und Ulrich Schüwer. Die Autoren machen sich dabei die Tatsache zunutze, dass die amerikanische Regulierungsbehörde für alle amerikanischen Banken Informationen über die Summe der versicherten Einlagen bereitstellt. So ist es möglich, zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung festzustellen, welchen Banken durch die Erhöhung der Versicherungssumme von 100 000 auf 250 000 US-Dollar in dem Sinne profitierten, dass quasi über Nacht ein großer Betrag ihrer Einlagen zusätzlich versichert wurde. Diese Information lässt einen Vergleich zu zwischen diesen Banken (Treatmentgruppe) und solchen Banken (Kontrollgruppe), die durch die Gesetzesänderung nur sehr wenig zusätzlich versicherte Einlagen erhielten. Vergleicht man nun beide Gruppe hinsichtlich ihres Risikos, kann man untersuchen, ob die Erhöhung der versicherten Einlagen zu einem Anstieg von Moral-Hazard-Anreizen und damit zu einer erhöhten Risikobereitschaft derjenigen Banken geführt hat, die von der Erhöhung besonders profitierten. Die Abbildung zeigt die Entwicklung geschätzter Ausfallwahrscheinlichkeiten für die beiden Bankengruppen im Zeitraum zwischen 2000 und 2012: Infolge der Erhöhung der Einlagensicherung im Jahr 2008 laufen die mittleren Ausfallwahrscheinlichkeiten der beiden Bankengruppen deutlich auseinander. Die Banken, die durch die Erhöhung der Sicherungsgrenze von 100 000 auf 250 000 US-Dollar deutlich mehr versicherte Einlagen hinzubekamen, wiesen nach der Erhöhung erheblich höhere Ausfallwahrscheinlichkeiten auf als die Banken, die nur wenig von der Erhöhung profitierten. Dieser Zusammenhang bestätigt sich auch im Rahmen von ökonometrischen Analysen. Hier zeigt sich für einen Zeitraum zwischen 2006 und 2010, dass die Ausfallwahrscheinlichkeiten der Banken in der Treatmentgruppe relativ zur Kontrollgruppe statistisch signifikant anstiegen. Der ökonomische Effekt ist ebenfalls signifikant. Die Erhöhung der Ausfallwahrscheinlichkeiten von Banken, die deutlich versicherte Einlagen hinzugewannen, ist im Vergleich zu den mittleren Ausfallwahrscheinlichkeiten vor dem Jahr 2008 um 30% angestiegen. Die Studie zeigt, dass dieser Effekt unabhängig von den diversen Hilfsmaßnahmen (z. B. dem Troubled Asset Relief Program [TARP]) der amerikanischen Regierung ist, die zeitgleich 2008/2009 einsetzten.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Arbeit ist, dass der Effekt des moralischen Risikos vor allem bei den Banken auftritt, die vor der Krise relativ gesehen weniger Eigenkapital im Verhältnis zur Bilanzsumme hielten. Diese Tatsache deutet darauf hin, dass derzeitige Bestrebungen, die Eigenkapitalvorschriften für Banken zu verschärfen (z. B. Basel III), auch helfen können, die Effekte von Einlagensicherungssystemen auf das moralische Risiko von Banken zu verringern.
Fazit
Die empirischen Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Erhöhung der versicherten Einlagen in den USA zu einer deutlichen Risikosteigerung bei den Banken geführt hat, die von der Erhöhung am stärksten betroffen waren. Somit bestätigt die Studie den in der Literatur häufig zitierten Moral-Hazard-Effekt von Einlagensicherungssystemen. Die Studie analysiert allerdings nicht, wie sich das amerikanische Finanzsystem ohne die Maßnahme der Erhöhung der versicherten Einlagen von 100 000 auf 250 000 US-Dollar entwickelt hätte. Geht man allerdings von einer generellen Beruhigung der Sparer und damit von einer geringeren Gefahr von bank runs aus, wird der grundsätzliche Zielkonflikt von Einlagensicherungssystemen wieder sehr deutlich: Um kurzfristig während einer Krise das Finanzsystem zu stabilisieren, werden langfristig erhöhte Risikoanreize von Banken in Kauf genommen, die potenziell in die nächste Finanzkrise führen können.